Bamboo is coming! 30.9.2013

Aufregung am Donnerstag Nachmittag: der Fahrer meldet sich von der Grenze zu West Bengal. Man lässt ihn nicht einreisen, weil Papiere fehlen! Seit kurzem muss man die Einfuhr von Bambus nach Bihar anmelden und eine entsprechende Steuer bezahlen. Außerdem ist nun eine saftige Strafe fällig, weil das entsprechende Formular nicht VORHER ausgefüllt wurde. Alles in allem noch einmal über 20 000 Rupien! Unsere Recherchen in Raxaul bei Regierungsstellen ergibt erheblich weniger (die genaue Summe habe ich leider vergessen) und wir könnten den Betrag an das zuständige Amt überweisen. Der Truckdriver erklärt uns, dass der Beamte an der Grenze Cash sehen möchte. Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche, dass der Kerl den Truck nicht nach Bihar lässt, wenn wir auf den offiziellen Betrag bestehen und das Geld nicht bringen. So läuft das Spiel eben in Indien, speziell in Bihar. Nun brauchen wir nur noch einen Geldboten, der mit dem Zug zur Grenze fährt. Ich habe absolut keine Lust dazu, also schicken wir Shuman, den Büroschreiber, dem das gar nicht gefällt.

Den nächsten Tag verbringe ich mit Warten auf den ersehnten Anruf. Irgendwie ist es heute ungewöhnlich heiß und ich gönne mir ein Mittagschläfchen. Gegen 3.00 Uhr wache ich auf und beschließe nach Raxaul zu gehen, um ein paar Besorgungen zu machen. Auf meinem Weg dorthin kommt mir Kabita freudenstrahlend in einer Rickshaw entgegen. DER TRUCK IST DA! JAY HOO!

Also zurück nach LF, um alles zu organisieren. Der Truck kann nicht nach Raxaul hineinfahren und steht ungefähr zehn Kilometer entfernt vom Zentrum auf einem großen Rastplatz und wartet aufs Abladen.
Die Verbindungsstraße zwischen Raxaul und LF ist so schmal, dass zwei Fahrrad-Rickshaws gerade mal so aneinander vorbeikommen, weshalb wir den letzten Transport mit Traktor und Anhänger bewerkstelligen müssen (zum Glück haben wir die Straße noch rechtzeitig repariert!). Wir können zwei Traktoren von Bauern organisieren, außerdem haben wir den kleinen Truck von LF zur Verfügung. Abdul fährt mit der Baustellen-Crew und den Traktoren voraus und ich fahre mit Krishna (Head of Dairy Farm) auf dem Bike hinterher.

Ueberlandtruck

Wir kommen um kurz nach 5.00 Uhr an und ich staune nicht schlecht, als ich das Riesengefährt sehe! Die Sonne geht bald unter und in der Ferne höre ich leises Donnergrollen. Hier ist der Himmel noch blau und fast wolkenlos, eine große, einzelne Wolke zieht langsam aus Nepal zu uns. Plötzlich entlädt sich ein gigantischer Blitz in ihr, so dass sie komplett aufleuchtet. Hoffentlich bleibt es trocken!
Die Jungs kommen endlich mit den Treckern, das Umladen kann beginnen. Inzwischen ist es dunkel geworden und ich bin froh, dass ich die neuen Little Sun Solarlampen mitgenommen habe.

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Wir öffnen die riesige Rückwand des 22 Meter langen Trucks und als die Arbeiter unseren Bamboo sehen, geht ein Jubelgeschrei los!
Während die Jungs gut organisiert und sorgfältig die Anhänger beladen, muss ich auf dem Traktorsitz Platz nehmen – die Jungs weigern sich, mich mithelfen zu lassen. So beobachte ich das Treiben, versuche Motilal oder Sebastian zu erreichen, um ihnen die gute Nachricht mitzuteilen, habe aber keinen Erfolg.

Ich wundere mich, wo unser kleiner Truck bleibt und frage Krishna danach, denn er sollte sich darum kümmern. ‚Soon soon, Sir‘. Ich schätze, dass wir mit jedem der drei Fahrzeuge jeweils zweimal fahren müssen, auf einem Anhänger hauen die Jungs 80 Bambusstangen, die ein gutes Drittel über den Anhänger hinaus ragen. Meinen kritischen und besorgten Blick beantwortet Abdul mit „Dooon’d vorrry!“ und Laxman grinst breit „Id’s okee Villy, vee do id hundred dimes!“

Okay, gut. Ich entspanne mich wieder, obwohl ich glaube, dass der Anhänger mit Sicherheit total überladen sind, aber die Boys wissen wohl genau was sie tun. Die Stangen werden professionell mit Bändern so festgezurrt, dass sich nichts mehr bewegen kann. Unser Truck ist noch immer nicht da. „Where’s the Truck?“ „Coming, coming“ beruhigt mich Krishna.

Der zweite Anhänger wird beladen und es ist halb zehn bis wir fertig sind. Ich helfe beim Befestigen des Bamboo und diesmal kommt kein Protest. Ach ja, der Truck ist immer noch nicht da, Krishna zuckt nur mit den Schultern. Die Jungs wollen, dass ich mit Krishna auf dem Bike zurückfahre, aber ich habe keine Lust mit ihm zu fahren und im Dunkeln durch den von anderen Trucks aufgewirbelten Staub zu fahren, während Krishna versucht den tausend Pfützen und Schlaglöchern auszuweichen. So quetschen wir uns zu viert auf den Traktor, Abdul thront auf dem Bambus und freut sich wie ein kleines Kind. Es ist schwer, ihn nicht zu mögen!

Abdul auf dem Bamboo

Eine halbe Stunde später Kommen wir in LF an, die Arbeiter laden so schnell es geht ab, während ich versuche herauszufinden, was mit dem Truck los ist. Ich finde Krishna bei den Büros und will wissen was los ist. Nun behauptet er, dass der Truck nicht dafür geeignet ist, den Bamboo zu transportieren, weil die Seitenwände das nicht aushalten und kaputt gehen würden. Dass ich glatt belogen wurde, registriere ich noch gar nicht richtig. Nun frage ich Abdul, ob das stimmt, aber leider versteht er nicht ganz um was es geht. Also düse ich zum Abladeplatz und hole Laxman, der alles übersetzt. Abdul macht große Augen und schüttelt energisch den Kopf „No problem, you see how we fixed with Austria belts, really no problem!“

Okay, ich frage Abdul, ob er den Truck haben möchte. „Yes, big help!“ Also weise ich Krishna an, den Fahrer zu informieren, dass wir mit dem Truck rausfahren. „Not possible“ murmelt Krishna. Langsam reist mir der Geduldsfaden. ‚What? Why not possible?“‚ ‚“Hay for the cows in it“ Ich verstehe erst nicht ganz. „What is wrong with the truck?“ „My workers bought hay for my cows with the truck“. Jetzt wird mir klar, dass der Typ mich die ganze Zeit über angelogen hat, um billig sein Heu zu holen, denn das Benzin für den Truck wurde vom Baustellenkonto genommen. Ruck-zuck bin ich auf hundertachtzig und ich schreie ihn an, dass er sein f#¥¿@&#% hay für seine f#¥¿@&#% cows so schnell wie möglich abladen soll… den Rest schreibe ich hier höflicherweise nicht.

