Madikeri 19.12.2013 – 28.12.2013

Von Puri nach Madikeri

Mein letzter Tag im Rangers Resort beginnt um 6 Uhr morgens. Ildiki geht mit mir nochmal an den Strand zum Schwimmen, Lali begleitet uns. Wir gehen den üblichen Weg und orientieren uns zuerst an Marinas Markierungen, bis wir an die Stelle kommen, an der wir vor zwei Tagen so unschlüssig waren. Diesmal nehmen wir den Pfad rechts, obwohl er nicht so vielversprechend aussieht, schmaler und auf den ersten Blick mehr Zerstörung durch Phailin. Wir müssen einige Male den Weg, den man nur noch an den von Fahrrädern gezogenen Reifenspuren erkennt, verlassen. Riesige abgebrochene Äste und umgeknickte Bäume versperren den Pfad, ein paar mal müssen wir klettern oder kriechen, doch dann werden wir belohnt. Ich entdecke den entwurzelten Baum mit den wuchtigen Wurzeln wieder, den ich bei der ersten Rückkehr vom Strand fotografierte. Kurze Zeit später sind wir am Ziel, insgesamt haben wir nur 40 Minuten gebraucht. Jetzt muss Ildiki die Strecke in den nächsten Tagen mit Marina nochmals gehen, um ihn zu markieren. Die letzten Meter aus dem Wald geht’s leicht bergauf, bevor man an den zunächst steil abfallenden Strand kommt. Lali stürzt plötzlich laut bellend in Richtung Ufer, an dem ich im Abstand von jeweils 50 Metern drei tote Riesenschildkröten entdecke. Wie wild stürmt sie auf die links liegende zu, auf der eine Schar Krähen sich gütlich tun. Lali ist fast an der Schildkröte, als sich auf einmal hinter ihr ein riesiger Schatten löst – ein Wolf! Ein Wolf? Ja tatsächlich, ein Wolf und Lali stellt ihn, worauf er in den Wald flüchtet, als wäre der Teufel hinter ihm her! Während wir am Strand liegen oder uns im Wasser abkühlen, versucht der Wolf mehrmals von verschiedenen Stellen an eine der toten Olive-Bastardschildkröten zu kommen. Doch jedesmal vertreibt ihn die tapfere Lali und er trollt sich zurück in den Dschungel! Leider bin ich jedesmal zu langsam mit der Kamera und bekomme den Wolf nicht so richtig abgelichtet. Kurz bevor wir gehen, sehen wir von weitem noch einen Schakal, auch dieser wird verjagt! Wow, was für ein Abschied!
Als wir zurückkommen ist mein Mittagessen schon fertig, mein Taxi auf 14 Uhr bestellt. Fertig packen. duschen, futtern. Abschlussfotos. Sebastian schenkt mir zum Schluss noch eine kurze Show mit seinem Keulen. Dann heißt es Abschied nehmen, wie so oft und es fällt mir diesmal nicht ganz leicht. Ähnlich wie in Pushkar habe ich in Puri und vor allem hier bei den Rangers eine wundervolle, unvergessliche Zeit verbracht…
Munna, mein Lieblingsdriver, ist pünktlich da um mich zum Flughafen nach Bubaneshwar zu bringen. Lange winke ich Ildiki und Marina aus dem fahrenden Taxi zu, Bye bye!

Flugzeug, Taxi, Bus

Unangenehme Überraschung am Flughafen – mein Flug hat ungefähr eine dreiviertel Stunde Verspätung. Jetzt wird es knapp mit dem Nachtbus von Bengaluru nach Madikeri! Letztendlich werden es dann 70 Minuten Verspätung und bei der Zwischenlandung in Hyderabad gibt sich die Crew alle Mühe, aber mehr als eine viertel Stunde können sie nicht aufholen. Kurz nach der Landung in Bengaluru ruft mich der Busfahrer an (bei der Buchung in Puri hatte ich meine Telefonnummer angegeben), der Bus geht um 23.55 Uhr und er könnte 10 Minuten warten. Um 0.10 Uhr ruft er nochmal an, er muss jetzt los. die Fahrgäste murren sonst. Mein Fahrer, der mich von dem 60 km von der City entfernten Flughafen zum Zusteigeort bringt, gibt sich alle Mühe, aber wir kommen 15 Minuten zu spät! Am Satellite Bus Terminal stehen noch viele Busse, doch kein Volvo mehr von der Red Line. Übernachten in Bengaluru? Keine Lust! Mein Taxifahrer geht auf die Suche und wird fündig – ein Local Bus, nur Sitzplätze, fährt aber gleich los und ist nur eine halbe Stunde später als mein gebuchter Volvo in Madikeri. Okay, was soll’s, ich werde die Nacht schon irgendwie auch sitzend hinter mich bringen! Die Sitzbank hinter dem Fahrer ist frei und wird von mir einfach in Beschlag genommen, ich lege mich gleich längs und niemand wagt es mich zu wecken. Gerädert, übermüdet und mit Rückenschmerzen komme ich um 7.00 Uhr morgens in Madikeri an, der Hals kratzt auch noch. Zunächst schaue ich mich nach einem Teestand um und rufe dann im Shangri-La an. Ich warte dann in der Kälte des Mordgens, bis mich Lothar abholen kommt.

Shangri-La

Das Shangri-La liegt 18 km außerhalb von Madikeri ganz ruhig in den kühlen Hügeln, umgeben von Kaffeeplantagen, wilden Orchideen, Palmen und anderem exotischen Gewächs. Schön! Barbara war früher mit einem Inder verheiratet, der eine Zeit lang das indische Cricket-Team betreut hatte. Über ihn lernte sie dann die indische Familie kennen, auf deren Grundstück das Haus steht, das Barbara hat bauen lassen. Ihr Mann ist schon vor längerer Zeit gestorben und sie lebt nun mit Declaan, einem älteren, schrulligen und verrückten Iren zusammen. Das Haus hat eine große Wohnküche, ein zum Innenhof offenes Wohnzimmer und einen Schlafraum. Auf beiden Seiten des Innenhofes sind jeweils zwei Gästezimmer mit Bad, eines davon bewohnt die indische Familie. Sie besteht aus Laxman, Kaffee-, Pfeffer- und Fischverkäufer, Chaya, der wundervollen Köchin und Belakhur, der achtjährigen Tochter, die mich häufig in Beschlag nimmt. Gleich am ersten Abend musste ich mit ihr Carrom spielen – und sie hat mich abgezockt!
Nach einer kleinen Einkaufstour für unsere Mahlzeiten in den nächsten Tagen lege ich mich hin, um etwas Schlaf nachzuholen. Mit Kopfschmerzen und leicht fiebrig wache ich auf. Nach dem Abendessen gehe ich sofort wieder ins Bett und verbringe eine unruhige Nacht mit viel Husterei.

Madikeri

Madikeri liegt ungefähr 1500 Meter hoch und das Shangri-La etwa 300 Meter tiefer in einem Tal nordwestlich von Mercara, so der alte Name der Stadt. Trotz der vielen Kaffeeplantagen gibt es hier einen sehr dichten Dschungel mit dramatisch steilen Hängen. Überall plätschern Wildbäche gen Tal und bilden immer wieder wundervolle versteckte Badebecken, romantisch und verträumt! So gut es geht genieße ich hier auf unseren Spaziergängen die Ruhe und die saubere, klare Luft. In den Plantagen und Reisfeldern sieht man allzeit fleißige Arbeiterinnen und Arbeiter, die uns fröhlich zuwinken. Sie bekommen nicht so oft Touristen zu Gesicht, aber fast alle können ein paar Brocken Englisch und versuchen sich mit uns zu unterhalten. Ansonsten sitze ich in dem liebevoll angelegten Garten und spiele mit Conny und Lothar Würfelspiele oder Canasta. Mein Husten ist inzwischen so schlimm, dass ich in der Nacht überhaupt nicht mehr schlafen kann, weshalb ich am nächsten Tag in das Privatkrankenhaus von Madikeri gehe. Kaum klage ich an der Rezeption mein Leid, bin ich auch schon im nächsten Behandlungszimmer, wo mich ein junger Arzt empfängt. Er hört mich hier und da ab und verschreibt mir eine ganze Latte von Medikamenten. Der Arzt möchte wissen, wo ich herkomme und was ich von Beruf bin. Als er hört, dass ich Deutscher bin, ruft er eine Arzthelferin und fordert sie auf, mit mir deutsch zu sprechen, jedoch ziert sie sich und der Arzt macht schnell einen Witz um die Situation zu retten.  Dann gibt mir eine andere Schwester mein Rezept, welches ich an der Medikamentenausgabe anschließend selber hole und dann an der Kasse bezahle. Der ganze Akt dauert nicht länger als zehn Minuten und die längste Zeit geht dabei für das Herumalbern mit dem Arzt und den Schwestern drauf.

Golden Temple in Bylakuppe

Für einen kleinen Ausflug fit genug, besuche ich mit Lothar und Conny das tibetische Namdroling-Kloster 40 km südöstlich von Madikeri. Hier war 1959 während der chinesischen Invasion einer der ersten Standorte für tibetische Flüchtlinge in Indien. Tausende Tibeter wurden aufgenommen und inzwischen ist hier (nach Dharamsala) die größte tibetische Gemeinde außerhalb von Tibet. In dem eindrucksvollen Tempel stehen drei wunderschöne goldene Buddha-Statuen, verziert mit prächtigen, farbigen Details.  Es ist sehr friedlich und stimmungsvoll, einige Mönche und Novizen bringen auf den Altären weiße Schals dar. Einer der Mönche gesellt sich zu mir und versucht mir etwas über die drei Statuen zu erklären, aber leider verwendet er viele mir unbekannte Begriffe und sein Englisch ist für mich sehr schwer zu verstehen. Zum Schluss lässt er sich von Lothar mit mir fotografieren. In einem der Gebetshäuser stimmen Mönche ihre Mantras an, begleitet von rhythmischen Trommeln.

(????Temple Bylakuppe4)

Das Eingangstor steht zwar offen, aber ein Schild am Absperrband erlaubt den Zutritt nur für Mönche. Kurz bevor wir gehen wollen, hören wir in einem anderen Bereich Mönche singen und diesmal ist es Besuchern erlaubt, der Zeremonie beizuwohnen. Anfangs stehen so viele Inder am Eingang, dass man kaum etwas zu sehen bekommt. Conny und ich zwängen uns durch und setzen uns nahe bei den Mönchen im Schneidersitz auf den Boden. Dann wird es leer und nur noch Lothar steht am Eingang, der wegen seiner Rückenproblemen sich nicht setzen kann, es beschränkt sich aufs Fotografieren. Andächtig lauschen wir gute zwanzig Minuten auf die Gebete und Gesänge der Novizen und Mönche. (Temple Bylakuppe1, Temple Bylakuppe2, Temple Bylakuppe3) Es tut sehr gut diese Atmosphäre aufzusaugen, auch wenn man nicht ganz versteht, was gesungen und gebetet wird. Rundum zufrieden und mit einem Lächeln im Gesicht treten wir die Heimfahrt an.

Die Abende

Sobald es dunkel wird finden wir uns in der Küche ein und kochen gemeinsam, meistens schnipple ich das Gemüse und überlasse ausnahmsweise den Anderen den Platz an den Töpfen. Izwischen ist weiterer Besuch eingetroffen, Anna aus Dänemark, die auch sehr geren koch. Es gibt oft Fisch mit Reis oder Kartoffeln. einmal Spagetti mit einer herrlichen Tomaten-Gemüse-Soße. Ein Highlight ist Chayas Palak Paneer – göttlich! Am Weihnachtabend wird das Wohnzimmer festlich geschmückt und die Familie sitzt an diesem Abend mit am Tisch. Laxman lobt mein Raita, das ich vorbereitet habe. Außerdem gibt es noch gebratenen Kingfish, Prawns, Kartoffeln in der Schale und Tomatensalat mit frischem Koriander! Lecker, lecker, lecker!
Nach dem Essen wird gespielt oder wir sitzen gemeinsam im Garten beim Lagerfeuer und bestaunen den klaren Sternenhimmel. Das Leben ist schön!

Declaan

Mit Declaan liefere ich mir heiße Wortgefechte über Demokratie, Europa, Merkel (er „liebt“ sie!) und andere brisante Themen. Barbara hat dazu keine Lust und Conny und Lothar sprechen kaum Englisch. Mich nennt er immer Maharaja und provoziert mich wegen meines „Reichtums“ wo es nur geht (zum Spaß) und verlangt, dass mir Barbara den doppelten Preis für das Zimmer berechnet, die reichen Deutschen könnten sich das leisten. Mit der Zeit macht es richtig Spaß mit ihm auf Englisch zu palavern, obwohl er oft sehr schräge Meinungen vertritt. Ich erinnere mich an einen Abend, an dem wir über Einstein, Quantentheorie und Parallelwelten diskutieren.

