Jaisalmer 23.10.2013 – 27.10.2013

Golden City

Jaisalmer, die goldene Stadt in der Wüste Thar im Osten Rajasthans, liegt rund 100 Kilometer von der pakistanische Grenze entfernt. Das Stadtzentrum ist eine mittelalterliche Festung, die auf dem 500 Meter langen und 120 Meter breiten Trikuta-Felsen liegt.
Meine erste Unterkunft ist das weit außerhalb des Zentrums gelegenen Artist-Hotel, dessen einziger Vorteil der kostenlose Abholservice ist. Im Artist finde ich keinen anderen Gast und die angekündigten abendlichen Musikkonzerten fallen wohl auch ins Wasser. Das wäre alles nicht so schlimm, aber das Zimmer ist ein kleines dunkles Loch – okay, hart an der Grenze, geht gerade noch – aber das Bad ist unter aller Kanone. Aber ich mache mich erst einmal ortskundig und laufe zur Festung rüber.
Die Burg ist wunderschön angelegt, Kopfsteinpflaster, schmale Gassen, Fledermäuse, verwinkelte Ecken, kleine Aussichtstürme und jede Menge Restaurants, die alle mit dem gleichen Attribut werben: Best Sunset View Point of Town! Leider geht es in der Festung sehr touristisch zu, ein Shop nach dem anderen und ständig hört man
‚Come in my shop. Only look, not buy!‘
wobei eigentlich gemeint ist
‚Come in my shop. First look, then buy!‘ Ab und an schaue ich in einen rein und trinke einen Tee, gekauft wird jedoch nichts.
Von einem Aussichtspunkt aus blicke ich auf die Landschaft und genieße die frische Brise hier oben. Der Nachmittag neigt sich dem Ende zu und ich suche mir ein Restaurant, ja genau, das mit dem besten Sunset View! Der Sonnenuntergang ist dann wirklich atemberaubend schön, das Essen ist vorzüglich und das Kingfisher muss heute einfach mal sein!
Auf dem Rückweg überkommt mich die Lust auf einen richtig guten Kaffee und ich nehme kurz nach dem Stadttor eine kleine Seitengasse, in der einige Guesthouses mit ‚Restaurant Bar Coffee‘ werben. Das Jeet Mahal sieht ganz ansprechend aus und auf der Dachterrasse treffe ich ein junges, nettes Paar sowie den lustigen Angestellten Ali. Es gibt viel zu lachen und nebenbei bekomme ich gute Tips für meine geplante Wüstentour. Bevor ich gehe schaue ich mir noch die Zimmer an. Whow, viel Platz, sehr nett eingerichtet, großes sauberes Bad, gleicher Preis wie im Artist – morgen ziehe ich um!

Art

Bei meinem zweiten Gang durch die Festung lerne ich Kamal Swami kennen, einen feinen Künstler, der sich auf Miniaturmalerei spezialisiert hat. Diese Kunst hat eine lange Tradition, die Kamal versucht zu erhalten und wiederzubeleben. Mehrmals gehe ich in seinen Shop, in dem er seine Schätze hütet, draußen hängen nur wenige und einfachere Zeichnungen. Kamal ist nicht auf schnelle Kundschaft aus und es ist kaum jemand im Laden, weshalb er sich die Zeit nehmen kann, mir einiges zu zeigen und zu erklären. Während mehrerer Tees unterhalten wir uns sehr viel über Kunst und Tradition. Bei meinem letzten Besuch kaufe ich ein paar kleinere Bilder, für größere Sachen ist in meiner Wohnung eh kein Platz mehr, obwohl es mich reizt ein paar große Arbeiten von Kamal mitzunehmen.

Die Wüstentour

Ali vom Jeet Mahal organisiert für mich einen Platz in einer kleinen Kameltour für eine Nacht 60 km südlich von Jaisalmer. Nur drei andere Personen werden mitkommen und niemand wird in unserer Nähe sein, also keine Lichter, laute Musik oder Partygeschrei.