Da Krishnas Arbeiter schon im Bett sind, müssen „meine“ Jungs das übernehmen und die brauchen keine zehn Minuten dafür. Jetzt sind alle erst mal hungrig und Abdul überlegt, wo wir noch etwas zu essen bekommen könnten. Auf dem Weg zum Umladeplatz gibt es ein ‚Straßenlokal‘ das rund um die Uhr geöffnet hat, weil zu jeder Tages- und Nachtzeit Truckdriver eintrudeln. Bevor wir abfahren, gehe ich noch einmal zu Krishna und teile ihm mit, dass er mitfahren muss, denn immerhin übertrug Kabita ihm die Verantwortung für den Truck. Er ist offensichtlich not amused, die Nacht mit durchzuarbeiten (ein bisschen Rache muss sein…)!
Da ich keinen großen Wert auf seine Gesellschaft im Truck lege, fahre ich mit dem Traktor mit und setze mich zu Abdul in den leeren Anhänger. Zuerst will er, dass ich vorne bequem im Zugfahrzeug sitze, aber mir gefällt es neben ihm besser. Ich fühle mich mit einem Mal sauwohl, während ich den Fahrtwind und die kühle Nachtbrise genieße.

Schließlich wird es nach Mitternacht, bis wir wieder mit dem Umladen beginnen können und diesmal schnappe ich mir das eine Ende einer Bambusstange und warte darauf, dass mir jemand hilft. Zuerst höre ich wieder „No, no, not you“, aber ich bleibe stur. Dann kommt Abdul und nimmt das andere Ende – natürlich, klar, mit seinem breitesten Grinsen! Diesmal sind wir nicht so schnell, eigentlich sind alle zu müde und keiner hat mehr so richtig Elan, logisch. Es bleibt uns aber nichts anderes übrig, denn der große Truck muss am Morgen weiter (ich dachte, die dürfen nur nachts, aber vielleicht gilt das nur in einigen Bundesstaaten, so what). Wir schuften bis kurz nach drei, als heftiger Regen einsetzt, weswegen wir eine Zwangspause einlegen müssen.

Wir mobilisieren unsere letzten Kräfte, um den kleinen Truck zu beladen. Nachdem der letzte Gurt befestigt ist, beginnt es zu dämmern. Ich fühle mich völlig verdreckt, meine Hände und Unterarme sind verschrammt, meine Kleider sind verschmutzt und ich stinke mit Sicherheit drei Meilen gegen den Wind. Diesmal fahre ich mit im Truck zurück und auf unserem Weg durch den morgendlichen Stau in Richtung nepalesischer Grenze sehen wir durch Dunst und Staub die Sonne aufgehen, was zumindest bei mir die Stimmung hebt.

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Zurück in LF geht es nun ans Abladen der drei Fahrzeuge. Vor dem Platz, der für den Bambus bestimmt ist, geht es etwas eng zu, weil wir mit den Fahrzeugen die einzige Straße zu der Küche, zur Weberei, zur Milchfarm und zu den Büros blockieren müssen. Langsam bekommen wir auch Zuschauer, das Dorf erwacht. Plötzlich macht der Fahrer unseres Trucks, den sie hier nur „Crazy Driver“ nennen, Stress. Er schreit die Arbeiter an und fuchtelt wild mit den Händen. Bei Laxman erkundige ich mich, was denn nun wieder los sei. Ich verstehe nicht ganz warum, aber er will, dass sein Truck zuerst abgeladen wird und dazu müssten die beiden Traktoren mitsamt den Anhängern zurücksetzen. Was für ein Schwachsinn! Also gut, ich muss wohl einschreiten. Zunächst will er mir weismachen, dass er besser weiß, wie man das hier angeht, aber da hat er sich leider den falschen ausgesucht. ‚“Shut your mouth and listen carefully! As long as Sebastian and Motilal are not here, I’m the Boss of Construction Site. These Bamboo belongs to Construction Site and the drivers of the Trekkers and you are paid by the Construction Site and the gasoline is paid by the Construction Site and your food last night is paid by the Construction Site and because I have the say here you have to do what I order! Stay put in your truck until Abdul calls you, theek hai?!“ Ihm bleibt der Mund offen stehen und trollt sich dann. Das gefällt wohl den Jungs und ich sehe, dass Laxman eifrig am Übersetzen ist. Sie jubeln, lachen und klatschen Beifall. Sie recken ihre Daumen hoch und vereinzelt höre ich „Bahot acha“…

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Nun gilt es nur noch den Fahrer des großen Trucks zu bezahlen. Natürlich hat er angeblich zusätzliche Ausgaben von 3 000 Rupien, die er bezahlt haben möchte. Da er keinen Nachweis in irgendeiner Form hat, gebe ich ihm lediglich die 22 000 INR aus meinem Safe. Damit ist er nicht einverstanden, was mich jedoch nicht kümmert. Sollte er tatsächlich zusätzliche Kosten haben, soll er das über Kamesh Salam regeln und wir überweisen ihm dann den Betrag. Als er den Namen Kamesh hört, wird er ganz schnell friedlich, schnappt sich seine Rupees, verabschiedet sich höflich mit zigmal „Thanks“ und „Namaste“ und wackelt dabei eifrig mit dem Kopf! Gauner, probieren kann man es ja! Jetzt gönne ich mir erst mal eine Dusche, Frühstück und frische Kleider. Den Arbeiter gebe ich den Rest des Tages frei.

Die letzten Tage in Little Flower 22.9.2013 – 31.9.2013

Die letzte Woche in LF rauscht nur so dahin und ich habe im Nachhinein den Eindruck, dass alles innerhalb zweier Tage passiert ist.
Wir sind ganz schön geschafft von der Nagaland-Tour und würden uns gerne etwas ausruhen, aber es gibt weiterhin jede Menge zu tun:

  • alle Rechnungen. die mit Spendengelder aus Österreich bezahlt wurden, müssen geprüft, sortiert, nummeriert, unterzeichnet und kopiert werden; die Originale braucht Claudia für das österreichische Finanzamt

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  • Sebastian und ich haben für Nagaland ne Menge Geld ausgelegt und die Abrechnung mit Shuman vom Büro kostet uns Zeit und Nerven; wir haben nicht für alle Ausgaben Belege (Tee, Imbiss, Rickshaws) und er gibt sich ziemlich kleinlich (obwohl ich freiwillig im Voraus auf über 7 000 Rupien verzichte)
  • wir müssen dringend ein paar Proben verschiedener Stampflehm-Mischungen ansetzen; Nripal von Abari hat sich angemeldet, um die Baustelle zu besichtigen und um die Zusammenarbeit mit Sebastian zu besprechen

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  • ein schwer beschädigter Straßenabschnitt sollte dringend repariert werden

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  • der Arbeitsplan für die Bauarbeiter in den nächsten Wochen muss aufgestellt und mit ihnen durchgesprochen werden…

Außerdem kommt wichtiger Besuch, ein Leiter einer Schule aus Hyderabad und ein Professor für Agrarwirtschaft aus Patna. Das alles ist hochinteressant, aber ich bemerke, wie die vielen Gespräche und Fragen, die dabei zwangsläufig aufkommen, mich beginnen zu ermüden.
Der Direktor der medizinisch-technischen Schule ist hier, um sich die Schule anzuschauen und um die Schüler kennenzulernen, die sich für sein College angemeldet haben. Zusätzlich führt er mit den betreffenden Eltern Gespräche. Immerhin ist ein Platz in der Einrichtung nicht billig (Internat, Verpflegung, Bücher…) und er möchte sich vergewissern, dass Eltern und Schüler die Sache ernst nehmen und sich verpflichten, das Beste zu geben. Die Familien in LF könnten sich so einen Platz normalerweise nicht leisten, weshalb LF einen Großteil der Kosten übernimmt, auch das College gibt aus einem Fond einen Teil dazu. Für die Jugendlichen aus dem Dorf ist so ein Arrangement oft die einzige Chance aus der Armut herauszukommen.
Der Professor im Ruhestand aus Patna berät die Verantwortlichen der Milchfarm über ökonomische und hygienische Fragen. Immer wieder gehen hier Kühe aus unerfindlichen Gründen ein, selbst kürzlich gekaufte und der Gewinn aus der Milchwirtschaft ist in Bezug auf die produzierte Menge Milch viel zu gering.

