Aufregung am Donnerstag Nachmittag: der Fahrer meldet sich von der Grenze zu West Bengal. Man lässt ihn nicht einreisen, weil Papiere fehlen! Seit kurzem muss man die Einfuhr von Bambus nach Bihar anmelden und eine entsprechende Steuer bezahlen. Außerdem ist nun eine saftige Strafe fällig, weil das entsprechende Formular nicht VORHER ausgefüllt wurde. Alles in allem noch einmal über 20 000 Rupien! Unsere Recherchen in Raxaul bei Regierungsstellen ergibt erheblich weniger (die genaue Summe habe ich leider vergessen) und wir könnten den Betrag an das zuständige Amt überweisen. Der Truckdriver erklärt uns, dass der Beamte an der Grenze Cash sehen möchte. Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche, dass der Kerl den Truck nicht nach Bihar lässt, wenn wir auf den offiziellen Betrag bestehen und das Geld nicht bringen. So läuft das Spiel eben in Indien, speziell in Bihar. Nun brauchen wir nur noch einen Geldboten, der mit dem Zug zur Grenze fährt. Ich habe absolut keine Lust dazu, also schicken wir Shuman, den Büroschreiber, dem das gar nicht gefällt.
Den nächsten Tag verbringe ich mit Warten auf den ersehnten Anruf. Irgendwie ist es heute ungewöhnlich heiß und ich gönne mir ein Mittagschläfchen. Gegen 3.00 Uhr wache ich auf und beschließe nach Raxaul zu gehen, um ein paar Besorgungen zu machen. Auf meinem Weg dorthin kommt mir Kabita freudenstrahlend in einer Rickshaw entgegen. DER TRUCK IST DA! JAY HOO!
Also zurück nach LF, um alles zu organisieren. Der Truck kann nicht nach Raxaul hineinfahren und steht ungefähr zehn Kilometer entfernt vom Zentrum auf einem großen Rastplatz und wartet aufs Abladen.
Die Verbindungsstraße zwischen Raxaul und LF ist so schmal, dass zwei Fahrrad-Rickshaws gerade mal so aneinander vorbeikommen, weshalb wir den letzten Transport mit Traktor und Anhänger bewerkstelligen müssen (zum Glück haben wir die Straße noch rechtzeitig repariert!). Wir können zwei Traktoren von Bauern organisieren, außerdem haben wir den kleinen Truck von LF zur Verfügung. Abdul fährt mit der Baustellen-Crew und den Traktoren voraus und ich fahre mit Krishna (Head of Dairy Farm) auf dem Bike hinterher.
Wir kommen um kurz nach 5.00 Uhr an und ich staune nicht schlecht, als ich das Riesengefährt sehe! Die Sonne geht bald unter und in der Ferne höre ich leises Donnergrollen. Hier ist der Himmel noch blau und fast wolkenlos, eine große, einzelne Wolke zieht langsam aus Nepal zu uns. Plötzlich entlädt sich ein gigantischer Blitz in ihr, so dass sie komplett aufleuchtet. Hoffentlich bleibt es trocken!
Die Jungs kommen endlich mit den Treckern, das Umladen kann beginnen. Inzwischen ist es dunkel geworden und ich bin froh, dass ich die neuen Little Sun Solarlampen mitgenommen habe.
Wir öffnen die riesige Rückwand des 22 Meter langen Trucks und als die Arbeiter unseren Bamboo sehen, geht ein Jubelgeschrei los!
Während die Jungs gut organisiert und sorgfältig die Anhänger beladen, muss ich auf dem Traktorsitz Platz nehmen – die Jungs weigern sich, mich mithelfen zu lassen. So beobachte ich das Treiben, versuche Motilal oder Sebastian zu erreichen, um ihnen die gute Nachricht mitzuteilen, habe aber keinen Erfolg.