Um 7.00 Uhr morgens gehen wir zum Treffpunkt und warten auf die anderen Teilnehmer. Statt des Ehepaars und der dritten Person tauchen zwei Jungs auf, einer aus Malaysia der unverständliches und ein Ukrainer der gar kein Englisch spricht. Na prima, das wird ja spannend! Während der Fahrt steigt in mir langsam Ärger auf, wir fahren nämlich nicht nach Süden, sondern nach Westen. Wir halten nach ungefähr einer halben Stunde an und auf dem Tachometer sehe ich, dass wir nur 40 km weit gefahren sind. Ich steige zunächst nicht aus ‚This was not the deal! Before I go out, I want to speak with Ali!‘
Es stellt sich heraus, dass die ursprüngliche Tour nicht zustande kam, weil das Ehepaar abgesagt hat. Er verspricht mir aber, dass diese Tour ebenso in die richtige Wüste geht und niemand in unserer Nähe sein wird.
Also gut, wir laufen einige Meter abseits der Straße, wo unsere Kamele warten. Zwei Guides erwarten uns mit dem voll gepackten Wüstenschiffen. Zunächst ist es sterbenslangweilig, wir sind auf einem steigen Weg neben der Straße und die Guides laufen mit dem Zügeln in der Hand voraus. Wenn das so weitergeht, wird wohl es ein teures Ponyreiten! Eine halbe Stunde später erreichen wir eine Wasserstelle, an der Bauern ihre Kühe und Ziegen mit Wasser versorgen. Nachdem unsere Kamele ihren Tank aufgefüllt haben, satteln auch unsere beiden Guides auf. Gemütlich schaukeln wir durch eine steppenartige Gegend, die Kamele sind miteinander verbunden und eines trottet den anderen hinterher. Die Kamelführer sitzen gemeinsam auf einem jüngeren Kamel, das wohl gerade erst zum Reittier ausgebildet wird, immer wieder schert es aus oder versucht seine Reiter zu beißen. Na das kann ja heiter werden und meine Stimmung bleibt weiterhin auf einen unteren Level. Gegen Mittag wechselt die Szenerie etwas, weniger Büsche und Kakteen, Bäume nur noch vereinzelt. unter einem schönen Exemplar von Baum mit weit ausladenden Ästen machen wir Rast. Die Kamele bekommen ein Seil so zwischen Vorder- und Hinterbeine gebunden, dass sie sich zur Nahrungssuche frei bewegen, jedoch nicht im Trab oder Galopp davon laufen können. Einer der Führer kocht unter dem Baum erst einmal einen Chai und beginnt dann das Gemüse für das Mittagessen zu schnippeln. Für den kleinen Hunger gibt es erst einmal Orangen und kleine Bananen, die ich heute zum erstenmal probiere. Zu Hause esse ich eigentlich keine, lediglich klein geschnippelt in meinem morgendlichen Müsli. Aber hier schmecken die Dinger und ich schnappe mir gleich eine zweite. Nach dem köstlichen Mittagessen, während dessen meine Laune immer besser wird, satteln wir wieder auf und reiten immer tiefer in die Wüste hinein. Die Kamele fallen ab und zu in einen leichten Trab, man fühlt sich sofort ein bisschen cooler. Eine Stunde vor Sonnenuntergang erreichen wir die ersten kleinen Sanddünen und so langsam kommt bei mir der Eindruck auf, wirklich in der Wüste zu sein. Wir reiten ungefähr eine halbe Stunde weiter, als wir hinter einer hohen Düne eine schöne kleine Mulde erreichen, die wie geschaffen für unser Nachtlager ist. Absatteln, Kamele füttern, Tee kochen und Abendessen vorbereiten – Job für die Guides. während wir Ort unseren Kameras bewaffnet die beste Stelle für Sonnenuntergangsfotos suchen. Ich bin inzwischen total happy, auch das Reiten ist okay. Meine beiden Mitreiter jammern ein bisschen und stacksen etwas breitbeinig durch den Sand, anscheinend habe ich einen besseren Sattel oder ich schaukle unbewusst richtig mit, auf jeden Fall habe ich keinen Muskelkater und kann normal gehen. Jeder geht seiner Wege und wir treffen uns erst beim Abendessen wieder. Ich entferne mich soweit vom Lager, dass ich noch gut zurückfinde. Nach einigen Minuten höre und sehe ich nichts mehr von unserem Lagerplatz, nicht einmal den Schein des Kochfeuers. Ich genieße die Ruhe, fühle mich total lebendig und bemerke, dass ich ein Grinsen im Gesicht habe. Langsam gehe ich zum Lager zurück, das Abendessen ist gerade fertig, lecker lecker!
Zum Nachtisch gibt es Bananen (yam yam yam), Mandarinen und Kekse.
Stumm sitzen wir um das Feuer und lauschen den Geräuschen der Nacht zu. Irgendwann bereiten ich mein Nachtlager vor, eine dicke Decke auf den noch warmen Sand, meinen dünnen Schlafsack drüber, für den Kopf ein Piratentuch. einen dünnen Schal um die Ohren wegen den Käfern, meine Tasche als Kopfkissen und das Betrachten des Sternenhimmels kann los gehen. Ich lege mich am weitesten weg vom Feuer, niemand spricht etwas und nach einigen Minuten habe ich den Eindruck völlig alleine zu sein – ein sehr gutes Gefühl!