Auf einem unserer Spaziergänge, wo es über mehrere äußerst schmale Brücken geht – oft nur ein Balken mit einem Draht auf Brusthöhe zum Festhalten – lerne ich ihn von seiner weichen Seite kennen. er zeigt mir seltene Pflanzen, überraschende Aussichten, erzählt was er an den Indern hier in der Gegend liebt und schenkt jedem Kind, das wir unterwegs treffen, einen Lollipop, von denen er immer einen großen Vorrat mit sich schleppt. Declaan freut sich aufrichtig wie ein kleines Kind an den Schönheiten der Natur und wirkt dann überhaupt nicht mehr wie ein Siebzigjähriger. Ich schätze das sehr, wie er das mit mir teilt und mir gewissermaßen die Augen noch mehr öffnet.

Abschiede und Wiedersehen?

Conny und Lothar reisen am zweiten Weihnachtsfeiertag ab um nach Hampi und anschließend nach Goa zu fahren. Eventuell wird man sich dort wieder treffen. Auch Anna, Barbara und Declaan werden ab Mitte Januar dort sein, mal sehen…

Puri 14.11.2013 – 18.12.2013

Puri Memories

Zunächst sind wir für ein paar Tage in einem ganz einfachen Guesthouse mit Balkon und Blick aufs Meer, aber leider auch auf die Müllkippe hinter dem Gebäude, was mir überhaupt nicht gefällt. Nachdem meine Sachen verstaut sind, gehe ich eine Runde spazieren. Mir kommen viele Erinnerungen an damals und ich klappere erst einmal die Orte ab, die ich kenne und treffen Menschen, die sich an mich erinnern. Apana, der am Strand Partys organisiert und einigermaßen gebildet ist, Fayaz, mein Schmuckverkäufer aus Kashmir mit dem ich immer böse Witze reiße, Bayna und Lalah vom Pink House, in das ich bald umziehe, Debu vom Honey Bee mit dem leckeren Brown Bread und den unglaublich schmackhaften Pizzen (Eggplant-Pizza! Yam Yam Yam!).

Am Puri Beach

Oft gehe ich an den Strand und beobachte das Treiben, wenn die Fischerboote ankommen. Mit viel Schweißarbeit werden die Boote an den Strand gezogen, die heftige Brandung verlangt dabei den Männern alles ab. Sobald das Boot gesichert ist werden die Fische, meist Sardinen, aus dem Netz auf ein Tuch geschüttelt. Während ein Teil der Bootsmannschaft sich darum kümmert, das Netz für den nächsten Fang bereit zu machen, kommen die ersten Käufer und dann wird versteigert. Ein Netz Fische kostet im Durchschnitt 1 000 Rupees und es wird heftig gefeilscht, teilweise sogar laut gestritten, wer das Angebot mit dem Zuschlag gemacht hat. Die Fische werden dann ein paar Meter weiter auf den Sand geschüttet, wo schon Trägerinnen bereit sitzen, um den Fang in Körbe zu füllen, die sie auf ihren Köpfen vom Strand zu den bereit stehenden Fahrzeugen (Scooter! ) transportieren – aufrecht und anmutig! Ich beobachte eine zierliche Frau, schätzungsweise mein Alter, die eine Kiste von 80 x 50 x 40 Zentimetern, bis über den Rand mit Fischen gefüllt, auf ihren Kopf hieven lässt und dann schnellen Schrittes durch den tiefen Sand davoneilt, scheinbar mühelos!
Einer der Käufer kauft den Fang von mehreren Booten auf und es dauert fast eine Stunde bis alle Fische bei den Fahrzeugen sind, am Ende tragen auch einige Männer die Körbe und Kisten auf ihren Köpfen. Gut, die können das also auch.

Der Puri Beach wird hauptsächlich von indischen Familien besucht, häufig sieht man aber auch große Gruppen junger Inder und Inderinnen. Der Ablauf ist immer sehr ähnlich, man geht ans Wasser, bis zumindest die Füße im Meer sind, dann nimmt man eine Hand voll Wasser, gießt es nach hinten über den Kopf, trinkt einen Schluck und berührt Brust, Stirn und Mund. einmal oder mehrmals hintereinander. Anschließend kommt das obligatorische Foto mit der Brandung im Hintergrund und die ganz mutigen bzw. des Schwimmen mächtigen tollen dann im Wasser. Auf dem Gesichtern spiegelt sich Freude und Glückseligkeit; es tut gut zu beobachten, wie Familienväter mit ihren kleinen Kindern vorsichtig und behutsam in den Wellen spielen. Nicht selten werde ich gebeten mich für ein Erinnerungsfoto ablichten zu lassen. Gerne tue ich ihnen den Gefallen und versuche mein freundlichstes Gesicht zu zeigen.

Immer wieder sitze ich einfach so am Strand ohne die manchmal lästige Kamera und schaue einfach aufs Meer hinaus, genieße den Gesang der Wellen (Puri Waves1) und sehe die Sonne unter und den Mond aufgehen. Das Meer ist sehr stürmisch in diesen Tagen und auch die Bewölkung ist ungewöhnlich dicht. Wir bekommen einen Ausläufer des Zyklons mit, der im Moment in Tamil Nadu auf Land trifft, jedoch im Vergleich zu Phailin dies harmlos ist.

Abends beim Tea Stall am Strand unterhalte ich mich mit Apana über die vielen Verkäufer am Strand, die Perlenketten oder auch einzelne Perlen anbieten. Oft öffnen die Jungs „frische“ Muscheln und zeigen den Kunden die Perle, die noch am Gehäuse „festklebt“. Es ist ein alter Trick, die Muschel ist natürlich nicht gerade eben von einem tauchenden Fischer aus dem Ozean geholt worden und die Perle ist aus Glas, fixiert mit einem Kleber. Immerhin sind die Glaskugeln hübsch anzuschauen, Marktwert ca. 10 Rs! Die Verkäufer am Strand, die Eis, Essen, Tee, Ballons, Hüte oder Kamelreiten anbieten sind zwar nicht ganz glücklich über diese Betrügereien, weil es zunehmend das gesamte Geschäft am Puri Beach kaputt macht, mischen sich aber nicht besonders ein. Andererseits wirft Apana den Touries auch Dummheit und Einfältigkeit vor, die glauben, sie können ein Schnäppchen machen und eine echte Perle, frisch gefangen, für den Preis von 400 – 600 Rupien bekommen, nachdem sie den Verkäufer um mehr als die Hälfte herunter gehandelt haben! Man kann so eine Perle einfach nicht für einen Preis von umgerechnet 7 Euro bekommen! Ich stimme ihm zu und trinke dann einen Tee mit ihm.

Pink House

Später beim zweiten Tee setzt sich eine Gruppe griechischer Touristen zu uns und wir verstehen uns auf Anhieb prächtig. Es sind Gregorio, einziger Mann der Truppe und großflächig tätowiert, Mirka, die am besten Englisch spricht, Claudia, die kaum Englisch spricht oder versteht, Aphrodysia, die ruhigste und Dyonisia, das Küken. Sie wohnen alle in „meinem“ Pink House und nachdem ich dorthin umziehe, verbringen wir viel Zeit miteinander, da sie im selben Gebäudeteil direkt neben „meinem Zimmer“ untergebracht sind.

Suntemple Konark

Gemeinsam lassen wir uns von Bayna ein Taxi organisieren, das uns nach Konark zum berühmten Sonnentempel bringt, 35 km von Puri entfernt. Der Tempel ist bekannt für seine kunstvollen Darstellungen mit Motiven aus dem Kamasutra und gehört zum Weltkulturerbe. Leider hat das Bauwerk in den letzten Jahren sehr gelitten, überall sieht das Gestein „angefressen“ aus und mir kommt es so vor, als wäre der Zustand schlimmer als damals bei meinem ersten Besuch. Die am Besten erhaltenen Ausschnitte sind inzwischen hinter frischen Sandsteinblöcken verborgen. Restaurationen im Originalstil erlaubt die UNESCO nicht, was die Bevölkerung von Odisha ziemlich aufregt, denn es gäbe genügend professionelle Restaurierer in Indien, die fähig sind das zu leisten. Einzige Lösung wäre, den Status Weltkulturerbe aufzugeben.
Zusammen gehen wir dann noch im Konark im Sun View Hotel essen, wo schon die Ankündigungen für das Konark-Dance and Sand-Art Festival hängen, das fünf Tage dauert und am ersten Dezember beginnen wird. Sogleich erkundige ich mich beim Manager nach dem Programm und wie man an Karten kommt. So wie es aussieht, werde ich mein Reiseprogramm ändern und meinen Aufenthalt in Puri verlängern!

Künstlerdorf Raghurajpur

An einem anderen Tag besuchen wir mit dem öffentlichen Bus das Künstlerdorf Raghurajpur, wobei nur Dyonisia und Mirka Lust haben mitzukommen. In jedem der ungefähr 120 Häuser, die an ihren Wänden mit den typischen, oft geometrischen Odishi-Mustern reich verziert sind, wohnen Künstler, die in der Hauptsache mythologische Motive auf Palmblättern, Seide oder Baumwolle verewigen. Die Familien in diesem Dorf leben vom Verkauf der Kunstwerke und da in jedem (!) Haus Künstler wohnen, wird man auch in jedes hinein gebeten („Only look, …“), was zunächst etwas nervig ist, aber wir arrangieren uns. Zügig gehen wir durch die kleinen Straßen, weil wir uns erst einen Überblick verschaffen wollen und das verstehen die Einheimischen dann doch irgendwann. Als wir gemeinsam durch und um das kleine Dorf spazieren, haben wir irre viel Spaß (jedoch habe ich leider vergessen, worüber wir immer so viel gelacht haben). Bevor wir gehen schauen wir am Dorfeingang in einen größeren Shop, da man aus diesem einfacher wieder herauskommt, als aus einem Privathaus – so meine Erfahrungen vom letzten mal. Ein schönes, typisches Odishi-Muster auf Seide gemalt (Test mit Feuerzeug, logo!) geht in meinem Besitz über, auch die Mädels kaufen sich ein kleines Souvenir. Zur Bushaltestelle sind es ungefähr 15 Minuten zu laufen und unser Weg führt auf einer schmalen Straße an Feldern und einzelnen Häusern vorbei. Immer wieder halten uns Gruppen von Frauen auf oder rufen uns zu sich, um sich von uns mit ihren Kindern fotografieren zu lassen. Dann werden die Bilder auf dem Display betrachtet, begleitet von heftigem Gekicher. Irgendwann müssen wir die Fotosession beenden, der Hunger treibt uns zurück nach Puri. Auf der Fahrt zurück mit dem Bus bekommen wir mehr Tuchfühlung mit den Einheimischen als uns lieb ist. Sitzplätze gibt es keine mehr und der Mittelgang ist eigentlich auch schon überfüllt. Trotzdem werden wir in den Bus hineingeschoben und nach uns steigen noch einige Inder zu. Ohne dass ich etwas dagegen tun kann, werde ich allmählich weiter bewegt, mitunter stehe ich nur auf einem Bein, das andere bekommt gerade eine kostenlose Akkupressur. Kurz vor dem zentralen Busbahnhof bekomme ich mein Bein wieder zurück und mein eingeschlafener Arm, der an einer Halteschlaufe hängt, kribbelt mit den Ameisen auf dem Boden und die Wette. Auch Mirka und Dyonisia wurden gut durchgewalkt und durchgeknetet, aber trotzdem geht es allen gut. Im Pink House haben wir dann den anderen viel zu erzählen und gemeinsam lachen wir über unseren rundum gelungenen Tag.