Sebastian und ich genießen nach getaner Arbeit die schöne Stimmung auf unserer Terrasse, die allabendlich zur gleichen Uhrzeit von Schwärmen Krähen heimgesucht wird, die aus Birganj schreiend und kreischend herüberschwirren.

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Sebastian fliegt am Donnerstag nach Kathmandu um seinen Heimflug nach Austria anzutreten. Auch Motilal fährt an diesem Tag weg, um seinen Sohn in das College nach Hyderabad zu begleiten.
Am Abend vorher gibt es eine offizielle Verabschiedung, bei der wir geehrt werden und anschließend wollen die Jungs von der Baustelle für uns kochen. Es gibt Chapatti mit Palak Paneer und einen süßen Nachtisch, dessen Namen ich vergessen habe.

Zwischendurch bekommen wir immer wieder Anrufe von den Fahrern des großen Trucks (übrigens dürfen diese Riesendinger nur nachts fahren), um uns zu informieren, wo er sich gerade befindet. Voraussichtliche Ankunft in Raxaul wird Freitag oder Samstag sein, weshalb ich beschließe so lange zu bleiben, bis der Bambus abgeladen und nach LF verfrachtet ist. Sebastina ist sehr froh darüber! Abdul wird mich dabei unterstützen, er ist so eine Art Vorarbeiter und eine gute Seele. Laxman, der von allen Arbeitern am besten Englisch spricht, wird beim Übersetzen helfen. So habe ich gute Unterstützung, falls es irgendwelche Schwierigkeiten geben sollte.

Von Little Flower nach Nagaland 13.9.2013 – 21.9.2013

13.9.2013

Mein Wecker klingelt um kurz nach vier, fast gleichzeitig mit der Rückkehr der Elektrizität. Erfrischende kalte Dusche, kein Frühstück – dafür empfängt uns draußen ein strahlend heller Orion am Nachthimmel. Mit dem Jeep werden wir zum Bahnhof gebracht, kaufen dort die Fahrkarten nach Hajipur, steigen in den Zug und verbringen die nächsten sechs Stunden mit Schauen, Lesen und vor allem Dösen.

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Ein längerer Aufenthalt auf freier Strecke direkt neben einem kleinen Dorf, lädt uns zum Schauen ein. Unweit der Gleise stehen etwa 15 Strohhütten, umgeben von einem hohen Palisadenzaun. An der Seite zu den Gleisen hin befindet sich ein Eingangstor aus Holz, geschmückt mit bunten Wimpeln und flankiert von einer großen Götterfigur. Auf den zum Dorf gehörenden Feldern stehen drei Frauen im Schatten, in der Nähe liegen zwei fertig geschnürte Ballen mit frisch geschnittenen langen Gräsern.

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Die Frauen beenden ihre Pause, eine von ihnen holt ein langes Bananenblatt und schichtet die Gräser zu einem hohen Haufen auf. Eine zweite kommt hinzu und hilft beim Verschnüren mit dem Bananenblatt. Die Bündel, die sich die Frauen gegenseitig sehr geschickt auf den Kopf laden, haben über einen Meter Durchmesser. Mit einer Hand das Bündel balancierend bringen sie ihre Fracht ins Dorf. Unser Zug fährt weiter.

In Hajipur müssen wir erst noch über den Ganges nach Patna, um von dort unsere Fahrt im bequemeren Brahmaputra-Express mit AC-Sleeper-Class-Abteilen nach Guwahati fortzusetzen. Kaum aus dem Bahnhof heraus, umgibt uns schon eine Traube von Rickshaw-Fahrer, die sich gegenseitig an Lautstärke überbieten. Wir sind froh, Motilal dabei zu haben, der völlig unbeeindruckt von dem Gezerre und Geschrei zielstrebig durch die Menge schreitet. Schließlich finden wir Platz im einem Sammeltaxi, sprich Rickshaw mit 2 Sitzbänken, worin sechs Personen gerade so Platz haben. Obwohl wir eigentlich voll sind, fahren wir nicht los – ein junges Ehepaar mit zwei kleinen Kindern steigt noch zu. Wir fahren über eine ewig lange Brücke, die eine riesige Fläche überspannt. Es dauert eine Weile, bis wir endlich den Ganges unter uns träge und braun dahinfließen sehen.

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Dann geschieht etwas, womit ich hier in Indien nie im Leben gerechnet hätte. Wie überall in den Großstädten Indiens sind hier in Patna die Straßen voll mit Autos, Rickshaws und Trucks, von deren Staub- und dieselgeschwängerten Abgaswolken man sich am Besten mit einem Tuch vor dem Gesicht schützt. Kurz nach der Brücke werden wir von Männern in Zivil links herausgewunken und es dauert eine Weile, bis wir herausfinden weshalb: Abgaskontrolle! Ja genau, Abgaskontrolle. Am Tuk – Tuk! Und die großen und kleinen Trucks donnern rauchend und qualmend an uns vorbei…

Nach 10 Minuten wird es uns zu dumm, wir bezahlen den Fahrer und nehmen ein  anderes Tuk – Tuk, schließlich müssen wir unseren Zug bekommen. Dieser hat dann eineinhalb Stunden Verspätung, nun ja er heißt ja auch Brahmaputra, der bekanntlich ganz gemächlich dahinfließt und den wir erst am Ende unserere Reise, in Guwahati, sehen werden.

15.9.2013

Wir sind froh für die 26 Stunden lange Reise einen einigermaßen bequemen Zug zu haben. Wieder lese ich viel, schreibe oder lege mich zu einem Schläfchen hin. Auch für das leibliche Wohl ist gesorgt. Unermüdlich laufen die Wala die Abteile auf und ab, um in ihrem Singsang lautstark die verschiedensten Waren anzupreisen: Chai, Wasser, Samosas, Cookies, Kokosschnitte, Bananen, Kautabak, Stoffe, T-Shirts. Plastikspielzeug, Werkzeuge, Bücher, Speicherkarten, Headsets, Mobilephones… (und an jedem größeren Bahnhof steigen neue hinzu!). Nach einer relativ ruhigen Nacht fahren wir durch wunderschöne Landschaften, kurz vor Guwahati gewittert es und ein Regenbogen empfängt uns, während ich zum ersten Mal den Brahmaputra sehe, der hier seine schmalste Stelle in seinem gesamten Verlauf aufweist.

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In Guwahati gehen wir zu Fuß zu unserem Hotel, schönes Bad, gute Betten, Fernseher, Klima, Wasserkocher und Teebeutel – etwas mehr Luxus als bisher. Duschen, ein kleines Nickerchen, nach dem Abendessen ein Budweiser auf unserem Zimmer.

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16.9.2013

Nach einem ausgiebigen Frühstücksbuffet, das im Übernachtungspreis inbegriffen ist, treffen wir Kamesh Salam im Restaurant, das von seiner Frau geführt wird. Kamesh fackelt nicht lange, kurze Namensvorstellung, dann möchte er wissen, wie er uns behilflich sein kann. Sebastian zählt seine Punkte auf, Kamesh greift zu seinem Mobile, führt ein paar Gespräche und nach wenigen Minuten sind wir ein gutes Stück weiter.

Die Bambus-Firma erwartet uns für den nächsten Tag direkt in Dimapur und gegen Abend will uns Kamesh Bescheid geben, wie der Transport geregelt wird und was uns das kosten wird. Jede Woche fahren große Trucks mit nagelneuen Autos von Delhi nach Dimapur und wieder leer zurück! Kamesh kontaktiert einen Fahrer, der bereit ist auf dem Rückweg unseren Bamboo mitzunehmen und den Umweg nach Raxaul zu machen. Wir sind happy und verabreden uns mit ihm zum Abendessen.