Eigentlich möchte ich überhaupt nicht schlafen, aber irgendwann dämmere ich doch ein. Gegen zwei Uhr morgens wache ich auf, der Vollmond steigt gerade am Horizont empor und ich stehe auf, um ein paar Bilder zu schießen. Um vier Uhr wache ich ein zweites Mal auf, dieses Mal überrascht mich, der strahlend helle Orion, der direkt über mir steht! Ich liege auf dem Rücken und versuche so lange drauf geht wach zu bleiben, der Orion ist schließlich mein Lieblingssternbild! Bei Sonnenaufgang kurz nach halb sechs wache ich ein drittes Mal auf und unternehme einen langen Spaziergang. Als ich zum Lager zurückkehre, krabbeln die anderen gerade au ihrem Schlafsack, einer der Kamelwalas schläft noch, während der andere für uns Porridge zubereitet – ich habe weder vorher noch später in Indien ein besseres gegessen. Es dauert noch etwas, bevor wir frühstücken können, also spaziere ich noch etwas durch die Dünen und entdecken einen großen Käfer, der gerade sehr emsig und geschickt ein Loch in den Sand buddelt. Ich winke die beiden anderen herbei und gemeinsam sitzen wir dicht über den Sand gebeugt und beobachten das geschäftige Treiben des Käfers. Nachdem das Loch fertig ist, geht er dahin zurück, wo er sich eine Kameldungkugel bereit gelegt hat. Der fleißige Kerl kommt nicht weit, ein Rivale macht ihm die Kugel streitig und gewinnt den kurzen Kampf. Der neue Besitzer der Dungkugel rollt diese mit dem Hinterleib voran zu einer Düne und wir krabbeln wie kleine Kinder auf allen Vieren hinterher. Der Käfer erreicht den höchsten Punkt der Düne und rollt dann an die Kugel geklammert auf der anderen Seite den Abhang hinab. Das sieht so witzig aus, dass ich vor lauter Lachen Bauchweh bekomme. Am Fuß der Düne hat der Krabbler bereits ein Loch vorbereitet, in das er nun mit einer unermüdlichen Geduld die Kugel bringt. Schließlich müssen wir unsere Tierbeobachtung abbrechen, die Kamelführer rufen zum Frühstück. Es gibt Chai, Chapati, ein paar Kartoffeln und Obst darf auch nicht fehlen. Derart gut gestärkt brechen wir auf und nun kommt die Überraschung: als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, lassen uns die Guides aufsitzen und geben uns die Zügel in die Hand
‚Now you ride your camel on your own!‘
‚Aha, okay, gut. Ähm, wie?!‘
In meiner ersten Verwirrung spreche ich den Kamelführer auf deutsch an, aber es versteht mich trotzdem
‚Just do it! Easy easy!‘
Die Guides steigen gemeinsam auf das „Trainingskamel“ und unsere trotten gemütlich hinterher. Etwas später halten die Guides neben mir an
‚You go first now!‘
‚Why‘
‚Because you’re riding the leading camel, Sir!‘
‚Mine is the leading camel??‘
‚Yes, go ahead, otherwise we all ride to slow!‘
Etwas unsicher, aber freudig erregt nehme ich die Zügel so wie ich es bei den beiden bisher beobachtet habe. Mit einem Kick in die Rippen und einem lauten „Haa!“ geht es los und mein Kamel bewegt sich sicher und gewandt durch die Dünenlandschaft. Ab und zu bekomme ich von hinten Anweisung ‚Left, more right, straight, towards the hills …‘ und nach so einer halben Stunde fühle ich mich sicher und wohl, mein Kamel gehorcht auf die Richtungswechsel und da ich niemanden vor mir habe, kommt wieder das Gefühl auf, alleine zu sein. Irgendwann höre ich hinter mir ‚Faster, faster!‘, womit wohl ich gemeint bin ‚How?‘ ‚Kick him hart!‘
Okay, ich kicke und rufe, aber das Kamel scheint meine „Sprache“ nicht zu verstehen. ‚Harder, harder‘ werde ich angefeuert. Ich kicke was das Zeug hält 0of gebe schon fast auf, als mein Kamel ein Nachsehen hat und lostrabt! Da ich erst ein paar Mal auf einem Pferd gesessen bin (Ponyreiten, ohne Trab), fühle ich mich jetzt natürlich großartig, als es dann richtig abgeht und ich keine Mühe habe im Sattel den Rhythmus aufzunehmen. Die Zügel in der einen, die Kamera in der anderen Hand lasse ich mein Kamel kaufen, während sich auf meinem Gesicht wieder einmal ein Grinsen breit macht! Ungefähr zwei Stunden lang reiten wir, mal gemütlich, mal im Trab, in Richtung Jaisalmer. Die beiden Führer sind mir ihrem Kamel beschäftigt, das sich teilweise wild gebärdet und einmal vor lauter Toben stürzt, weshalb einer der beiden absteigt und das Tier zusätzlich an den Zügeln führt. Der Malaye und der Ukrainer sind weit hinter uns, aber noch sichtbar und die Guides bedeuten mir, ruhig weiter zu traben bis wir zur Wasserstelle kommen, die ich schon am Horizont ausmachen kann.
Eine halbe Stunde Rast zum Wasser auftanken, danach suchen wir uns einen ruhigen Platz um das Abschlussessen zu kochen! Wieder lecker Chapati, Gemüse und natürlich Chai. Anschließend ein kleines Nickerchen, bevor es zum Treffpunkt zurück geht, den wir nach einer knappen Stunde erreichen. Alles in allem gehen zwei wundervolle, mit Überraschungen versehene Tage, zu Ende.