Chilika-Lake

Vierzig Kilometer südlich von Puri liegt der Chilika-Lake, der mit einer Wasserfläche von über 600 qkm die größte Brackwasserlagune Asiens bildet und in der Monsunzeit auf fast das doppelte anschwellen kann. Die Lagune, in der sich Millionen von Zugvögeln sammeln, ist durch die Sandbank Rajhansa, die sich über 60 km von Satapada im Norden bis nach Rambha im Süden erstreckt, vom Meer getrennt. Im Chilika-Lake leben auch die kleinen, sehr seltenen Irrawaddy-Delphine, die ich natürlich gerne sehen würde. Also plane ich, einen Abstecher dorthin zu machen. Meine Griechen waren schon gemeinsam dort, weshalb ich andere Leute zum Mitfahren suchen muss. Alleine macht es weniger Spaß, außerdem würde ich gern die 1 000 Rupees für die Taxifahrt mit anderen teilen.
Im Pink House spreche ich ein deutsches Ehepaar an, das ich gestern schon am Strand gesehen habe. Schnell sind sie von der Idee begeistert und wir beauftragen Bayna ein Taxi zu organisieren, als sich noch Rene anschließt, der uns, ein paar Tische entfernt, deutsch sprechen hörte. Ein weiterer Zyklon ist auf dem Anmarsch, weshalb wir auf Anraten von Bayna die Tour für morgen planen. In Satapada mieten wir uns ein kleines Boot und verbringen dann zusammen einen netten Tag, obwohl wir keine Flamingos zu Gesicht bekommen, die hier um diese Jahreszeit normalerweise auftauchen, aber eventuell wegen des Zyklons einen Umweg geflogen sind. Von den angekündigten, berühmten Irrawaddy-Delphinen sehen wir nur mal kurz zwei Nasen. Unterwegs steigen wir an einem Tempel aus und bekommen eine Puja, ohne dass der Priester nach Geld fragt, was eigentlich inzwischen in Indien nicht mehr selbstverständlich ist. Weiter geht es dann zur Rajhansa Sandbank, wo René und ich in die Wellen des Golf von Bengalen tauchen, während Conny und Lothar am Strand Bilder schießen.

Hanging Around

Keine große Lust weiter zu reisen, keine Lust irgendwas zu unternehmen, große Lust einfach nur abzuhängen. In der Stadt besorge ich mir zwei Stöcke und fange wieder an zu trainieren. Im Pink House wohnt noch ein Deutscher, der einen Forschungsauftrag hat (mit Einzelheiten soll ich sparsam umgehen…). Es geht irgendwie um die ländliche Bevölkerung und um die Filmwelt… Was er zu erzählen hat ist immer sehr spannend, man trifft sich hier (Pink House) und da (Peace Restaurant, Z-Hotel) zum Frühstück oder Diner. Ansonsten hänge ich mit den Griechen herum, sehe ab und zu Rene, Conny und Lothar. Das Konark Festival beginnt in ein paar Tagen und ich besorge mir einen Festivalpass. Wieder muss ich Leute suchen, die mitgehen wollen, alleine ist zu teuer – jedesmal 35 km hin und wieder zurück. Conny und Lothar wollen gerne mitgehen, aber eben nicht an jedem Tag.

Konark Dance and Sand Art Festival

1.12.

Mit meinem Festivalpass in der Tasche gehe ich in verschiedene Restaurants und spreche Leute an. Im Pink House habe ich dann Glück und treffe Raku, eine Frau aus Litauen, die eigentlich nur auf Stippvisite hier ist. Raku will weiter nach Bangladesch fliegen und ist von der Idee ganz angetan mit zu dem Festival zu gehen und noch etwas indische Kultur mitzunehmen. Der Eintritt ist quasi frei, da ich ja die Pässe von Conny und Lothar habe, die aber erst in zwei Tagen mitkommen (die beiden sind für ein paar Tage nach Bhubaneswar).
Rene hat mir seinen Rickshaw-Wallah Basu empfohlen und wir verhandeln mit ihm. Zwar ist seine Rickshaw im Moment nicht fahrbereit, aber ein Freund leiht ihm seine und so fahren wir am Nachmittag zu viert zuerst zum Chandrabhaga Strand, um den Sandkünstlern zuzusehen, die hier bei der parallel zum Konark Dance Festival stattfindenden internationalen Competition ihr Können zeigen. Über 40 Künstler  messen sich jeden Tag mit einem neuen Thema untereinander, das jeweilige Motto wird morgens bekannt gegeben, abends kommt die Jury zur Bewertung und am nächsten Morgen werden die Kunstwerke wieder zerstört um die neue Herausforderung anzugehen. Eine Amerikanerin, ein italienisches Paar, ein Kanadier und ein Österreicher bilden die internationale Fraktion, der Rest sind Inder, in der Mehrzahl aus Puri oder Bhubaneswar, außerdem ist auch eine Gruppe von Frauen aus Puri am Start!

Thema am ersten Tag:
„SAVE OUR WORLD HERITAGE!“

Hier sind die Inder ganz klar im Vorteil, wenn sie die unzähligen, kunstvollen Tempel und Moscheen als Motiv wählen und so detailgetreu wie möglich aus Sand erschaffen. Unter dem Motiven finder man den Taj Mahal, den Sun Temple, den Jagannath Mandir in Puri und die alle wichtigen Gottheiten, allen voran natürlich Lord Jagannath mit seinem Bruder Balbhadra und seiner Schwester Subhadra. Bei den Westlern findet man den Eiffelturm, das Monument Valley (mit Profilen indischer Götter), den Wiener Dom und die berühmte Grafik von Leonardo da Vinci. Am häufigsten sieht man Lord Jagannath in verschiedenden Variationen. Jeder Künstler hat ca. 25 qm zur Verfügung und einen Wasseranschluss, um den Sand zu wässern, Helferinnen stehen hierfür mit Schläuchen und Sprühpumpen bereit. Im „österreichischen Sektor“ bleibe ich etwas länger und unterhalte mich kurz mit Johannes Sebastian, dem Künstler. Er hat gerade ein paar Minuten Zeit und klärt mich etwas über die Sache mit dem Sand auf. Normalerweise haben die internationalen Künstler in Konark keine Chance zu gewinnen, weil der Sand hier so verwendet wird, wie er ist, und nicht wie üblich vorher mit einem bestimmten Anteil Wasser maschinell gepresst wird. Die Nicht-Inder sind eigentlich nur dazu da, dem Festival den internationalen Anstrich zu verleihen, nun ja nicht nur. Schon am ersten Tag gibt es wundervolle Arbeiten zu sehen, ein Künstler aus Puri hat für seinen Entwurf versucht, alle möglichen Bauwerke, die als Weltkulturerbe gelten, zu vereinen. Das Ergebnis sieht sehr interessant aus, an manchen Gebäuden sind Torbögen zu sehen. Johannes zuckt lächelnd die Schultern und schüttelt nur den Kopf, als ich ihn später frage, wie die Jungs das mit dem Sand so hinbekommen. Um halb sechs fahren wir weiter zum Festgelände nach Konark und wir staunen nicht schlecht. Alle Straßen und Grünanlagen sind bunt erleuchtet, in den Büschen und Bäumen hängen farbige Lichter, Girlanden und Lampions. Basu macht große Augen, als ich ihn mitnehme, denn ich habe ja noch einen dritten Pass, der gerade nicht gebraucht wird. Er sitzt später mit mir mitten vor der Bühne, wo wir einen tollen Blick auf den Sun Tempel dahinter haben und die Bühne und die ganze Kulisse drumherum optimal sehen. Immer wieder nimmt er mich in den Arm und drückt mich ganz fest. ‚Thank you brother, thank you!‘ Er hat seit Jahren schon so viele Besucher hierher gefahren, aber heute ist Basu zum ersten Mal selbst Zuschauer!
Das Programm ist immer zweigeteilt, zwei verschiedene Gruppen treten mit ihren Darbietungen auf und tanzen jeweils ein längeres und ein kürzeres Stück. Meist geht es um Geschichten von Shiva oder Rada und Krishna, auch Lord Jagannath ist ein Thema, was vom hiesigen Publikum wohlwollend aufgenommen wird.

Vor dem ersten Programmteil spielt das musikalische Ensemble ein kurzes Stück, das uns mit der kunstvollen Beleuchtung, dem Anblick des Suntemples und der festlichen Atmosphäre in eine märchenhafte Stimmung versetzt (Konark Dance and Music Festival).
Als Auftakt gibt es einen Kathakali-Tanz, der aus Kerala stammt, anschließend zeigt eine Nachwuchsgruppe mit teilweise sehr jungen TänzerInnen ihr Können; nicht schlecht, aber für meinen Geschmack zuviel Akrobatik und zu wenig Tanz. Doch dem Applaus nach scheint es den Zuschauern zu gefallen.
Die Kulisse ist einmalig, der Sonnentempel ist dezent beleuchtet und die Tänzer, die manchmal von der Rückseite der Bühne auftreten, scheinen direkt von ihm her zu kommen. Die Jungs, die für die Lightshow verantwortlich sind, verstehen ihr Handwerk, besser als die anschließende Odissi-Gruppe, die technisch gut ist, aber langatmige Parts im Programm haben und irgendwie auch herzlos rüber kommen. Kurz vor Ende geht verlässt Basu die Vorstellung, um seinen Freund mit der Rickshaw zu suchen. Als wir eine halbe Stunde später am Ausgang abgeholt werden, strahlt uns Basu sehr verdächtig mit glasigen Augen an und ist sehr ausgelassen. Auch der Fahrer muss was geraucht haben… na das kann ja heiter werden. So spät am Abend ist es ganz schön frisch, es zieht gewaltig auf der Rückbank. Zum Glück hat Basu ein paar Decken dabei in die wir uns hüllen können. Basu sitzt vorne neben dem Fahrer, der sich immer an der Mittellinie orientiert und singt lautstark. Erleichtert stelle ich fest, dass kaum Gegenverkehr unterwegs ist und auch Raku ist entspannt genug drauf, um die Situation so zu nehmen wie sie ist. Notfalls werde ich nach vorne in den Lenker greifen, sollte es zu brenzlig werden. Auf halber Strecke werden wir an einer Kreuzung von zwei Polizisten angehalten. Jetzt gibt es wohl Ärger, denke ich. Es folgt eine lautstarke Unterhaltung, Basu muss sich zu uns nach hinten setzen und einer der Polizisten nimmt neben dem Fahrer Platz. Was gibt das jetzt? Die Hand vor dem Mund, um das Lachen zu unterdrücken, reckt Basu einen Daumen hoch um uns zu bedeuten, dass alles in Ordnung ist. Eine viertel Stunde später steigt der Polizist wieder aus. Wir fahren weiter und nach ein paar Metern prusten wir alle vier los, auch die Jungs dachten an Ärger, dabei wollte der Beamte einfach kostenlos nach Hause!

2.12.

Am nächsten Morgen mache ich mich wieder auf die Suche nach Mitfahrern, habe aber als Alternative schon mal überlegt mir einen Scooter zu mieten. Im Z-Hotel, wo ich öfters ein langsames Frühstück genieße, treffe ich Ildiki, eine Ungarin, die in Richtung Konark muss, jedoch nicht zum Festival. Für ein Taxi hat sie nicht genug Geld, aber als sie hört, dass ich eventuell einen Scooter nehme, macht sie den Vorschlag die Kosten zu teilen und bittet mich sie beim Rangers Resort auf halber Strecke abzusetzen. Rangers Resort? Irgendwie hört sich das bekannt an, ich komme bloß nicht drauf woher…

Okay, ab um die Ecke zum Rollerverleih, Anzahlung, packen, volltanken und los geht’s mit Ildiki on the road! Links fahren ist kein Problem und die überlebenswichtige Hupe finde (und brauche!) ich ganz schnell. Gemütlich tuckern wir mit 50 Stundenkilometern über die gut ausgebaute Straße. Ach, ist das ein Spaß! Den Wind in den Haaren (!), die vorbeiziehende Landschaft, die Leute, die uns lachend zuwinken, überholende Biker, die ab und zu eine Weile direkt neben uns her fahren (‚Eh cool, which country? Name? Name? Where going?‘) und ein bisschen Nervenkitzel, wenn die Fahrbahn plötzlich enger wird (manchmal kommt der Gegenverkehr halt mehrspurig, bin ja nun ein kleiner Scooter…).