Trip to Nagaland19 Trip to Nagaland18 Trip to Nagaland20 Trip to Nagaland23 Den Rest des Tages verbringen wir in einem Museum. Zunächst bestaunen wir historische Kostüme, alte Waffen, wunderschöne Masken verschiedener Gottheiten hergestellt aus Bambus, Lehm und Stroh. Danach würden wir uns gerne noch mehr ansehen, aber die restlichen Räume sind geschlossen. Wir stoßen auf einen Angestellten, den wir fragen wofür wir den vollen Eintrittspreis zahlen, wenn das meiste nicht zu sehen ist. Zunächst zuckt er entschuldigend die Schultern, dann zögert er einen Moment und bedeutet uns schließlich zu warten – „just a minute, Sirs“.

Strahlend kommt er mit einem Schlüssel zurück und macht uns verrrry happppy, weil wir nun eine private Führung bekommen. Zunächst durch zwei Stockwerke mit Porträts von berühmten Politiker, Dichter und Denker, einige davon Assamis. Ein US-Amerikaner aus dem 18. Jahrhundert wird besonders verehrt, weil er die verschiedenen Sprachen in Assam neu belebt und durch seine Forschungen vor dem Vergessen bewahrt hat. Das nächste Gebäude ist voll mit Puppen aus aller Welt, alte und moderne, einiges davon richtiger Kitsch. Ein Raum beinhaltet Nachbildungen von Tanzszenen aus ganz Indien. Männer und Frauen in Originalgröße mit wunderschönen Kleidern, in einem Schau-fenster erkenne ich Szenen aus dem Kathakali-Tanz Keralas wieder.

Sebastian fragt unseren personal Guide, ob es in der Bibliothek, die wir angeschrieben sehen irgendwelche Bücher über Bambus gibt und ob wir Zutritt haben. Wir werden zum Bibliotheksleiter geführt, aber leider gibt es nichts über Bambus. Trotzdem stöbern wir ein bisschen herum und ich finde ein altes Sportjournal aus den Achtzigern mit dem Konterfei von Boris Becker!

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Beim Abendessen mit Kamesh gibt es gute Nachrichten. Der Truckdriver, den er für uns gefunden hat, fährt die Stecke von der Grenze zwischen Nagaland und Assam bis nach Raxaul für 25 000 INR, das ist die Hälfte weniger als das Angebot eines anderen Transportunternehmens.

Trip to Nagaland26Während des Abendessens stellt sich heraus, dass Kamesh Salam die Firma Abari kennt und schätzt. Satt und zufrieden laufen wir zurück zum Hotel, Motilal geht schlafen und ich kaufe noch zwei Flaschen Schlafmittel, die ich mit Sebastian vorschriftsmäßig einnehme.

17.9.2013

Frühmorgens zum Bahnhof, auf zu den Nagas nach Dimapur! Wir nehmen dort direkt eine Rickshaw zum Bamboo-Research-Center, in dem mehrere Unternehmen ihren Sitz haben. Es liegt zehn Kilometer außerhalb des einstigen Regierungssitzes des Schachliebhabers König Dima. Eine halbe Stunde Fahrt auf einer der schlimmsten Straßen, die mein Rücken bisher erleiden musste.

Das Bamboo-Research-Center ist wohltuend grün und – sauber! Wo man auch hinschaut: Bamboo, Bamboo, Bamboo. Ein offenes, überdachtes Restaurant, ein rundes, halboffenes Ausstellungshaus, ein sehr schöner Spielplatz, eine Bamboo-Baumschule und schließlich ein Verkaufsraum, in dem Buchstützen, Götterfiguren, Lampen, Kästchen, Döschen, Nachbildungen von Tempeln, Schalen, Tabletts, Teller, Tassen und allerlei anderer Schnickschnack zu finden ist.

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Bruecke

Das Highlight ist eine Schnitzerei mit Bob Marley, daneben ruht eine wunderschöne Gitarre im Regal! Später werde ich hier ein paar Trinkbecher und Kugelschreiber erstehen. Ach ja, natürlich – endlich gelangen wir in die die große Halle, in der unsere 500 Bambusstangen auf uns warten.
Unzählig verschiedene Bambusstangen in unterschiedlicher Länge, Dicke und Qualität liegen mehr oder weniger geordnet herum; unsere Stapel ist der größte, obenauf ein Schild: BIHAR. Sebastian begutachtet die Ware und ist zufrieden, die Stimmung befindet sich nach der strapaziösen Anfahrt von Little Flower nach Dimapur auf einem sehr hohen Niveau!

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Wir fühlen uns sehr wohl auf dem Gelände, das für indische Verhältnisse sehr sauber und ordentlich ist, viel Grün, schöne Arbeiten mit Bambus und vor allem wohltuend ruhig. Wir starten eine Besichtigungstour, kommen mit vielen Leuten ins Gespräch und erzählen dabei von unserem Projekt.

Es ist inzwischen Nachmittag geworden und es wird Zeit nach Dimapur zurückzukehren um eine Übernachtungsmöglichkeit zu finden. Einer der Firmeninhaber auf dem Gelände nimmt uns freundlicherweise mit seinem Jeep mit in die Stadt. Unterwegs erzählt er ein bisschen von Nagaland. Mehr als 90% der Bevölkerung sind Christen und davon weit über die Hälfte Baptisten. Es gibt 22 Tribes von den einige in früheren Zeiten die Köpfe ihrer Feinde als Trophäen nahmen, um sie anschließend zu schrumpfen. „Seit wir Christen sind tun wir das nicht mehr“, versichert er uns mit einem spitzbübischen Lächeln. Drei neue Stämme wurden erst kürzlich entdeckt, von denen man jedoch noch nicht viel weiß.

Die erste Nacht verbringen wir in einem Government Guest House, weil es hier angeblich sicher ist. Nach dem Essen in einem sehr guten Straßenlokal gehen wir noch in das große ehemalige Palastgelände des Königs Dima, in dem Reste der überlebensgroßen Schachfiguren zu sehen sind.
Motilal und Sebastian haben schnell genug und gegen zurück ins Hotel, während ich noch bleibe um noch eine Weile zu fotografieren. In der Ferne sehe ich Naga-Frauen, die im Gras und in den Büschen irgendetwas aufsammeln. Plötzlich kommt ein junger Naga mit einem Gewehr direkt auf mich zu, lädt durch und läuft schnurstracks an mir vorbei. Dann schultert es seine Waffe und stapft durchs hohe Gras in Richtung der Frauen.

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18.9.2013

Das Guesthouse ist nicht so der Bringer. Kein Mensch zu sehen an der Rezeption, keine Security am Eingang und Frühstück gibt es auch nicht. Wir beschließen diesen Ort zu verlassen und ziehen um ins ‚da Oriental Dream‘, das im Gegensatz zum Government Guest House mehr Sicherheit ausstrahlt, da es hier immer mindestens einen bewaffneten Security-Guard gibt. Außerdem patrouillieren auf der gegen-überliegenden 200 m langen „Shopping Mall“ ständig (hübsche) Soldatinnen, auch nachts.

Habe ich schon erwähnt, dass Nagaland eine unsichere Gegend ist? Also gut: es gibt immer wieder bewaffnete Konflikte, Anschläge, Entführungen und Morde mit politischem Hintergrund. Marxistische Gruppierungen, die angeblich von China finanziert werden, sorgen für enorme Unruhe. Zur Zeit ist Wahlkampf und ich lese in der Zeitung, dass heute Nacht der Führer einer Partei im Dschungel tot aufgefunden wurde, hingerichtet mit zwei Schüssen in Brust und Stirn. Zwei entführte Farmer sollen heute frei gelassen werden und es ist nicht klar welche Extremisten dahinter stecken. Außerdem gab es eine Schießerei und einen Überfall beim Geldautomaten um die Ecke. Also bleiben wir, sofern wir nicht im Bamboo-Research-Center sind, brav im Hotel, vor allem nachts.