Ich wundere mich, wo unser kleiner Truck bleibt und frage Krishna danach, denn er sollte sich darum kümmern. ‚Soon soon, Sir‘. Ich schätze, dass wir mit jedem der drei Fahrzeuge jeweils zweimal fahren müssen, auf einem Anhänger hauen die Jungs 80 Bambusstangen, die ein gutes Drittel über den Anhänger hinaus ragen. Meinen kritischen und besorgten Blick beantwortet Abdul mit „Dooon’d vorrry!“ und Laxman grinst breit „Id’s okee Villy, vee do id hundred dimes!“
Okay, gut. Ich entspanne mich wieder, obwohl ich glaube, dass der Anhänger mit Sicherheit total überladen sind, aber die Boys wissen wohl genau was sie tun. Die Stangen werden professionell mit Bändern so festgezurrt, dass sich nichts mehr bewegen kann. Unser Truck ist noch immer nicht da. „Where’s the Truck?“ „Coming, coming“ beruhigt mich Krishna.
Der zweite Anhänger wird beladen und es ist halb zehn bis wir fertig sind. Ich helfe beim Befestigen des Bamboo und diesmal kommt kein Protest. Ach ja, der Truck ist immer noch nicht da, Krishna zuckt nur mit den Schultern. Die Jungs wollen, dass ich mit Krishna auf dem Bike zurückfahre, aber ich habe keine Lust mit ihm zu fahren und im Dunkeln durch den von anderen Trucks aufgewirbelten Staub zu fahren, während Krishna versucht den tausend Pfützen und Schlaglöchern auszuweichen. So quetschen wir uns zu viert auf den Traktor, Abdul thront auf dem Bambus und freut sich wie ein kleines Kind. Es ist schwer, ihn nicht zu mögen!
Eine halbe Stunde später Kommen wir in LF an, die Arbeiter laden so schnell es geht ab, während ich versuche herauszufinden, was mit dem Truck los ist. Ich finde Krishna bei den Büros und will wissen was los ist. Nun behauptet er, dass der Truck nicht dafür geeignet ist, den Bamboo zu transportieren, weil die Seitenwände das nicht aushalten und kaputt gehen würden. Dass ich glatt belogen wurde, registriere ich noch gar nicht richtig. Nun frage ich Abdul, ob das stimmt, aber leider versteht er nicht ganz um was es geht. Also düse ich zum Abladeplatz und hole Laxman, der alles übersetzt. Abdul macht große Augen und schüttelt energisch den Kopf „No problem, you see how we fixed with Austria belts, really no problem!“
Okay, ich frage Abdul, ob er den Truck haben möchte. „Yes, big help!“ Also weise ich Krishna an, den Fahrer zu informieren, dass wir mit dem Truck rausfahren. „Not possible“ murmelt Krishna. Langsam reist mir der Geduldsfaden. ‚What? Why not possible?“‚ ‚“Hay for the cows in it“ Ich verstehe erst nicht ganz. „What is wrong with the truck?“ „My workers bought hay for my cows with the truck“. Jetzt wird mir klar, dass der Typ mich die ganze Zeit über angelogen hat, um billig sein Heu zu holen, denn das Benzin für den Truck wurde vom Baustellenkonto genommen. Ruck-zuck bin ich auf hundertachtzig und ich schreie ihn an, dass er sein f#¥¿@&#% hay für seine f#¥¿@&#% cows so schnell wie möglich abladen soll… den Rest schreibe ich hier höflicherweise nicht.
Da Krishnas Arbeiter schon im Bett sind, müssen „meine“ Jungs das übernehmen und die brauchen keine zehn Minuten dafür. Jetzt sind alle erst mal hungrig und Abdul überlegt, wo wir noch etwas zu essen bekommen könnten. Auf dem Weg zum Umladeplatz gibt es ein ‚Straßenlokal‘ das rund um die Uhr geöffnet hat, weil zu jeder Tages- und Nachtzeit Truckdriver eintrudeln. Bevor wir abfahren, gehe ich noch einmal zu Krishna und teile ihm mit, dass er mitfahren muss, denn immerhin übertrug Kabita ihm die Verantwortung für den Truck. Er ist offensichtlich not amused, die Nacht mit durchzuarbeiten (ein bisschen Rache muss sein…)!
Da ich keinen großen Wert auf seine Gesellschaft im Truck lege, fahre ich mit dem Traktor mit und setze mich zu Abdul in den leeren Anhänger. Zuerst will er, dass ich vorne bequem im Zugfahrzeug sitze, aber mir gefällt es neben ihm besser. Ich fühle mich mit einem Mal sauwohl, während ich den Fahrtwind und die kühle Nachtbrise genieße.