Wir kommen im Rangers an und auf einmal dämmert’s mir! Hier war ich mit Mehatab, Ryan und Sidd damals am Strand, anschließend gab’s ein Konzert auf einer Wiese unter freiem Himmel!
Sanjay, der Besitzer, erinnert sich sogar daran. Ich bin wie elektrisiert und erfahre dann, was Ildiki hierherführt.
Seit drei Jahren organisiert das Rangers Resort ein internationales Surffestival und Ildiki soll Fotoshootings für die Website, die Flyer und die Ankündigungsplakate machen. Sanjay lädt mich zu einem Tee ein und ich lerne dabei die anderen Gäste und Volunteers kennen. Da ist Marc aus Antibe, sein Freund Eric, ein Lichtkünstler aus Paris, dessen Freundin Tanya, eine Aktionskünstlerin aus Sibirien und Marina, Fotografin und Webdesignerin, ebenfalls Sibirien. Es ist erst elf Uhr und somit noch ewig viel Zeit, um im Rangers eine Weile abzuhängen und sich mit den Leuten anzufreunden. Schnell fühle ich mich wohl und unterhalte mich viel mit Marc und Eric, die anderen sind am Arbeiten und Vorbereiten. Der Nachmittag vergeht wie im Flug und ich möchte so langsam los, um die Sandart bei Tageslicht sehen zu können. Spontan entscheiden sich Eric, Marina und Tanya mit aufs Festival zu gehen (meine „Freikarten“ kommen wieder zum Einsatz) und wir verabreden einen Treffpunkt. Ab geht’s auf meinen Scooter nach Konark! Heutiges Thema: „SAVE THE WATER!“. Erneut haben die Künstler interessante Skulpturen geschaffen, wobei einer aus Bhubaneswar meiner Meinung nach den Vogel abgeschossen hat. Sein Entwurf ist ganz schlicht. Eine fast nackte Ebene mit Rissen und darauf zwei vertrocknet aussehende, dreißig Zentimeter hohe Baumstümpfe, einer davon mit einem Loch in der Mitte, durch das man durchschauen kann. Darunter steht geschrieben: „NO GREEN WITHOUT WATER!“
Die Botschaft ist klar und für jeden verständlich. Mit Prakash, dem Künstler, unterhalte ich mich über die vergangenen und kommenden Themen.
„If you have more of this ideas, I think you’ll win the competition!“
„Oh no Sir, the jury will not understand my art“
Ich glaube Prakash stapelt etwas tief und ich wette mit ihm, dass er unter den besten Fünf sein wird. Ein Inder, der neben uns stand, spricht mich an und lädt mich ein das Dance Festival zu besuchen. Durjoy gehört zum Organisationsteam und reagiert sehr erfreut, als er hört, dass ich schon den Fünf-Tages-Pass habe.
Auf dem Festivalgelände treffe ich ihn dann wieder und er besorgt mir einen guten Platz in der Mitte, wo auch noch Platz für Eric, Marina und Tanya ist.
Die Vorstellungen heute sind allesamt grandios, die Musiker und Tänzer harmonieren perfekt, mehrmals gibt es Szenenapplaus. Sehr gut gefällt mir eine Trommlergruppe, die neben dem Trommeln auch eine choreografische Einlage zum Besten geben. Wir mir scheint handelt es sich um eine rituelle Einlage, die Schritte und Drehungen wiederholen sich in ähnlicher Weise und haben Parallelen zu den indianischen rituellen Tänzen, die ich von Powwows her kenne (Konark Dancing Drummers).
Auf der Rückfahrt mit meinem Scooter mache ich einen Zwischenstopp im Rangers. Die anderen sind schon zurück und alle sitzen am Lagerfeuer. Wir reden bis spät in die Nacht und Sanjay erzählt uns vom Leben in den Dörfern und der sich ändernden Politik in Odisha. Ich könnte noch stundenlang zuhören und Sanjay lädt mich ein im Rangers zu übernachten, aber ich muss zurück nach Puri, um meinen Roller abzugeben und Conny und Lothar die Karten zu bringen. Es ist halb zwei morgens, als ich mich endlich auf den Weg mache. Fast einsam roller ich vorsichtig nach Puri zurück, Kühe stehen mitten auf der Straße, Radfahrer und einzelne Fußgänger tauchen ganz dunkel wie aus dem Nichts auf!

3.12.

Gegen zehn wache ich auf und treffe Conny, Lothar und Rene zum Frühstück. Wir tauschen unsere Erlebnisse in den letzten Tagen aus und beschließen, heute Abend für Konark ein Taxi zu mieten. Danach fahre ich wieder zum Rangers, den Scooter kann ich noch bis fünf Uhr ohne Aufpreis nutzen. Marc und Eric freuen sich, dass ich vorbeischaue. Gemeinsam essen wir zu Mittag und verdrücken einige Chai. Das Essen hier ist köstlich, ohne viel Schnickschnack und der Küchenchef, der aus einem kleinen Dorf in der Nähe stammt, kocht so wie er es auch zu Hause tun würde. Marc würde gerne zum Festival mitkommen und ich biete ihm an, dass er bei uns im Taxi mitfahren kann. Noch nen Chai, bevor es Zeit wird, den Scooter abzugeben.

Die Sandkünstler beschäftigen sich heute mit dem Thema „SAVE THE EARTH!“ und bei vielen sieht man die Verbindung von Kultur und Umwelt. Kunstwerke und Monumente, die beschädigt sind oder unter den Abgasen von Verkehr und Industrie zu leiden haben, Fahrzeuge, die sich neben Monumenten auftürmen… Den anderen gefällt es sehr und die Kameras klicken ohne Ende, bis er Zeit wird, nach Konark zu fahren.
Heute ist es leider ziemlich nervig mit dem Programm, was aber nicht an den Künstlern liegt, sondern an echt miserablen Sound. Jeder Schlag mit den Trommeln tut in den Ohren weh und vibriert unter unseren Hintern. In der Pause gehe ich nach hinten zum Mischpult-Wallah und frage, ob er das Vibrieren nicht hört und eventuell die Trommeln herunter regulieren könne. Aber ne, die Tänzer brauchen das so laut. damit sie den Rhythmus hören können. Ich frage ihn, warum die Tänzer in den letzten Tagen, wo er leiser war, keine Probleme hatten.
‚They need it like this‘
So ein sturer Hund! Während der zweiten Hälfte des Programms treten zunächst Trommler auf, die eine rituelle Choreografie tanzen und dabei einzeln oder gemeinsam in wechselnden Geschwindigkeiten trommeln (zum Glück brauchen die keine Mikros). Das ist der Lichtblick des Abends, aber doch verlassen die Leute reihenweise die Vorstellung! Es scheint noch lauter geworden zu sein. Auch wir haben genug, ich rufe Munna an, damit er uns abholt und am Haupteingang sehe ich Durjoy stehen. Ich steige nochmal aus dem Taxi aus und überquere die Straße. Er nimmt mich lachend in die Arme und fragt, wie es mir heute gefallen hat. Als ich ihm mein Leid klage, reagiert er betroffen und verspricht mir nachzuhaken. Wir lassen uns nochmal zum Sand-Art-Beach fahren und schauen uns bei Flutlicht die Kunstwerke an. Zwischenstopp im Rangers, Marc absetzen und – ja, nen Chai. Marc und Eric schlagen vor, morgen am Strand zu übernachten, alle sind begeistert und ich werde auch gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mitzukommen – und ob!

4.12.

Heute ist der vierte Tag des Festivals, Conny und Lothar haben noch weitere Mitfahrer gefunden, aber ich habe beschlossen wieder den Scooter zu nehmen und zwar längere Zeit. Ich packe warme Sachen für die Nacht ein und ab geht’s zum Rangers. Es ist ein herrliches Gefühl, so absolut frei von Bus, Taxi oder Rickshaw zu sein, zu fahren wann und wohin man Lust hat. Irgendwie habe ich es auch satt, in Puri in den immer gleichen Touristenlokalen herumzuhocken, an den gleichen Geschäften hängenzubleiben und immer die gleichen Gesichter zu sehen, den Strand habe ich auch über… Eine kleine Krise. Ich habe es satt, Tourist zu sein.
Im Rangers sind alle beschäftigt, außer Marc und Eric. Wir planen, was wir für die Nacht alles mitnehmen müssen, kaufen Gemüse, Kartoffeln, Nüsse, Obst und Kekse ein. Der Weg zum Strand führt ungefähr zweieinhalb Kilometer durch den von Phailin zerstörten Dschungel. Bisher gab es einen markierten Weg, der sooft mit Fahrrädern und zu Fuß bearbeitet wurde, dass der Pfad gut zu finden war. Jetzt sieht alles anders aus, mehrmals haben die Leute versucht, den kürzesten und besten Weg zu finden. Jedesmal kamen sie an einer anderen Stelle heraus, sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg! Für uns bedeutet dies rechtzeitig los zu gehen. Falls wir um fünf noch nicht am Strand sind, wird es schwierig. Spätestens um 15.30 Uhr wollen wir starten, Holz für das Lagerfeuer muss ja auch besorgt werden. Ildiki ist noch in Puri zu einem shooting, es ist 15 Uhr und die anderen waren schon unruhig. Wie geplant starten alle zur ausgemachten Zeit, ich werde bleiben, um auf Ildiki zu warten, so machen das Gentleman. Falls es zu spät werden sollte, macht Sanjay den Vorschlag, dass man zu viert mit zwei Bikes drei Kilometer in Richtung Puri fährt. Von dort führt eine Trasse in Richtung Meer, im Dunkeln gut zu finden. Am Strand angekommen müssten wir dann eben einfach so lange nördlich laufen, bis wir auf das Lagerfeuer treffen. Zwei Angestellte vom Rangers würden die Bikes zurück zum Resort bringen. Guter Plan. Aber nicht nötig. Gegen 16 Uhr stehe ich von meinem Platz auf und nehme meinen Rucksack, Sanjay schaut mich fragend an. ‚Ildiki is coming!‘
Ich gehe vor das große Eingangstor, ein Linienbus hält auf der anderen Seite, fährt weiter und Ildiki kommt lachend am Straßenrand zum Vorschein. Perfektes timing, wenn wir uns beeilen sind wir vor Einbruch der Dunkelheit bei den Anderen! Also gut, wir stiefeln los, Lali und Lala begleiten uns. Wir verlieren unterwegs den Weg, wie zu erwarten war. Teilweise folgen wir den Hunden, aber auch sie laufen im Zickzack. Wir sehen die Sonne und hören die Brandung, eigentlich besteht also kein Problem, außer dass es immer wieder undurchdringlich wird und eine Menge umgestürzte Bäume uns behindern. Außerdem gibt es hier und da sumpfige Stellen, die wir der Schlangen wegen meiden sollten. Irgendwann haben wir es geschafft und kommen an, als die Sonne ihre letzten Strahlen zu uns herüber schickt. Die Hunde rennen nach rechts, wir sehen einen Schatten, Tanya ruft und winkt uns zu. Gerade als wir auf ihrer Höhe sind, ruft memand links von uns – ist das Eric!? Ja! Die Gruppe hat sich wohl auf halber Strecke getrennt, weil man(n) sich nicht einigen konnte, wo es lang gehen soll. Wir sind nur einen halben Kilometer nördlich des Lagerplatzes angekommen, der Rest der Gruppe ist gerade mal seit zehn Minuten da. Fix geht es ans Holz sammeln, Eric und Marc machen Feuer und wir anderen kümmern uns um das Zerkleinern der Äste und Zweige.
Endlich brennt das Feuer hoch genug, die Kartoffeln kommen ins Feuer und werden später mit Genuss verzehrt. Geschichten werden erzählt, wir spielen ‚Wer bin ich?‘ oder wir sitzen einfach da, betrachten den Sternenhimmel und hören den Wellen zu. Einfach herrlich, einer meiner schönsten Abende in Indien und um mich herum lauter sympathische und interessante Menschen. Weit nach Mitternacht legen wir uns um das Feuer, mittlerweile ist es spürbar kalt geworden. Die Hunde schlagen immer wieder an und knurren in Richtung Dschungel. Sanjay hat uns erzählt, dass es hier Hyänen, Schakale und Wölfe gibt, keine Ahnung, ob das stimmt. Im Resort hören wir jede Nacht das Geheule der Schakale, die sehr nah an die Umzäunung des Rangers kommen, um nach Nahrungsabfällen zu suchen, bis sie von den unseren Hunden und den draußen herumstreunenden verjagt werden. Aber Wölfe und Hyänen? Irgendwann wird es selbst im Schlafsack zu kalt und wir schlüpfen in ein Zelt, kuscheln zusammen und wärmen uns gegenseitig – viel besser!
Die Hunde und die Morgensonne wecken uns. Zum Frühstück gibt es Wasser und Kekse, danach geht’s ab in die Wellen! Das Wasser ist wohltuend frisch, die Brecher zwischendurch ganz schön kräftig. Bis auf zwei Brandungsfischern sind wir völlig alleine an diesem sauberen, nach beiden Seiten kilometerlangen, hellen Sandstrand. Kurz vor zwölf packen wir ein, es ist sehr heiß und der Hunger ebenso. Vom Strand aus sehen alle Einstiege zwischen den Bäume gleich aus. Welchen Weg nehmen? Okay, wieder mal sind es die Hunde, an denen wir uns (anfangs) orientieren. Natürlich kommen wir nicht weit, der Weg ist versperrt. Marc und Eric kappeln sich mal wieder, die Mädels und ich halten uns heraus, schließlich folgen wir Marcs Vorschlag. Jetzt bei gutem Tageslicht ist die ganze Auswirkung von Phaillin zu sehen. Völlig intakte Gebiete wechseln sich spiralmäßig mit verwüsteten ab. Ein Mordsgerät von Baum mit einer mächtigen Wurzel versperrt uns den Weg. Wir umrunden den entwurzelten Riesen, ducken uns unter ein paar Büschen durch und stehen plötzlich auf einem markierten Pfad! Eine halbe Stunde später bekommen unsere Mägen eine gute Befüllung!