Heute sind wir sehr früh im NBCD (Nagaland Bamboo Center Dimapur), es gibt eine Menge zu besprechen und zu erledigen. Papiere fertig machen, Fahrer und Truck für die kurze Strecke zur Grenze Assams finden, die Zahlung abwickeln, Kontakt mit dem Fahrer des Überlandtrucks aufnehmen, Zoll und Steuern klären sowie die Bambuszucht besuchen um die Frage zu klären, ob man eine eigene Pflanzung in Little Flower ins Auge fassen kann. Auch der zukünftige Kontakt im Fall von Wiederbestellungen sollte besprochen werden.

Wir kommen wiederum gut durchgeschüttelt im Center an und erfahren, dass heute und morgen ‚The World Bamboo Day 2013‘ in Dimapur abgehalten wird. What a timing! Viele Aussteller zeigen und verkaufen ihre Produkte, Stände mit Köstlichkeiten sind aufgebaut und aus dem Lautsprechern dröhnt ausschließlich westliche Musik.

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Der schwierigste Part für heute ist der mit dem Beamten, den wir heute morgen um 10.00 Uhr treffen sollten. Wir werden auf 2.00 Uhr vertröstet, weil der gute Herr noch schläft, gestern war ja Feiertag!

Sebastian und Motilal sind den ganzen Nachmittag mit Mitarbeitern der Firma unterwegs um den Kram zu erledigen. Dabei bin ich keine große Hilfe, so bleibe ich im Bamboo-Center und genieße dort den World-Bamboo- Day. Ich klappere die einzelnen Stände ab, werde hier zum Tee und dort zum Essen eingeladen, komme mit vielen Leuten, hauptsächlich Nagas, ins Gespräch, gehe auf dem weitläufigen Gelände spazieren, schaue mir die verschiedenen Bambusarten an oder sitze im Bamboo Restaurant, um frisch gepresste Säfte zu trinken.

ZuchtpflanzenSpäter lerne ich Lormak kennen, einen Naga vom besten und stolzesten Stamm, wie er mir erklärt. An seinem Stand gibt es einen besonderen Tee mit speziellen Gewürzen, lecker Essen und hausgemachte Süßigkeiten. Bedauerlicherweise bin ich schon satt und ich vertröste ihn auf morgen. Mein einziger Job für heute ist ein bisschen Email-Verkehr mit Kabita. Es gibt Probleme mit der Banküberweisung, LF konnte die Rechnung nicht überweisen, weil eine Nummer fehlt, die man für den Transfer von einem Staat zum anderen braucht. Die Prozedur ist um einiges komplizierter als eine Banküberweisung von Deutschland in irgendein Land in Europa.

Bei Einbruch der Dunkelheit kommen Motilal und Sebastian einigermaßen erfolgreich zurück. Truck, Fahrer und Arbeiter für Be- und Entladen sind organisiert, unser lieber Beamte (der Feiertag wurde wohl sehr intensiv gefeiert) hat erst morgen wieder Zeit für uns. No problem, Sir, tomorrow at 10.00 hrs (wobei dies oft einfach nur bedeutet: irgendwann morgen früh oder nachmittags – selbstverständlich nicht vor 10.00 hrs)! Unsere Stimmung sinkt etwas…

19.9.2013

Heute beginnt endlich das Beladen des Bamboo, natürlich nicht ohne Hindernisse. Erstens stellen wir beim Zählen fest, dass unser Stapel keine 500 Bambusstangen enthält, sondern nur 380 (Stimmung sinkt ein bisschen tiefer), but no problem, wir dürfen uns von einem anderen Haufen die fehlenden aussuchen. Zweitens macht der Truckdriver etwas Stress. Als er am Nachmittag ankommt, ist er erstaunt über die Größe unseres Bamboo. Er braucht zwei Fahrten dafür (was uns klar war, schließlich kennen wir die kleinen Trucks), also will er jetzt nochmal 7 000 Rupees! Unsere Stimmung? Ja klar, noch weiter gesunken! Wir sind etwas sauer auf den einen Mitarbeiter der Firma, der beim Aushandeln des Transports dabei war. Schließlich müsste er ja wissen, dass eine Fahrt nicht ausreicht. Ich erlebe Sebastian zum erstenmal richtig genervt.

Die stressige Anfahrt, zähe Verhandlungen, zu wenig Bamboo, der Beamte und nun dies. Außerdem läuft uns die Zeit davon, die Rückfahrt ist bereits für morgen gebucht, also MUSS das Be- und Entladen heute erfolgen, koste es was es wolle. Wir streiten und verhandeln, die Diskussion dreht sich im Kreis. Schließlich hat Sebastian genug und entfernt sich. Okay, jetzt lasse ich meinen Gefühlen freien Lauf und werde in meinem besten Englisch sehr laut und energisch. Sebastian kommt zurück, eine letzte Runde Austausch von Argumenten, schlussendlich ist der Fahrer bereit die beiden Fahrten für 10 000 Rupien zu machen. Das Laden kann beginnen!

Das erste Laden dauert zwei Stunden, anfangs standen wir noch dabei und haben überprüft, ob die Jungs von der Firma auch mitzählen. Wir sehen, dass alles passt und ziehen uns ins Restaurant zurück und gönnen uns etwas. Endlich verlässt die erste Ladung das Gelände, Motilal fährt mit Geld und den Papieren mit an die Grenze. Währenddessen machen Sebastian und ich uns an die Arbeit und wählen aus verschiedenen Stapeln zunächst 60 Stangen aus und laden sie auf unseren Stapel. Nach einer Stunde schweißtreibender Arbeit beenden wir verdreckt, verschmtutzt und durstig den ersten Teil des Berges. Eine Stunde Pause, dann kommen die nächsten 60 Bambusstangen dran. Das Problem ist, dass die besten Stangen jeweils unten in den Stapeln liegen. Obere Schichten abtragen, dann auswählen, danach zu unserem Stapel tragen. Wir sind froh, dass wir fertig werden, bevor es dunkel wird. Der Truck ist noch nicht zurück und wir gehen zum Abendessen.

Mir tut mein Rücken ganz ordentlich weh. Die holprigen Rickshawfahrten und die -zig Bambusstangen… so denke ich zunächst. Ich werde eines besseren belehrt als ich die Toilette aufsuchen – ich pisse ziemlich rot! Damit ist nicht zu spaßen, ich hatte das schon einmal.

Gut, ich gehe zu Sebastian und erkläre was los ist. Er muss im Center bleiben um auf den Truck und Motilal zu warten. Also gehe ich zu Lormak und frage nach dem nächsten Arzt oder Krankenhaus. Keine gute Idee, jetzt nach Einbruch der Dunkelheit alleine das Center zu verlassen. Ich bin etwas ratlos, aber er macht sich sofort auf den Weg, um jemand zu finden, der mir helfen kann.

„No problem, just a minute.“

Er kommt mit einem älteren Herrn zurück und dieser hat für mich ein Auto und einen Fahrer. Das nächste Krankenhaus sei nur 3 km entfernt.

„Okay, Sir – no problem.“

„Yes, problem Sir“, weil mein Geld im Safe im Hotel ist und ich nicht weiß, was mich das Ganze kosten wird.

„No problem, Sir. Here you have my money and my driver. He will take care of you!“ Also, ab ins Krankenhaus. Ein christliches, wie mir der Fahrer erklärt.