Scarfs

Es gibt ein paar Gassen, die ich jedesmal besuche, wenn ich in der Festung bin. An zwei Shops mit Stoffen, Tüchern und Kleidern komme ich immer wieder vorbei, bis einer der Besitzer mir hinterher ruft ‚Sir, why you don’t let a little bit money in my shop?‘ Das ist mal etwas anderes, denke ich mir und gehe die Gasse zurück.
‚Sir, come in and buy some nice silk stuff‘
‚Oh, I can’t, sorry. My rucksack is full with scarfs. But I can sell you some if you like!‘
‚Häh?‘
‚Yes, I don’t buy, I sell!‘
‚He man, why you are joking with us, we try to make business. Bad business this time, not many tourists coming‘
‚I’m sorry, but I’m not joking! You want to see my scarfs?‘
‚You’re really selling them? Okay, show us! ‚
Wir setzen tot auf die Steinbank vor den Shops und trinken erst einmal …
Am Ende werden Adressen ausgetauscht, ich lasse Flyer da und hoffe wieder minimal einen Kontakt für Little Flower hergestellt zu haben. Übrigens wird diese Steinbank ab jetzt mein Lieblingsplatz zum Chai trinken und am letzten Tag bittet mich der Shopbesitzer doch noch einmal zu in den Laden zu kommen. Ich vermute, dass er mir zum Schluss etwas aufschwatzen will, dann greift er in ein Regal, zieht er einen Schal heraus und nimmt mich am Arm ‚This is for you man, I like you and your way. Please take it as a memory to us in Jaisalmer!‘