Nach dem Mittagessen fahre ich Ildiki zum Shooting an den Sandart Beach, um zum einen ein paar Eindrücke der Arbeiten festzuhalten und zum anderen in der Hoffnung einige der wuselnden Krabben vor die Linse zu bekommen, die es hier normalerweise im Überfluss gibt, irgendwie sind sie zur Zeit aber kamerascheu. Mit viel Geduld und nach langem Warten haben wir eine Aufnahme im Kasten – zwei Krabben streiten sich um ein frisch gegrabenes Loch! Noch ein paar Bilder bei den Sandkünstlern, heutiges Thema „SAVE THE PLANET!“. Wir treffen noch einmal Durjoy, der darauf besteht, dass ich heute Abend mit ihm Abschluss anschaue.
Ich fahre Ildiki zum Rangers zurück, sie bearbeitet gleich Ihre Aufnahmen und ich düse zum Dance Festival. Alle anderen sind angeblich auch da, aber ich entdecke nur Marina, die gerade am Gehen ist und Tanya; auch Durjoy, Conny und Lothar sehe ich. Die Vorstellungen sind heute ganz prima, der Sound besser!
Am Ende des Programms findet die Siegerehrung für die Sandkünstler statt. Um besser sehen zu können, gehe ich nach vorne, Durjoy steht im Pressegraben und winkt mich zu sich. Alle Künstler stehen auf der Bühne und Preise gibt es für die ersten fünf. Erwartungsgemäß gehen die Nicht-Inder wieder mal leer aus, doch die Überraschung ist perfekt, als der erste Platz nominiert wird: Prakash! Unglaublich – warum gab es keine Wettbüros…? Überglücklich nimmt er den Preis entgegen, einen Blumenstrauß sowie einen Scheck über 10 000 Rupien. Er entdeckt uns im Pressegraben, wir recken die Daumen und Prakash winkt zurück. Anschließend gibt es Siegerfotos und Durjoy schleppt mich an die Bühne, wo die Presse die Bilder schießt.
‚Come, they have to make a picture with you and Prakash!‘
Also gut, Fotos für die Presse, anschließend werde ich noch von einem lokalen Fernsehsender interviewt. Tanya ist immer noch auf ihren Platz. Anscheinend gab es mal wieder Unstimmigkeiten über den Zeitpunkt der Rückfahrt oder so was ähnliches. Sie fragt, ob ich sie mit zurück nehmen kann. Klar doch, jetzt habe ich jemanden, die mir zumindest bis zum Rangers den Rücken wärmt.

6.12.
Nikolaustag. Es ist heiß und niemand hat mir die Schuhe gefüllt, auch die Rute gab es nicht…
Heute morgen habe ich mich entschieden umziehen. Im Rangers Resort kann ich ganz günstig im Zelt schlafen, das Essen kenne ich ja und sofern ich will, gibt es drei Mahlzeiten am Tag. Das Wasser geht erst durch einen Purifier und ist umsonst. Als Gegenleistung darf ich mithelfen oder mir eine Aufgabe suchen. Bevor ich mein Gerödel zu den Surfing Yogis bringe, so der zweite Name des Resorts, fahre ich zu einer Bakery, in der es feinsten Lecker- und Schmeckerli gibt und kaufe eine große Ladung, immerhin ist Nikolausi!
Bei den Yogis sind alle überrascht, niemand hat an Nikolaus gedacht bzw. der Brauch ist unbekannt. Ildiki kennt es von Ungarn, in Russland kennt man das gar nicht und in Frankreich ist der Brauch in Vergessenheit geraten, dafür wird, wie in den Vereinigten Staaten Halloween und Santa Claus gefeiert. Aber das ist eigentlich Wurst, Hauptsache Süßes auf dem Tisch. Vor allem Marina bekommt große Augen und leckt sich die Lippen – Yam, Yam,Yam! Das ist ab nun das ‚Losungswort‘ für alle Arten von Nachtisch. Immer wenn ich ‚Yam, Yam,Yam‘ rufe, kommt Marina angedüst und lunzt was es wohl Leckeres gibt.

Bevor es dunkel wird beziehe ich mein Zelt, breite mein bedcover aus und richte mich so gemütlich es geht in meiner neuen Behausung ein. Leider verlassen uns morgen Eric und Marc, für sie geht es weiter nach Bodh Gaga…
Am nächsten Morgen sehe ich, wie einer der Angestellten beginnt den Zaun, der den Garten des Resorts auf zwei Seiten begrenzt, mit weißer Farbe neu zu streichen. Er schaut mich an
‚Wanna help?‘
‚Of course!‘ grinse ich zurück. Ausführlich erklärt er mir, wie ich vorgehen soll, als hätte ich noch nie in meinem Leben mit Pinsel und Farbe gearbeitet. Aber ich mache ihm die Freude und höre geduldig bis zu Ende zu.
Bewaffnet mit Pinseln und Farbe mache ich mich ans Werk, dreißig Meter Zaun wollen gestrichen werden! Das wird nun jeden Tag meine morgendliche Meditation, Pfosten für Pfosten. Dabei mache ich es mir zur Aufgabe, weder an den Anfang noch an das Ende zu denken. Übungszeit habe ich genügend, denn ich muss insgesamt vier mal über das Holz, bis alles schön weiß aussieht. Geld für Grundierung gibt es keines, Farbe ist billiger, ich soll einfach so oft wie nötig drüber streichen, zum Abschmirgeln gibt es auch nichts! That’s India!

Wenn ich nicht gerade am Zaun meditiere, fahre ich die Mädels zum Shooting, trainiere mit meinen Stöcken oder düse etwas durch die Gegend, um selbst ein paar Fotos zu schießen. Ab und zu muss ich nach Puri (Yam Yam Yam!) um Besorgungen zu machen und auch um mich hin und wieder unters Messer zu legen, da ich oft zu faul bin mich selber zu rasieren. Das kann ich so richtig genießen. Intensiv wird mit dem Pinsel der Schaum aufgetragen, dann kommt die erste Rasur, anschließend wird das ganze gründlich wiederholt. Am Schluss wird mit einem Salzstein die Haut abgerieben, abgerundet wird mit einer Gesichtscreme. Wohlduftend fahre ich dann wieder zu meinen Mädels zurück!

So verbringe ich meine Tage dort, fühle mich geerdet und mit mir verbunden. Abends schauen wir zusammen Filme (Freaks. Samsara) an oder sitzen am Lagerfeuer. Wenn Sanjay hier ist haben wir oft interessante Themen. Natürlich spricht er auch über sein Projekt, das Internationale Surf-Festival (ISF). Dabei geht es in erster Linie um Community, Attachment, Sharing of Experience, Environmental Awareness Joy, Happiness and Good Vibrations.
Zum Beispiel sind alle Arten von Plastik. soweit es geht verboten. Eine Flasche Wasser ist erlaubt und an mehreren Plätzen gibt es dann Stationen, an denen man gereinigtes Wasser nachfüllen kann. Wer gerne Bier trinkt, bekommt einen Becher (80 Rs), bringt man diesen jeweils wieder, ist das Bier jedesmal billiger (-20 Rs).
Alles was man für die Bühne und die Shows braucht wird aus Materialien aus der Umgebung hergestellt, zum Teil mit Hilfe Einheimischer aus den umliegenden Dörfern.
Ein anderes Projekt der „Surfing Yogis“ ist „Walking On Water“, was anderenorts „Stand-Up-Paddling“ (SUP) genannt wird. Das Projekt hat mehrere Aspekte, wie z.B. den gesundheitlichen. Bei diesem Sport, der sehr leicht zu erlernen ist, werden so ziemlich alle Muskeln unseres Körpers beansprucht. Man steht in Schrittstellung, die Knie leicht gebeugt, ständig ist der Körper gezwungen selbst bei nur schwachen Wellen das Gleichgewicht wieder herzustellen. Unzählige Muskelpartien vorführen Mikrobewegungen, für den Körper angeblich effektiver als Laufsport. Der wesentlich wichtigere Aspekt ist ein ökologischer. Im nahe gelegenen Chilika-Lake werden die Besichtigungen zu den Vogelschutzgebieten und zu den Delphinen mit kleinen Motorbooten durchgeführt, eine andere Möglichkeit gibt es zur Zeit eigentlich nicht. An manchen Tagen geht es dort zu wie auf der Autobahn und natürlich bekommt man selten Delphine zu sehen. Sanjay glaubt, noch sei das Ökosystem dort zu retten. Er möchte die um den See herum lebenden Fischer im Stand-Up-Paddling ausbilden und sie zu überzeugen, Touren auf dem See damit anzubieten. Die Fischer hätten ein zusätzliches Einkommen, die Touristen ihren Spaß (und ein beruhigtes „Ökogewissen“) und der See und die Tierwelt könnte sich erholen.
Auf dem Festival treffen sich ebenso internationale Künstler, Musiker, Artisten, Tänzer, Performer und ich bedauere jetzt schon, dass ich nicht dabei sein kann, weil zur Festivalzeit mein Visum abläuft. Man kann eben nicht alles haben.

Nach ein paar Tagen stoßen Sebastian und Miguel, zwei Argentinier, zu dem Projekt dazu. Sebastian ist ein professioneller Filmer, der in ganz Asien unterwegs ist. Miguel ist seine rechte Hand und Mädchen für alles. Für die Homepage wird ein Trailer hergestellt, die Aufnahmen dafür schießen wir am Strand in der Nähe von Konark und Ildi, Marina, Miguel, Sebastian und ich fahren dort gemeinsam mit der Rickshaw hin, selber! Einer der Angestellten fährt abends in Puri Touren und für heute bekommen wir die Kutsche. Schnell noch zwei Surfbretter aufs Dach geschnallt und los geht’s! Wer steuert das Ding? Der Einzige, der schielt, Miguel! Das ist ein Spaß, fünf Goras in einer Rickshaw, die nirgends anhält, um wirkende Fahrgäste zusteigen zu lassen! Ab und zu werden wir natürlich überholt und die Blicke der Fahrer, wenn sie sehen, wen oder was sie da überholen, erzeugen bei uns Lachsalven!
Sebastian erklärt mir geschwind das Stand-Up-Paddling und nach kurzer Zeit stehe ich sicher auf dem Brett und kreuze mit Miguel über eine kleine Lagune ihn und her. Die Mädels und Sebastian schießen Bilder und filmen was das Zeug hält!

Abends sitzen wir zusammen, trinken heißen Tee, schauen Filme oder hören Musik. Zwar müssen Marina und Sebastian teilweise noch arbeiten, weil es einfach soviel zu tun gibt, aber wir haben trotzdem sauviel Spaß und oft ist Sebastian mit seinem Humor und seinem Gute-Laune-Modus der Grund dafür.

An irgendeinem Abend werden wir Zeuge einer rituellen Zusammenkunft. Einige Freunde des Verwalters kommen in das Resort, essen zusammen und beginnen dann zu jammen und zu singen. Den Anlass kann uns niemand so richtig genau erklären, so sitzen wir nebenan und hören zwangsläufig (wegen der Lautstärke) zu:

Ceremony at Rangers1

Ceremony at Rangers2

Mein Geburtstag steht an und die Mädels schlagen vor, den Tag gemeinsam in Puri zu verbringen. Wir starten schon morgens zu dritt auf dem Scooter, Miguel und Sebastian müssen arbeiten. Station Nummer Eins ist das Peace Restaurant, wo es das beste Müsli gibt, danach gebe ich meinen Scooter zurück, denn morgen Mittag mache ich mich auf die lange Reise nach Madikeri. Nach einem kleinen Abstecher in die Stadt zieht es uns zu Debu in die German Bakery, wo ich mir eine leckere Auberginen-Pizza bestelle. Ein indischer Bekannter Marinas setzt sich zu uns und irgendwann bekomme ich nach langem Bitten und Betteln ein Geburtstagsständchen Birthday Songs at Honey Bees     Wir verbringen einen recht lustigen Tag zusammen und essen später im Green Garden zu Abend. Zurück mit der Rickshaw und als Geburtstagsfilm wähle ich mir „The Great Diktator“!
Sebastian hat auch noch eine Überraschung, irgendwoher hat er für mich eine Flasche Fosters besorgt! Yam, Yam, Yam!