 Im Krankenhaus ist nichts los. Vier Schwestern sitzen herum, sie sprechen etwas Englisch, verstehen aber nicht ganz was mein Problem ist. So messen sie erst mal Fieber, Blutdruck und Puls, bis ein junger Arzt erscheint. Der drückt hier und da, stellt tausend Fragen, schaut in Auge, Nase, Mund und Ohr. Nachdem er noch mal den Blutdruck gemessen hat und meinen Rücken durchgeklopft, meint er dass etwas mit meinen Nieren nicht in Ordnung zu sein scheint. Yes, I told you. Nun bekomme ich eine Infusion, eine Spritze intravenös und eine hammermäßige in den Hintern. Der Fahrer holt inzwischen Antibiotika, Schmerzmittel und anderes Zeug aus der Apotheke. Nach einer dreiviertel Stunde verlassen wir wieder das Hospital. Im Bambus-Center suche ich meinen Helfer auf, der jedoch sich weigert die 600 Rupien, die ich bezahlen musste anzunehmen.

„I helped you, you’ll help others, that’s enough!“ Tja, das ist eben auch ein Aspekt Indiens…

Eine halbe Stunde später kommt Motilal und jammert uns sein Leid. An jeder Kontrollstation von hier bis zur Grenze musste er die Polizei bezahlen und die Arbeiter hatten bei der Ankunft erst mal ein Pause eingelegt. Jetzt warten sie erst mal auf ein Abendessen, bevor sie weiterarbeiten werden. Es ist schon nach 8.00 Uhr, das bedeutet Nachtschicht. Um 9.00 Uhr geht es dann endlich weiter, jedoch sehr gemütlich mit Rauchpausen dazwischen (ne, ne, keine Zigarette – die kann man ja rauchen ohne die Arbeit zu stoppen…).

Kurz vor Mitternacht sind wir dann fertig und wir wollen nur noch ins Hotel, denn um 5.00 Uhr sollten wir aufstehen. Motilal hat eine lange Nacht vor sich, er soll mit an die Grenze um das letzte Be- und Entladen zu überwachen. Der Fahrer reagiert sehr energisch, als er hört, dass Sebastian und ich alleine zum Hotel fahren wollen. No way, too dangerous. You go with us. So kommen wir zu unserer ersten Fahrt in einem indischen Truck. Wir werden direkt vor das Hotel gefahren und der Fahrer wartet, bis die Guards uns ins Hotel lassen.

20.9.2013

Ich komme kaum auf die Beine als der Wecker klingelt, schlecht und zu wenig geschlafen, die Niere mickert und es gibt so früh nichts zu essen. Mein Highlight für heute habe ich auf der Toilette, mein Urin ist heller geworden. Motilal kammt mit seinem letzten Geld zurück, wieder musste er die Polizisten schmieren. Egal, der Bambus ist im Kasten und wir fahren jetzt heim! Bei der Rückfahrt kommen wir wieder durch Guwahati und erneut zeigt sich am Himmel ein farbenfroher Regenbogen und beeindruckende Wolkenformationen.

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Dimapur - Guwahati

21.9.2013

Um Mitternacht sind wir endlich wieder zurück in in Raxaul. Gopal holt uns mit seinem Jeep ab. In LF fallen wir wie tot ins Bett. Bamboo-Tour Ende!

Little Flower – Die Baustelle

Der Hauptgrund für die Entscheidung in Little Flower zu bauen war/ist die Hoffnung, durch komfortable, gute Wohnungen einen Anreiz für Lehrer zu schaffen nach LF zu kommen, einschließlich der Hoffnung, dass diese auch bessere Lehrer sind. Geplant wurden vier Wohnungsabschnitte mit Erdgeschoss sowie Obergeschoss und außerdem eine große, sich daran anschließende Gemeinschaftshalle. Hier Bilder mit den Plänen:

Pläne1 Pläne2

Sebastian Vilanek, der Chef auf der Baustelle, studiert Architektur in Linz und war schon an mehreren Projekten in der Dritten Welt beteiligt, so zum Beispiel bei einem Schulhausbau in Südafrika. Hier in LF war von Anfang an der Gedanke, so zu bauen, dass die Arbeiter etwas für sich lernen und in die Lage versetzt werden, die beim Projekt gelernten Fähigkeiten und Kenntnisse für sich anzuwenden und vor allem mit Materialien bauen zu können, die nicht schwer zu beschaffen sind. Deshalb werden hier folgende Methoden und Materialien verwendet:
Weller-Bau-Technik, Rammed Earth (Stampflehm), Adobe Bricks (luftgetrocknete Lehmziegel), Bambus.

Baustelle1

Baustelle2

Um den Arbeitern hier so viel wie möglich zu bieten, wurden sie auf einen Workshop nach Nepal eingeladen, wo sie Baustellen besichtigen können, auf denen auch mit Lehm und Bambus gebaut wird. Durch den Aufbau eines Kontaktes mit der Firma Abari (http://abari.org/) während des Aufenthaltes in Nepal, konnte man Abari dafür gewinnen unsere Arbeiter für vier Wochen auf Baustellen in Nepal Erfahrungen sammeln zu lassen (und nebenbei gutes Geld zu verdienen), außerdem wird Nripal von Abari im Februar nächsten Jahres in LF vor Ort sein und sowohl für die Arbeiter in LF, als auch für die dann anwesenden 15 Studenten von der Uni Linz einen Workshop abzuhalten. In dieser Zeit soll dann die Community Hall fertiggestellt werden.

Sebastian und sein Team sind sehr froh, das erreicht zu haben. Abari ist ein großer Gewinn für LF!

Dach1Lehrerwohnungen2 Lehrerwohnungen3 Lehrerwohnungen4 Lehrerwohnungen5 Lehrerwohnungen6

Während meines Aufenthaltes in LF gibt es ein Menge Arbeit zu erledigen: zum Schutz der Gebäude werden auf den fertiggestellten Erdgeschosswohnungen provisorische Dächer angebracht, Fensterrahmen eingebaut, eine Sitzbank bei der Community Hall an der Seite zur Straße hin errichtet und die Sickergrube für den Überlauf des Septic Tanks gegraben. Außerdem haben wir verschiedene Stein-Lehm-Sand-Mischungen getestet, um die beste Mischung für die Arbeit mit Rammed Earth zu bekommen.

Stampflehm03 Stampflehm04 Stampflehm05 Stampflehm06 Stampflehm07 Stampflehm08 Stampflehm02 Stampflehm01 Stampflehm10 Stampflehm09 Stampflehm11

Die Jungs gehen ganz schön zur Sache und ich sehe wie professionell sie vorgehen. Mitunter gibt es jedoch Leerlauf, vor allem wenn Sebastian nicht dauernd anwesend ist. Am eifrigsten ist die Truppe dabei, als wir zwei Tage vor Sebastians Abreise einen Straßenabschnitt auf dem schmalen Zugangsweg zu Little Flower reparieren. Die Fahrbahn ist hier in einem schrecklichen Zustand, die Fahrzeuge mussten anhalten und im Schritttempo über die beschädigte Stelle fahren. Das ganze Dorf ist froh, dass hier für Abhilfe gesorgt wurde.

Straßenarbeiten01 Straßenarbeiten02 Straßenarbeiten03 Straßenarbeiten05 Straßenarbeiten04 Straßenarbeiten06 Straßenarbeiten07 Straßenarbeiten08

Im Februar dieses Jahres wurde Bambus aus Nagaland geordert, der bis jetzt noch nicht ankam. Der Hauptgrund scheinen Streiks von LKW-Fahrern gewesen zu sein und dann Probleme in der Kommunikation. Der Kontakt mit der Firma in Dimapur, Nagaland, wurde durch Kamesh Salam, so eine Art Bamboo-Guru in Asien, hergestellt. Aus unerfindlichen Gründen schlief dieser Kontakt ein. Für den weiteren Bau in LF wurde jedoch dringend guter Bambus gebraucht und zum Glück gelang es Sebastian den Kontakt wieder herzustellen. Der Bambus liege bereit und die Firma warte auf uns, was bedeutet, dass wir dorthin fahren werden, um unseren Bambus abzuholen. Anscheinend will die Firma bei einer so großen Bestellung sicher gehen, dass sie zu ihrem Geld kommen, sprich wir müssen Cash bringen!