Schließlich wird es nach Mitternacht, bis wir wieder mit dem Umladen beginnen können und diesmal schnappe ich mir das eine Ende einer Bambusstange und warte darauf, dass mir jemand hilft. Zuerst höre ich wieder „No, no, not you“, aber ich bleibe stur. Dann kommt Abdul und nimmt das andere Ende – natürlich, klar, mit seinem breitesten Grinsen! Diesmal sind wir nicht so schnell, eigentlich sind alle zu müde und keiner hat mehr so richtig Elan, logisch. Es bleibt uns aber nichts anderes übrig, denn der große Truck muss am Morgen weiter (ich dachte, die dürfen nur nachts, aber vielleicht gilt das nur in einigen Bundesstaaten, so what). Wir schuften bis kurz nach drei, als heftiger Regen einsetzt, weswegen wir eine Zwangspause einlegen müssen.
Wir mobilisieren unsere letzten Kräfte, um den kleinen Truck zu beladen. Nachdem der letzte Gurt befestigt ist, beginnt es zu dämmern. Ich fühle mich völlig verdreckt, meine Hände und Unterarme sind verschrammt, meine Kleider sind verschmutzt und ich stinke mit Sicherheit drei Meilen gegen den Wind. Diesmal fahre ich mit im Truck zurück und auf unserem Weg durch den morgendlichen Stau in Richtung nepalesischer Grenze sehen wir durch Dunst und Staub die Sonne aufgehen, was zumindest bei mir die Stimmung hebt.
Zurück in LF geht es nun ans Abladen der drei Fahrzeuge. Vor dem Platz, der für den Bambus bestimmt ist, geht es etwas eng zu, weil wir mit den Fahrzeugen die einzige Straße zu der Küche, zur Weberei, zur Milchfarm und zu den Büros blockieren müssen. Langsam bekommen wir auch Zuschauer, das Dorf erwacht. Plötzlich macht der Fahrer unseres Trucks, den sie hier nur „Crazy Driver“ nennen, Stress. Er schreit die Arbeiter an und fuchtelt wild mit den Händen. Bei Laxman erkundige ich mich, was denn nun wieder los sei. Ich verstehe nicht ganz warum, aber er will, dass sein Truck zuerst abgeladen wird und dazu müssten die beiden Traktoren mitsamt den Anhängern zurücksetzen. Was für ein Schwachsinn! Also gut, ich muss wohl einschreiten. Zunächst will er mir weismachen, dass er besser weiß, wie man das hier angeht, aber da hat er sich leider den falschen ausgesucht. ‚“Shut your mouth and listen carefully! As long as Sebastian and Motilal are not here, I’m the Boss of Construction Site. These Bamboo belongs to Construction Site and the drivers of the Trekkers and you are paid by the Construction Site and the gasoline is paid by the Construction Site and your food last night is paid by the Construction Site and because I have the say here you have to do what I order! Stay put in your truck until Abdul calls you, theek hai?!“ Ihm bleibt der Mund offen stehen und trollt sich dann. Das gefällt wohl den Jungs und ich sehe, dass Laxman eifrig am Übersetzen ist. Sie jubeln, lachen und klatschen Beifall. Sie recken ihre Daumen hoch und vereinzelt höre ich „Bahot acha“…
Nun gilt es nur noch den Fahrer des großen Trucks zu bezahlen. Natürlich hat er angeblich zusätzliche Ausgaben von 3 000 Rupien, die er bezahlt haben möchte. Da er keinen Nachweis in irgendeiner Form hat, gebe ich ihm lediglich die 22 000 INR aus meinem Safe. Damit ist er nicht einverstanden, was mich jedoch nicht kümmert. Sollte er tatsächlich zusätzliche Kosten haben, soll er das über Kamesh Salam regeln und wir überweisen ihm dann den Betrag. Als er den Namen Kamesh hört, wird er ganz schnell friedlich, schnappt sich seine Rupees, verabschiedet sich höflich mit zigmal „Thanks“ und „Namaste“ und wackelt dabei eifrig mit dem Kopf! Gauner, probieren kann man es ja! Jetzt gönne ich mir erst mal eine Dusche, Frühstück und frische Kleider. Den Arbeiter gebe ich den Rest des Tages frei.