Veröffentlicht unter Puri

Wiedersehen in Kolkata 9.11.2013 – 13.11.2013

Morgens um halb fünf klingelt mein Telefon. Der Hausherr! Verschlafen! Fahrer wartet! Sch…! Schnell ziehe ich mich an und packe meine Sachen, zum Glück habe ich den großen Rucksack schon vor dem Schlafengehen gerichtet!
Fünf Stunden später lande ich in Kolkata, Ryan erwartet mich. Eine herzliche, stürmische Begrüßung, dreieinhalb Jahre sind es her und es kommt mir vor, als hätten wir uns erst vor kurzem getrennt. Mit dem Taxi geht’s Richtung Südwesten nach Behala zu Ryans Drei-Zimmer-Wohnung. Am nächsten Morgen fahren wir rüber zu Sidd, der kleine Om ist krank, weshalb ich ihn nur kurz sehen kann. Sidd kümmert sich liebevoll um seinen Sohn, ich denke er ist ein guter indischer Daddy.
Die Tage in Kolkata sind angefüllt mit Nichtstun, wir kochen zusammen, bestellen bei Subways oder holen uns etwas auf es Straße um die Ecke – frisch vor unseren Augen zubereitet. Wir hören viel Musik, schauen abends Filme, Sidd kommt immer wieder vorbei und bringt uns Bier mit. Außerdem schmieden Pläne für Touren und nach ein paar Tagen entscheiden wir uns nach Puri zu fahren, wo wir uns kennen lernten. Sidd hat dort für drei Tage Schüler, die er im Gesang unterrichtet. Also Ticket buchen, packen und ab geht’s nach Orissa in die heilige Stadt Puri! Jai Jagannath!

Jaipur Again 7.11.2013 – 9.11.2013

Der schnellste Weg nach Kolkata führt mit dem Bus über Jaipur, von dort geht es dann mit dem Flieger weiter.
In Jaipur verbringe ich zwei Nächte im Homely Stay von Arpita, die ich bei Doktor Galundia kennenlernte. Arpita und ihre Familie wohnt etwas außerhalb von Jaipur in einem großen Haus mit Garten und liegt eigentlich in einer sehr ruhigen Gegend. Jedoch führt keine 100 Meter entfernt der Jaipur Bypass vorbei, eine der Schnellstraßen Jaipurs, was meine Nachtruhe hoffentlich nicht stören wird. Es ist Abendessenszeit als ich ankomme und nach einer heißen Dusche wird erst einmal geschlemmt. Chapatti, gebratener Reis, Aloo Gobi, Papadam, Mixed Pickels, Gemüse in einer cremigen Kokosnusssauce und Ginger-Lemon! Lecker! Später trifft man sich dann im Salon, der mit teuren Möbeln und Accessoires ausgestattet ist, zum abendlichen Whisky. Der Hausherr stellt mir ein hohes 300 ml Glas an meinen Platz und schenkt mir zwei Finger breit Whisky ein und füllt den Rest mit Wasser auf! Ein Freund der Familie ist auch anwesend und die beiden schwenken in ihren Clubsesseln staatsmännisch ihre Saftgläser. Die Brühe schmeckt furchtbar, aber aus Höflichkeit trinke ich ganz aus. Wir unterhalten uns eine Weile über Korruption, Vergewaltigungen und Obama. Das gesellschaftliche Klima in Indien scheint im Umbruch, mehrmals in der Woche gibt es Meldungen über sexuelle Belästungen, auf die inzwischen sehr sensibel reagiert wird. Regierungsbeamte, Journalisten, Schauspieler und Manager verlieren ihre Posten, und das ziemlich schnell, sobald ein Fall von Belästigung bekannt wird. Frauen gehen auf die Straßen und protestieren, Männer solidarisieren sich. Die indische Gemeinde außerhalb von Indien bombardiert öffentliche Stellen mit Forderungen über das Internet und ruft ihre Landsleute vor Ort auf gegen diese untragbaren Zustände vorzugehen. Es scheint mit dem Vorfall in Mumbai letzten Jahres eine Schmerzgrenze erreicht zu sein. Indien hat genug!

Mich überkommt eine wohltuende Müdigkeit, sechs Stunden Busfahrt, der Whisky und die Diskussionen fordern ihren Tribut. Artig bedanke ich mich, ziehe mich zurück und schlafe sofort ein.

Nach einem üppigen Frühstück gehe ich in die Stadt um Viney zu besuchen. Seine Mobilnummer habe ich in der Tasche. aber ich beschließe einfach im Laden von Samir vorbeizuschauen, Viney wird schon da sein. Mühelos finde ich die Gasse wieder in der Osho’s Gem Shop liegt. Durch die Scheibe der Eingangstür sehe ich, dass er da ist und öffne die Tür mit ‚Namaste Viney!‘. Er steht mit dem Rücken zur Tür, dreht sich um und dann bleibt ihm der Mund offen stehen. Eine stürmische Begrüßung folgt und als erstes wird gleich mal ein Chai organisiert. natürlich muss ich von den letzten Wochen erzählen und es stellt sich heraus, dass Viney ein Freund von Nathulal ist! Sowas! Wir beschließen den Tag gemeinsam zu verbringen. Später gibt es ein Begrüßungsbier, danach besuchen wir einen Freund, ein Künstler, der Bilder aus fein zermahlenen Halbedelsteinen anfertigt. Die Motive sind hauptsächlich Götterfiguren, Tierbilder oder farbenfrohe Palastszenen aus vergangenen Zeiten. Die kleinsten Objekte sind ungefähr 10 cm x 6 cm und man kann alle Details, seien sie auch noch so klein. erkennen. Die größten die Jitesh Sharma herstellt sind ungefähr 90 cm x 60 cm. Gerne würde ich seine Werkstatt sehen, aber erst einmal den obligatorischen Chai, danach wird Chillum geraucht. Das Büro, in dem wir sitzen ist so klein, dass die Luft nach kürzester Zeit derart rauchgeschwängert ist, dass ich unweigerlich „mitrauche“. Ach ja, das Leben ist schön! Jitesh geht mit mir in seine Werkstatt und ich sehe die vielen Schraubgläser mit den farbigen Steinen. Er demonstriert, wie er die Steine zermahlt. Der nächste Schritt ist das Vorzeichnen des Motivs mit allen Details auf eine Plexiglasscheibe, dann erfolgt der Auftrag eines Klebers. Nun kommt die eigentliche Feinarbeit, die eine ruhige Hand, ein gutes Auge sowie Geduld verlangt. Ich erzähle ihm von Kamal Swami, dem Miniaturzeichner aus Jaisalmer und Jitesh ist sofort begeistert und will mit Kamal Kontakt aufnehmen. Warum auch nicht, zwei begnadete Künstler mit außergewöhnlicher Kunst! Am Ende kaufe ich zwei ganz kleine Bilder, wobei Jitesh beim Nennen des Preises zögert. Aus dem Augenwinkeln heraus sehe ich, dass Viney kopfwackelnd ein Zeichen gibt und ich vermute mal, dass 2000 Rupien ein Freundschafftspreis ist. Wir verabschieden uns, um zu Vineys Wohnung zu fahren. Dort lerne ich seine französische Freundin kennen und zwei weitere Mitbewohnerinnen aus Frankreich. Samir und ein weiterer Inder sind auch anwesend und wir trinken natürlich vorab einen Ch..
Viney geht in die Küche und nun wird GEKOCHT! Wir sind beim Bier angelangt, die Stimmung ist ausgelassen und ich halte jeden Schritt der Zubereitung des Partymeals mit meiner Kamera fest. Blumenkohlreis, Chapatti und ein würziges Dal in einer cremigen, sehr scharfen Sauce. Während des ganzen Abendessens läuft Musik von Bob Dylan und wir singen alle mit vollem Mund die Texte mit – was für ein Tag, was für ein Abend! Viney und Samir wollen sicher gehen, dass ich gut nach Hause komme und bestellen den Rickshaw- Wala des Viertels hier und fahren mit mir bis zu meiner Unterkunft. Wieder einmal heißt es Abschied nehmen und Viney ist den Tränen nahe…

Pushkar 28.10.2013 – 6.11.2013

Hundsmäßige Ankunft

Um 5.00 nachmittags startet mein Nachtbus nach Pushkar, rechts und links vom Mittelgang sind auf Kopfhöhe die Schlafkojen, die eigentlich aussehen wie Glassärge. Eine kleine Leiter hoch, Fenster aufschieben, Vorgang zuziehen, Schlafsack auslegen, Kopfkissen plazieren – fertig ist die Ruhestätte. Die erste Hälfte der Fahrt ist angenehm, ich lese oder schreibe, ab und zu döse ich vor mich hin, schlafe oder schauen aus dem Fenster, so lange dauert noch hell ist. Gegen Mitternacht halten wir in Nagaur zur Nahrungsaufnahme. Wir stehen aus und vertreten uns etwas die Füße, während ein blinkendes und glitzerndes Tuk Tuk gegenüber anhält. Ich zücke meine Kamera und schieße ein paar Bilder, als er Fahrer mich energisch zu sich winkt ‚Come! Look inside!‘ Ich denke ich stand eine Weile mit offenem Mund da, denn was da zu sehen ist, ist mir bisher noch nicht untergekommen. Mitten in der Rückwand der Fahrerbank prunkt ein Fernseher! Ein älterer Mann zupft mich am Ärmel, setzt sich auf die Rückbank und grinst breit. Er möchte fotografiert werden und ich tue ihm den Gefallen! An einem Teestand sitzen ein paar Jungs auf einer Holzbank und beobachten mich. Sie rufen mich zu sich und ich frage sie, was sie so spät in Nacht hier treiben. Am Teastall ist sozusagen der Dorfmittelpunkt und sie haben nichts besseres zu tun. Wir tauschen unsere Namen aus und dann möchte ich wissen, welchen Berufen sie nachgehen. Sie sind Mechaniker, Schneider, Milchmann, Farmer und ich stelle mich als Schauspieler vor. In dem Moment kommen zwei Polizisten ganz gemächlich vorbei geradelt. Irgendwie sieht das lustig aus und ich stelle mir vor, wie die beiden versuchen die Jungs auf ihren Bikes zu verfolgen, sollten sie etwas ausgefressen haben. Spontan spiele ich ihnen die Szene vor und wir schütteln uns alle vor Lachen – zum Glück sind die beiden Polizisten weit genug entfernt. Der Bus hupt, die Fahrt geht weiter. Ein nettes Intermezzo mitten in der Nacht! Leider ist der zweite Abschnitt der Strecke sehr holprig und wir werden so stark durchgeschüttelt, dass an schlafen nicht zu denken ist. Wir erreichen Pushkar um drei Uhr morgens anstatt um sechs Uhr, wie angekündigt. Das Hotel Everest ist laut Busfahrer ganz in der Nähe. An den Mauern und Hauswänden sind Namen mit Pfeilen, die zum jeweiligen Hotel führen. Es geht eine kleine Anhöhe hinauf (Everest!), die Gassen werden immer schmaler und irgendwann sehe ich keine Pfeile mehr. Außerdem ist es fast stockdunkel und ich verliere etwas die Orientierung. Mehr und mehr Hunde werden auf mich aufmerksam und bellen mich an. Dann stoße ich auf eine Bäckerei, in der schon fest gearbeitet wird. Es ist nicht mehr weit, aber einige Hunde kommen mir jetzt sehr nahe und das Bellen und Geknurre wird aggressiver. Mir ist es zum ersten Mal richtig mulmig zumute. Ein Pfeil an einer Wand zeigt nach rechts in eine sehr schmale Gasse, ich hole mein Mobilefone aus der Tasche und wähle die Nummer unter der ich gebucht habe. Ein paar Meter vor mir höre ich es klingeln, der Nachtwärter geht sofort ran. Die Hunde sind nur noch ein paar Meter entfernt und einer beginnt mit heftigem Knurren auf mich zu zustürmen. In dem Moment öffnet sich die Tür, ich schlüpfe rein und bin echt erleichtert von der Straße weg zu sein! Im Erdgeschoss gibt es so eine Art „Notzimmer“, in dem ich den Rest der Nacht verbringen kann. Einen persönlichen Aufpasser habe ich auch – am Fußende regt sich ein großer schwarzer Schatten – Lion, der Haushund!