So kommt es also zu der Reise nach Nagaland, die Sebastian nicht ohne mich machen will. Verständlich. Also wird mein Projekt ‚Unterricht in LF‘ gestrichen und das Abenteuer mit dem Bambus kann beginnen. Wenn ich da gewusst hätte, was auf mich zukommt…

Little Flower – Die Weberei

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In der Weberei, die eine sehr bedeutende Einnahmequelle für Little Flower darstellt, arbeiten rund 40 Frauen. Sie spinnen, weben, nähen, schneidern und waschen. Die Seide, die in LF verarbeitet wird stammt aus Assam und ist eine sogenannte Non-Violent-Silk, was bedeutet, dass der Falter aus dem Kokon schlüpfen kann, bevor mit dem Haspeln des Seidefadens begonnen wird (bei der üblichen Gewinnung von Seide wird die Puppe im Innern des Kokons durch heißes Wasser oder Wasserdampf getötet). Außer den Schals werden auch Betttücher, Hemden, Pyjamas und Kurtas aus Baumwolle gewebt.

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Die Khadi macht ihren Hauptumsatz durch Schalbestellungen aus Österreich und ist somit noch stark von Spendern abhängig. Beim Kauf eines Schals von Europa aus zahlt man nicht den eigentlichen regulären Preis (400 – 600 INR). Die Käufer bekommen für ihre Spende in Höhe von 25 Euro als Dankeschön einen Schal, natürlich darf man sich vorher im Internetshop den passenden Schal aussuchen.
Mit Shiv, der die Khadi leitet, suche ich zehn Schals aus, die ich bei meiner Weiterreise mitnehmen werde, um beim Knüpfen von Geschäftskontakten, vor allem in Varanasi, einige Beispiele unserer Waren direkt zeigen zu können. Shiv freut sich und ich hoffe ich kann für ihn etwas erreichen.
In der Weberei sind natürlich auch Kinder, jedoch nicht zum Arbeiten. Ihre Mütter sitzen vor den Spindeln, Webstühlen oder Nähmaschinen, während die Kleinen ihnen zwischen den Füßen herumspringen oder mir beim Fotografieren Gesichter drehen.

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Wenn man die Weberei besuchen will, sollte man nicht gerade zur vollen, halben oder viertel Stunde den Eingangsbereich betreten oder verlassen. Es sei denn man hat sehr gute Ohrenstöpsel dabei. Am Eingang hängt nämlich ein sehr großer Gong, der sehr gewissenhaft von morgens bis spät nachts zur entsprechenden Uhrzeit geschlagen wird. Zwei sehr ältere Herren teilen sich diese Arbeit, die aus Gründen der Tradition nicht eingestellt wird.

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Diese Einrichtung ist (außer eine ständig keifenden jungen Frau) nach dem Muezzin die zweitlauteste Geräuschquelle in Little Flower.

Little Flower – Das Hospital

Krankenhaus1 Krankenhaus2

Das Gebäude ist für meinen Geschmack von außen eines der schönsten in Little Flower, im Inneren jedoch mit das traurigste. Das Hospital ist eigentlich überfüllt, ich sehe kein freies Bett in den Krankensälen, in denen vorwiegend ältere Patienten liegen. Immerhin gibt es in den meisten Räumen einen Fernseher und nicht zu vergessen, die Leprakranken liegen inzwischen alle auf den neuen, erst kürzlich angeschafften Betten (für die man übrigens spenden kann; der Spendername wird dann jeweils am Bett angebracht. Näheres dazu auf: http://littleflower-india.org/).

Leider müssen im Moment einige Patienten in Nebenräumen ohne Fenster und Ventilatoren liegen, manche sogar auf dem Boden. Durch den Anbau einer Intensive-Care-Unit soll so bald wie möglich Abhilfe geschaffen werden. Zur Zeit gibt es 140 Patientinnen und Patienten,die von ungefähr 45 Pflegerinnen und Pflegern betreut werden.
Einmal pro Woche werden die Verbände geöffnet und die Wunden frisch versorgt. Abraham, der Leiter des Krankenhauses lädt mich ein zuzuschauen, sofern ich mit schlimmen Wunden, verstümmelten Gliedmaßen usw. keine Probleme hätte.

Head of Hospital AbrahamAbraham, Head of Hospital

Wundversorgung

Wundversorgung2 Wundversorgung4 Wundversorgung5 Wundversorgung6

Die Prozedur am Patienten geht dann jeweils sehr professionell vonstatten. Vorsichtig werden die Verbände abgewickelt, die Wunden inspiziert und gesäubert. Die Pfleger tragen Handschuhe und Mundschutz, das verwendete Besteck kommt nach der Benutzung sofort in eine Desinfektionslösung.

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Danch zeigt uns Lal Babu ganz stolz seine Apotheke und vor allem die Behälter mit dem frisch aufbereitetem Woundex.

Lal Babu

Sebastian mit Lal Babu, Apotheker und Urgestein im Dorf

Medikamentenschrank WoundEx_unready WoundEx_ready

Hier im LF-Hospital gibt es zwei Möglichkeiten, die Wunden zu behandeln. Die übliche Art und Weise mittels eines Bades der betroffenen Stellen in einer Jodlösung oder die trockene Behandlung mit Woundex (Kurzbeschreibung: mit Jod versehenes Zeolite-Granulat, das in verschieden große Baumwollsäckchen eingenäht wird; näheres dazu unter http://www.woundex.cz/en/).
Informationen zu Lepra findet ihr auch auf: http://littleflower-india.org/krankheit/ ; dort ist das Ganze besser beschrieben als ich es hier könnte.

Little Flower – Die Schule

In Little Flower gibt es einen Kindergarten und Schulklassen fuer 8 Schulstufen, die von ca. 15 Lehrkräften unterrichtet werden. Insgesamt gehen 300 Mädchen und Jungen hier zur Schule, ungefaehr 150 davon sind aus den umliegenden Kolonien von LF und wohnen deshalb in den beiden Hostels hier, eines für Jungs, eines für Mädchen, so wie es sich gehört. Die Klassenzimmer sind unvorstellbar klein, meistens sitzen bis zu 20 Mädchen und Jungen auf schmalen Holzbänken an ebenso blauen Tischen in einem Raum mit nicht mehr als rund 15 m2. Nur die Klassen 4 – 6 haben es besser, sie sind in einem neueren, von der Regierung gebauten Gebäude untergebracht und haben gut die Hälfte mehr Platz und dies ist auch der einzige Vorteil, den dieser neuere Bau besitzt. Am schlimmsten haben es die Kleinen von 1 – 3 erwischt, die ihren Aufenthalt auf einer überdachten Fläche an der Rückseite des Altenheimes fristen müssen. Der Vorteil der frischen Luft wird durch den Umstand aufgehoben, dass die Sonne unbarmherzig auf die Schüler scheint. Immerhin hat Sebastian mit anderen Studenten sehr zweckmäßige Regale gebaut. Als Raumteiler konzipiert befinden sich auf der einen Seite Fächer für die Schüler und auf der anderen Seite eine Tafel.