Pushkar – Holy City, Holy Lake

In Pushkar fühle ich mich sofort wohl. Am ersten Morgen sitze hier zum Frühstück auf der Dachterrasse des Everests und betrachte die umliegenden Hügel. Auf zwei näher gelegenen gibt es interessante kleine Tempel, die es anscheinend wert sind, besucht zu werden. Zum westlich gelegenen führen 600 Stufen hinauf. Mal sehen, steht jedoch noch nicht auf dem Programm. Während er Frühstücks klingelt das Telefon, Viney aus Jaipur meldet sich und hofft, dass ich ihn noch einmal besuche, von hier wäre es auch nicht mehr weit nach Jaipur.
Am Nachmittag geht es zur ersten Erkundung des Ortes. Gleich um die Ecke ist ein kleiner Shop und die Besitzerin, Lalita, winkt und grüßt mich freundlich. Dort kaufe ich jetzt täglich mein Wasser und meine Kekse.
An der Hauptstraße gibt es viele interessante und schöne Läden. Mir fällt sofort positiv auf, dass die Leute – außer am Falafelstand – einen in Ruhe lassen. Eventuell wird man jeden zehnten Shop angesprochen, aber sehr zurückhaltend und nur einmal. Kein Hinterherrufen, keine Aufdringlichkeiten, keine dummen Sprüche, herrlich entspannend! Der Marktplatz mit Teestand wird ab jetzt mein Stammplatz, um Tee zu trinken, Leute zu treffen und Tips auszutauschen oder einfach das Geschehen zu beobachten. Ich glaube ich habe mich gleich am ersten Tag in Pushkar verliebt, der Ort tut mir so gut!

Nagara, Nagari

Am späten Nachmittag gehe runter zum heiligen See, an dem sowohl Pilger als auch Einheimische ihre täglichen Rituale durchführen. Keine große Massen tummeln sich dort, die Gläubigen sind auf die vielen Ghats am See verteilt, der rechteckig angelegt ist. Die Sonne steht schon tief und von der gegenüberliegenden Seite höre ich Trommeln. Ich bin neugierig und komme näher. Vom See kommend gehe ich die Stufen am Mukti Ghat hoch, wo auf einer Steinplattform ein Inder mit ein paar Westlern trommelt. Jeder hat zwei Stöcke in der Hand, mit der zwei unterschiedlich große Trommeln bearbeitet werden, wobei mich die Haltung des Stockes in der linken Hand irritiert. Die Spieler schlagen aus dem Handgelenk mit der Rückhand auf die Trommel, was ich bisher noch nicht gesehen habe. Neugierig setze ich mich auf die niedrige Mauer, die den fast quadratischen Platz umgibt und höre zu bis das Stück zu Ende gespielt ist. Es ist augenscheinlich, dass hier ein Lehrer mit seinen Schülern trommelt. Es gibt eine kurze Pause, während das Pärchen aufsteht und sich an den Rand setzt. Ein junger Mann – Domino, den ich in den nächsten Tagen näher kennenlerne werde und der eigentlich Dominique heißt – setzt sich an die Trommeln und der Lehrer winkt mich zu sich ‚Come sit down and play with us!‘ und ich versuche es einfach. Sofort habe ich ein super Gefühl mit den Stöcken in der Hand, Stöcke, Stöcke, Stöcke! Wir spielen einen einfachen Rhythmus und zunächst kann ich ganz gut mithalten, obwohl ich mit der Stockhaltung links Probleme habe. Es fühlt sich einfach falsch an (meine StockkämpferInnen wissen warum. Ähm, ihr wisst doch warum, oder?) und ich konzentriere mich hauptsächlich auf die rechte Seite (Drumm Session on Holy Lake, Pushkar).

Um sechs Uhr müssen wir aufhören, die allabendliche Puja beginnt und wir hören von den kleinen Tempeln nebenan, wie die Priester ihre Mantren singen (Pushkar Monks). Die Trommeln werden eingepackt und der Lehrer lädt mich für morgen Abend wieder ein.
Pünktlich um 5.00 pm bin ich am Ghat und Narendra Solanki ist mit seinen Schülern da, die Trommeln stehen bereit. Das französische Pärchen und Domino aus Baden-Baden sind auch wieder da. Nahendra erklärt mir die Stockhaltung sowie die Sitzposition im Verhältnis zu den Trommeln. Wir beginnen wieder mit sehr einfachen Rhythmen, steigern jedoch stetig das Tempo und mir gelingt es meistens mitzuhalten. Eine Trommel ist noch frei und Lia, eine Israeli setzt sich dazu. Nach dem Trommeln erzählt uns Nahendra, dass morgen sein Vater von einer Konzertreise aus London zurückkommt und abends am See spielen wird. Wir sprechen anschließend über den Savitri-Tempel, den ich schon vom Hotel Everest aus gesehen habe. Es stellt sich heraus, dass eigentlich alle den Plan haben, den Hügel sehr früh zu besteigen, um von dort den Sonnenaufgang zu beobachten – geschafft hat es bisher noch niemand! Ich schlage vor, dass wir morgen früh zusammen gehen können. Wir tauschen unsere Mobilnummern aus, um uns im Notfall gegenseitig zu wecken und verabreden uns für 5.00 Uhr am Brahma Tempel! Toller Plan, ich freue mich drauf!

Der Savitri-Tempel

Pünktlich am Brahma-Tempel angekommen, treffe ich auf eine größere Gruppe. Außer dem französischen Pärchen und Lia ist noch Francesco aus Italien sowie Sevan und Shenai aus Israel dazu gestoßen. Gemeinsam geht es im Dunkeln in Richtung Savitri-Tempel, alles ist noch still und friedlich, vereinzelt hören wir Vogelgezwitscher und hier und da Grillen, von irgendwo her schwappt Tempelmusik zu uns herüber – eine schöne Stimmung. Nach zehn Minuten kommen wir am Fuß des Hügels an, wo die Steinstufen beginnen. Zu Beginn sind die Stufen niedrig, eben und regelmäßig, wie es sich für eine gute Treppe gehört, aber je höher wir kommen, desto mehr sind die Stufen verschieden hoch und lang, gegen Ende liegen zwischendurch einfach nur noch große, quaderförmige Steinbrocken vor uns. Der Atem geht immer schneller, die Schritte werden schwerer, aber nach einer halben Stunde Aufstieg und 608 erklommenen Stufen sind wir am Ziel. Die Dämmerung erhellt die umliegenden Hügel, unter uns liegt das erwachende Pushkar. Wir treffen auf der Plattform vor dem Tempeleingang auf andere Frühaufsteher, ein Priester serviert uns heißen Masala-Tea. Etwas nördlich vom Hügel entdecken wir die Ebene, wo in zwei Wochen der größte Kamelmarkt der Welt stattfinden wird, vereinzelt sind schon ein paar Camps aufgebaut. Und dann kommt endlich die Sonne! Jai Ho! Die Kameras klicken um die Wette und ringsum beginnt es zu wuseln – hunderte von Streifenhörnchen erwachen! Auch die ersten Affen lassen sich sehen, wohl in der Hoffnung, dass wenigstens der eine oder andere Tourist etwas essbares dabei hat. Ich fühle mich total gut da oben, der Tag erwacht, die Some steigt langsam höher, das Leben nimmt seinen Lauf und ich bin ein Teil davon. Die Zeit scheint zu kriechen und ich beobachte die Sonne, die Affen, die Streifenhörnchen und die kommenden und gehenden Pilgergruppen. Ich sauge jeden Moment auf wie bisher noch nirgends auf dieser Reise, Pushkar war genau richtig!
Nach zwei Stunden besteht unsere Gruppe nur noch aus Savan, Lia und mir. Wir haben noch keine Lust zu gehen, in den Rucksäcken sind genügend Wasserflaschen und Kekse, um bis zum Mittag zu überleben. Eine große Gruppe junger Männer mit Turbanen kommt zu uns herüber, Lia schreibt gerade in ihr Tagebuch und neugierig beugen sie sich über ihr Heft. Hebräische Schrift haben sie wohl noch nicht gesehen und wollen, dass Lia ein paar Wörter für sie in Hebrew schreibt. Anschließend schreibt der Wortführer der Gruppe einige Sätze in Sanskrit und erzählt uns, dass sie Sikhs aus Amritsar sind. Wir haben noch eine Weile eine lustige Konversation, bevor sie gehen und die nächste Gruppe eintrifft, ein Inder mit lauter älteren Frauen, so schätzungsweise um die Sechzig, Siebzig. Nach dem Tempelbesuch sitzen sie auf der Terrasse und beginnen sich zu schminken. Sie winken uns herbei, lachen und bedeuten den beiden Mädels sich zu ihnen zu setzen. Lia und Savan bekommen einen dicken schwarzen Lidstrich sowie ein Tikala auf die Stirn. Alle sind in lustiger, ausgelassener Stimmung und eine der älteren Frauen kommentiert das Bemalen mit einem herzhaften Lachen. Jetzt ist auch der Mann aus der Runde dran, obwohl ein Lidstrich für Männer normalerweise nicht vorgesehen ist. Auf jeden Fall nicht so dick und fett, wie es diese Frauen machen, aber er lässt es geduldig über sich ergehen, was bei uns allen Lachsalven auslöst. Die schwarze Farbe bringt die Augen von Savan und Lia ordentlich zum Tränen, weshalb ich eine Bemalung ablehne, lediglich das Tikala lasse ich zu. Bevor die Gruppe dann den Tempel verlässt, müssen natürlich Fotos geschossen werden, die Frauen können gar nicht genug bekommen. Beim anschließenden Betrachten der Bilder kichern sie am meisten als sie sehen wie „ihr Mann“ beim Schminken Grimassen zieht. Schon lange nicht mehr habe ich so fröhliche und ausgelassene „alte“ Menschen erlebt!
Wir winken der Gruppe eine Weile hinterher, während sie den Abstieg beginnen. Wir sind jetzt selbstverständlich in einer sehr guten Stimmung und würden am liebsten länger bleiben, aber unsere Mägen sind völlig anderer Meinung. Unser Abstieg dauert sehr lange, unzählige Affen kreuzen unseren Weg und wollen fotografiert werden. Wieder in Pushkar suchen wir ein israelisches Restaurant auf und geben dem Körper, was er verdient.

Abends treffen wir uns wieder am See, auch Domino ist dabei. Diesmal sitzt jemand anderes im Zentrum, Nathulal Solanki. Am Abend vorher habe ich einem sehr sehr guten Freund erzählt, wo ich gerade bin und was ich so mache. Sein Tip: den Tempel auf dem Hügel und Trommeln am See mit Nathulal, falls er in Pushkar weilt! Das kuriose daran: Günter, der schon seit ewigen Zeiten trommelt und Tabla spielt, hat vor ewigen Zeiten mit Solanki  zusammen auf einer Hochzeit in Pushkar performt. Natürlich soll ich Grüße ausrichten, was ich dann auch tue.

Nathulal winkt uns zu sich und ich bekomme den Platz zwischen ihm und Dominique, der seit einigen Tagen Unterricht im Trommeln nimmt. Händeschütteln mit Nathulal, Namaste, Namen, Heimatland usw. ‚Namaste, I’m Willy from Germany! And I have greetings for you from my friend Günter, you know him!‘
‚What? From whom?‘
‚Günter, he played with you at a wedding‘
‚Oh Günter! How that? Tell me after drumming!‘

Heute klappt es mit der linken Hand etwas besser und ich schiele ab und zu wie Domino das macht. Auf jeden Fall habe ich wieder Spaß an der Sache!
Anschließend gibt es natürlich eine Menge zu erzählen, außerdem beschließe ich, ab morgen früh Unterricht zu nehmen, gemeinsam mit Lia und Domino.

Nagara, Nagari und Lakshmi

Die große Trommel aus Holz, die rechts steht, ist die männliche, Nagara genannt, die kleine aus Metall auf der linken Seite heißt Nagari und ist die weibliche. Das ist eine der ersten Lektionen am Vormittag, daraufhin zeigt Nathulal die Haltung der Stöcke sowie die korrekte Sitzposition und die Ausrichtung der Trommeln.
Bevor wir unseren ersten Rhythmus spielen, müssen wir die Töne, die gespielt werden sollen, singen können – was man nicht singen kann (bezieht sich auch auf das Tempo), kann noch auch nicht korrekt spielen. Die Lektionen machen Spaß und Nathulal würzt das ganze mit kleinen Anekdoten oder erklärt uns die Herkunft der Rhythmen, die oft mit der Art zu tun haben, wie sich Tiere (Kamel, Elefant, Pfau, Pferd, Kuh usw.) bewegen. Am Ende des Unterrichts spendet man einen kleinen Betrag an den „Master“. Der Unterricht beginnt immer morgens um zehn und wir starten erst nach dem obligatorischen Tee! Nathulal besitzt an den Treppen zum Ghat einen kleinen Raum, aus dessen vergitterten Türen man hinaus, aber nicht hineinschauen kann. Das ist dann witzig, wenn die Leute draußen stehen bleiben, um uns zuzuhören, uns jedoch nicht sehen können. Anfangs schlafen mir die Beine während des Unterrichtes immer wieder ein, aber nach drei Tagen habe ich mich an das Spielen im Schneidersitz gewöhnt. Mir bereitet der Unterricht einen wahnsinnigen Spaß, ich mache schnell Fortschritte und stelle fest, dass ich mich nach dem Trommeln geerdet und beschwingt zugleich fühle. Ich habe mich verliebt und kann gar nicht anders, als bei Nathu einen Satz Trommeln zu bestellen!!