Schule

Ich erinnere mich an meinen erster Rundgang durch die Schule – das war schon sehr eigenartig. Sobald ich ein Klassenzimmer betrete, stehen alle Schüler gleichzeitig auf und grüßen mich brav mit lautstarkem Singsang im Chor:

„Good morning, Sir!“

Sie bleiben so lange stehen, bis man ihnen bedeutet sich zu setzen. Beim Verlassen bekomme ich wieder Chorgesang. Das ganze habe ich fünfmal, bis ich die Klasse des Schulleiters Mr. Mansuri betrete, der gerade zwei Klassen beaufsichtigt. Kaum wurde ich vorgestellt, fasst mich Mr. Mansuri am Arm und teilt der Klasse mit:

„This is your new teacher, now.“, und zu mir gewandt: „If you are finish here, I’ll show you next class!“

Das ist mir dann doch zu schnell und so unvorbereitet möchte ich nicht anfangen. Sebastian bemerkt mein Zögern und rettet mich mit dem Hinweis, dass er gerade dabei sei mir alle Einrichtungen zu zeigen. Ich vertröste ihn auf übermorgen (woraus leider nichts werden wird, wie sich bald herausstellen sollte).

Ein älterer Junge, der so eine Art Tutor ist, kommt auf die Terrasse und fragt mich, ob ich mich mit ihm täglich eine Stunde unterhalten könnte, damit sich sein Englisch verbessere. Am ersten Abend stellt sich heraus, dass das sehr mühsam werden wird, da er die einfachsten Fragen nicht versteht.

Do you have any hobbies?
Yes, yes!
Which one?
Yes, yes, sure.
Which hobbies do you have?
Ha?
Hobbies!!
Oh, no.
… durchatmen, nächste Frage.

Little Flower – Das Dorf

In der Nacht in der wir ankamen, war ich zunächst etwas irritiert und betroffen als Gopal im Dorf mit dem Jeep anhalten muss, um schlafende Kinder durch Rufen aufzuwecken, damit wir auf der schmalen Dorfstraße weiterfahren können. Ich lerne, dass das völlig normal ist, denn in den Häusern ist es zu dieser Jahreszeit schlichtweg zu warm im Inneren, außerdem sind die Wohnungen sehr beengt. Also schlafen viele vor ihren Wohnungen, meistens die Kinder und Frauen. Manchmal unter kleinen Moskitozelten, auf Decken und nicht selten auf dem nackten Boden.

Einige Dorfbewohner besitzen einen Shop, einen einfachen Verschlag aus Holz oder den vorderen Teil der Wohnung, in dem der übliche Krimskrams verkauft wird – unsere abendliche Quelle für Schokokekse, Chips, Sprite oder Cola. Viele arbeiten im Krankenhaus, in der Weberei oder auf der Baustelle. Es gibt Tischler, Fischer, Koechinnen und zwei Fahrer (one is very very crazy, the other is Gopal, the best…). Nicht wenige arbeiten auf dem Markt in Raxaul oder auch als Rickshawdriver, manche gehen einer Arbeit im benachbarten nepalesischen Birganj nach. Insgesamt leben zurzeit rund 700 Menschen in Little Flower.

Das Treiben im Dorf beginnt recht früh, schon kurz nach fünf Uhr morgens höre ich Rufe, Klappern mit dem Geschirr, oft singt jemand, der Geruch von Kochfeuer dringt in unsere Zimmer und der Muezzin war vor ne Stunde auch schon dran.

Muezzin_1

Meistens kommt eine der Küchenfrauen bis an unsere Zimmer und weckt uns zum Frühstück. Breakfast, Sir.
Auf dem Tisch der großen Terrasse stehen abgedeckte Schüsseln, die Krähen auf der Mauer scheinen sie zu bewachen. Wir setzen uns zu Tisch und bewachen unser Frühstück jetzt lieber selber.

Die Menschen im Dorf begegnen mir meistens freundlich und vor allem die Kinder üben ihre raren Englischkenntnisse an mir aus. Durch das Dorf zieht sich ein langer Hauptweg an dem entlang sich die meisten Behausungen befinden. Auffallend ist, daß überall auf den Wegen und Straßen Müll fallen gelassen wird. Es gibt einen schönen kleinen Teich im Zentrum, mit Enten und Fischen und Plastik. So habe ich das bei einem „geführten“ Dorf nicht erwartet. Es gibt eine Menge Komitees in Dorf, vielleicht sollte man mal eines für den Umgang mit dem Müll einrichten…

Little Flower Leprosy Village

7.9.2013

Trotz der anstrengenden Fahrt, der kurzen Nacht und des unterbrochenen Schlafes wache ich einigermaßen munter auf. Nach dem Frühstück mit Aloo Ghobi und Chapatti lerne ich Kabita Bhattarai, die Leiterin von Little Flower kennen (mehr unter: http://littleflower-india.org/en/india/). Der erste Gang für heute ist die Besichtigung der Baustelle und ich sehe live, was ich bisher nur von Bildern kannte. Sebastian geht mit Iris durch, was bis jetzt gelaufen ist, was in den nächsten Wochen getan werden kann und wo es noch offene Fragen gibt.

Dann fährt uns Gopal zur indischen Grenzstation, damit wir unseren Ausreisevermerk im Pass bekommen; das dauert, erst füllen wir ein Formular mit unseren Daten aus, dann wird alles in ein großes Buch sorgfältig per Hand eingetragen, begleitet von unzähligen Fragen des Beamten.

Inzwischen ist es Mittag geworden und wir gehen zurück auf unsere Terrasse, um das Mittagessen – Aloo und Sabji, wunderbare Kartoffeln und Gemüse, meine Hauptmahlzeit in LF – einzunehmen und sprechen über die anstehenden Aufgaben.

Am Nachmittag besuchen wir Abraham, der das Lepra-Hospital leitet, und Lal Babu, ein Urgestein im Dorf. Stolz zeigt er uns den Medikamentenschrank, das medizinische Besteck und – was mich im Moment am meisten interessiert – den Raum, in dem das Woundex produziert wird. Wir checken gleich die fertigen Säckchen und die Vorräte. Leider fehlt im Moment das Jod, um weitere Woundex-Säckchen herzustellen.

Lal Babu

Medikamentenschrank

WoundEx_unready

WoundEx_ready

Eigentlich soll für Lepra India in naher Zukunft produziert werden, jedoch kam von dieser Seite bisher keine klare Antwort. Wir schätzen, dass der Vorrat an fertigem Woundex für den Bedarf in Little Flower noch für ca. zwei Monate reichen wird. Gegen Ende meines Aufenthaltes stellt sich heraus, dass das eine ganz komplizierte Geschichte ist…

Gegen Abend findet mit den Workshopteilnehmern eine Abschlussbesprechung statt, in der die Erfahrungen im Nepal rekapituliert werden und jeder die Gelegenheit hat der Gruppe mitzuteilen, was ihm am besten gefallen hat. Einige haben sogar konkrete Vorstellungen, was sie umsetzen möchten. Am Ende gibt es sogar noch süße Bällchen, da einer der Arbeiter in der Nacht als wir zurückkamen Papa wurde. Sebastian und ich werden von ihm für ein paar Tage später eingeladen, wenn die Namensgebung gefeiert wird.
Später am Abend gibt es ebenfalls einiges zu tun. Dringende Anfragen aus Österreich, Rechnungen sind nicht vollständig, der Bericht über Woundex wird gebracht, Faber Castell spendet für ein Projekt und möchte über Einzelheiten informiert werden… Wir machen uns am die Arbeit in dem Glauben, dass das schnell erledigt ist, haben jedoch einen hartnäckigen Gegner, mit dem wir uns die nächsten Tagen heftige Kämpfe liefern: das Internet. Entweder völlig down oder zu lahm und instabil. Wichtige Emails kommen nicht an oder gehen nicht ab, was vieles so unendlich mühsam macht und uns bei der Arbeit blockiert.
Mit ein Grund, weshalb mein Blog verwaist aussieht und nicht aktuell ist, geschweige denn mit Bildern aufgelockert werden kann.