Jeden Abend trifft man sich dann am Holy Lake zum Trommeln und übt was man morgens gelernt hat. Es macht voll Laune, vor Zuschauern zu spielen, mit Blick auf den See und die „Titty Hills“!
Am dritten Unterrichtstag habe ich eine Überraschung für Nathual. Günter hat 20 Jahre alte Bilder mit den Solankis eingescannt und mir zugeschickt. Als ich sie ihn zeige, ist es so ergriffen, dass dies Tränen in den Augen hat.

Diwali steht an und das bedeutet für viele Inder Geld ausgeben und Geschenke kaufen. Je mehr Geld fließt, desto besser. Schließlich bringt das auch Glück. Auf der einen Seite geht Geld hinaus und auf der anderen kommt um so mehr herein, so hofft man hier. Es ist die Zeit der Göttin Lakshmi, Göttin des Wohlstandes und Glücks, die nun verehrt wird. Die Feierlichkeiten ziehen sich über Tage hin und werden von Tag zu Tag mehr von abendlichem Feuerwerk begleitet. Ich lasse mich von dem ganzen Rummel anstecken und gehe auf Shopping-Tour. Schmuck, Bettdecken, Wandbehänge, Kissenbezüge, Schmuck, CD’s (ne Menge), Räucherwerk, Decken, Schmuck, Lederwaren UND meine Nagara und meine Nagari! Nach ein paar Tagen bin ich um 25 kg reicher und um xxxxx, xx Rs ärmer! Herrlich! Auf der Post bin ich dabei, wenn alles verpackt, eingenäht und beschriftet wird. Versand door to door mit DHL, in drei Wochen sollen die Sachen zu Hause sein! Die Tage in Pushkar plätschern so dahin, ich verbringe viel Zeit mit Domino, Shenai, Savan und Lia.

An einem Abend sind wir zusammen im Hotel Koala, wo Lia und ihre Freunde wohnen. Ein bunter Abend mit Tanz und Musik ist angekündigt, außerdem ein Buffet für alle Hotelgäste und angemeldetet Besucher. Domino kommt auch mit mir mit und wir verbringen gemeinsam mit Lia einen sehr schönen Abend. Später kommt auch noch Shenai an unseren Platz (Tische gibt es keine, wir liegen wie die Römer mit weichen Kissen am Boden und schlemmen ebenso….). Die Tanzdarbietungen sind mitunter sehr spektakulär, die Tänzerinnen verbiegen sich und bewegen sich zu den Rhythmen der Trommeln als wären sie ein zusätzliches Instrument. Einer der Trommler spielt eine Nagara, es ist Nehendra Solanki. Kurz vor Mitternacht rückt Lia damit heraus, dass morgen ihr Geburtstag laut jüdischem Kalender ist. Domino schnappt sich eine Gitarre und gemeinsam mit Shenai bringen sie Lia ein Ständchen. Domino gibt auf der Gitarre sein Bestes und Shenai beglückt uns mit ihrer wunderschönen Stimme (Shennai & Domino at Koala Hotel, Pushkar). Neben dem Talent für Gesang ist sie begeisterte Ballettänzerin – gut zu wissen….

Einer der Höhepunkte ist die Einladung zu Diwali in Nathulas Haus, um mit ihm und seiner Familie das Diwali-Fest am Sonntag zu feiern, außerdem gibt es am gleichen Tag zwei Geburtstage zu feiern: Nathulas Neffe wird vier und Lia feiert ihren jüdischen Geburtstag!

Domino, Lia, Shenai und ich treffen uns am Sonntag Abend um sieben, um gemeinsam Nathulals Familie zu besuchen, die etwas außerhalb von Pushkar in Richtung Savitri-Tempel wohnt. Der Hauseingang, der Hof, Türen und Fenster sind alle bunt geschmückt, auf dem Boden im Innenhof sind mit Kreide gemalte Ornamente und überall sind Lichter. Wir werden in ein Zimmer geführt, in dem ein kleiner Schrein steht und viele Götterbilder an den Wänden hängen. In einer Ecke steht eine Nagara mit einer gelben Tikala am oberen Rand. Die Frauen bereiten in der Küche das Essen zu, Nathu erzählt uns Geschichten, spielt einige seiner Konzerte vor und posiert mit seinem Turban für Fotos (er liebt es, fotografiert zu werden!). Kurz vor dem Essen holen die Frauen Lia und verschwinden mit ihr. Als sie zurückkommt trägt sie einen Sari, ein Geburtstagsgeschenk der Familie. Von mir bekommt sie einen orangefarbenen Little-Flower-Schal und auch für Nathulal habe ich etwas dabei. Aus zuverlässigen Quellen weiß ich, dass er sehr gerne Whiskey trinkt, was aber niemand wissen darf oder sollte. Alkohol ist in Pushkar absolut verboten und ein Tabu-Thema. Trotzdem konnte ich eine Flasche besorgen (lassen). Die Jungs von meinem Lieblings-Internetcafé kenne ich inzwischen gut genug, um sie hier um Hilfe zu fragen. Vor kurzem haben sie mir meine neue erstandenen CD’s auf mein Smartphone übertragen und weil dies etwas Zeit in Anspruch nahm, schaute ich mit ihnen zusammen am Computer DAS legendäre Cricket Match zwischen Indien und Pakistan! Da ich null Ahnung habe, lasse ich mir die Regeln erklären. So ein Spiel läuft über Tage und ich schaute dann jeden Tag vorbei, um mich nach dem Stand zu erkundigen. Das hat ihnen wohl gefallen. Ich nehme also Sandeep (Name geändert…) beiseite und flüstere mein Anliegen in sein Ohr, worauf er erst leicht grinst, dann alle Minderjährigen aus seinem Shop schickt und mich genauer ausfragt – für wen, welche Menge, welche Qualität… Zwei Stunden später habe ich meine Flasche Whiskey, doppelt und dreifach verpackt. Sandeep hat sich sogar bei seinem Onkel erkundigt, welche Marke Solanki am liebsten trinkt. Er erzählt  mir das alles ganz verschwörerisch, während ein Bildnis Ganeshas an der Wand einfach dazu lächelt, holy sh..!

Puja und Shabat

Nathu fragt uns nach dem Trommeln, warum wir noch keine Puja-Zeremonie am See hatten und empfiehlt einen Priester, den er kennt und nicht auf Geld aus ist. Am Lake hat er viele „religiöse Männer“, die einen hinterher laufen und keine Ruhe geben, bis man Geld gibt. Daraufhin bekannt man dann den sogenannten „Pushkar-Passport“, ein farbiges Stoffbändchen am Arm, das weithin allen zeigt: „I had my Puja – no more money! „
Domino hat schon seinen Pass und so beschließen Lia und ich am Abend eine Zeremonie mitzumachen, eine kurze, kleine Einweisung in die Hintergründe ist inclusive.

Zu Beginn sagt man seinen vollen Namen und gibt Blumen ins Wasser. Der Priester spricht ein Mantra, das man wiederholt. Dann fragte er nach Eltern, Kindern, Geschwistern, Freunden und Verstorbenen. Jede Gruppe bekommt ihren Platz in der Puja mit immer den gleichen Ablauf. Namen laut aussprechen, Blumen in den heiligen See, Wasser mit der Hand schöpfen und wieder in den See laufen lassen, Mantra nachsprechen. Die einzelnen Schritte variieren etwas und der Priester erklärt zwischendurch geduldig. Ich bin sehr ergriffen von der Zeremonie und habe das Gefühl mit all den Leuten, für die ich diese Puja gemacht habe, verbunden zu sein. Nach einer halben Stunde ist die Puja zu Ende, wir geben dem Priester (freiwillig) etwas Geld und bekommen unseren Pushkar-Passport.

In Pushkar gibt es, wie so an vielen Orten in Indien, eine jüdische Gemeinde. Lia schlägt mir vor mit ihr gemeinsam zur Sabbat-Feier zu gehen, ein paar ihrer Freunde wollen auch hinzu kommen. Gut, warum nicht. Ich ziehe also mein einziges sauberes weißes Hemd an, packe meine Jeans aus, lege den blauen Little-Flower-Schal um, schlüpfe in meine neuen Sandalen und fertig bin ich für die Sabbath-Feier.
Die Feier beginnt damit, dass die Frauen an Leuchter für sich eine Kerze entzünden und damit ein Gebet verbinden, die Männer sind auf der anderen Seite und rezitieren laut oder leise, oft singend Verse aus der Thora oder Gebetsbüchern. Ich werde sehr freundlich empfangen, setze mir nach einer Weile eine Kopfbedeckung auf, bevor ich mich traue zu den Männern an den Tisch zu sitzen, die alle ernsthaft und inbrünstig beten, manche schaukelnderweise (Oneg Shabbat, Pushkar). Der ganze Ablauf wirkt auf mich befremdlich, da ich überhaupt nicht weiß, nach welchen Regeln man aufsteht, sich wieder setzt oder im Kreis läuft bzw. rhythmisch in die Hände klatscht. Immerhin verstehe ich ein paar Brocken. Shalom, Shabbat, Adonai und Amen!
Nach der Zeremonie wird man in den Garten geladen, wo für alle eine große Tafel gedeckt ist. Man beginnt mit einem Bissen ungesäuerten Brot und einen kleinen Schluck Rotwein. Anschließend genießen wir mehrere Gänge feinsten Essens! All free!

Abschied

Mich zieht es weiter, obwohl ich gerne bleiben würde. Ryan hat sich gemeldet, er und Sidd erwarten mich ungeduldig in Kolkata, von wo aus wir ins legendäre Puri wollen. Auch Shenai und Lia verlassen Pushkar, für sie geht es zurück nach Israel. Domino bleibt noch bis zum anstehenden weltgrößten Kamelmarkt, der Pushkar Mela, über 200 000 Kamele werden dann die Ebene um Pushkar füllen. Wir tauschen unsere E-Mail Adressen aus, goodbye und Namaste!

Jaisalmer 23.10.2013 – 27.10.2013

Golden City

Jaisalmer, die goldene Stadt in der Wüste Thar im Osten Rajasthans, liegt rund 100 Kilometer von der pakistanische Grenze entfernt. Das Stadtzentrum ist eine mittelalterliche Festung, die auf dem 500 Meter langen und 120 Meter breiten Trikuta-Felsen liegt.
Meine erste Unterkunft ist das weit außerhalb des Zentrums gelegenen Artist-Hotel, dessen einziger Vorteil der kostenlose Abholservice ist. Im Artist finde ich keinen anderen Gast und die angekündigten abendlichen Musikkonzerten fallen wohl auch ins Wasser. Das wäre alles nicht so schlimm, aber das Zimmer ist ein kleines dunkles Loch – okay, hart an der Grenze, geht gerade noch – aber das Bad ist unter aller Kanone. Aber ich mache mich erst einmal ortskundig und laufe zur Festung rüber.
Die Burg ist wunderschön angelegt, Kopfsteinpflaster, schmale Gassen, Fledermäuse, verwinkelte Ecken, kleine Aussichtstürme und jede Menge Restaurants, die alle mit dem gleichen Attribut werben: Best Sunset View Point of Town! Leider geht es in der Festung sehr touristisch zu, ein Shop nach dem anderen und ständig hört man
‚Come in my shop. Only look, not buy!‘
wobei eigentlich gemeint ist
‚Come in my shop. First look, then buy!‘ Ab und an schaue ich in einen rein und trinke einen Tee, gekauft wird jedoch nichts.
Von einem Aussichtspunkt aus blicke ich auf die Landschaft und genieße die frische Brise hier oben. Der Nachmittag neigt sich dem Ende zu und ich suche mir ein Restaurant, ja genau, das mit dem besten Sunset View! Der Sonnenuntergang ist dann wirklich atemberaubend schön, das Essen ist vorzüglich und das Kingfisher muss heute einfach mal sein!
Auf dem Rückweg überkommt mich die Lust auf einen richtig guten Kaffee und ich nehme kurz nach dem Stadttor eine kleine Seitengasse, in der einige Guesthouses mit ‚Restaurant Bar Coffee‘ werben. Das Jeet Mahal sieht ganz ansprechend aus und auf der Dachterrasse treffe ich ein junges, nettes Paar sowie den lustigen Angestellten Ali. Es gibt viel zu lachen und nebenbei bekomme ich gute Tips für meine geplante Wüstentour. Bevor ich gehe schaue ich mir noch die Zimmer an. Whow, viel Platz, sehr nett eingerichtet, großes sauberes Bad, gleicher Preis wie im Artist – morgen ziehe ich um!

Art

Bei meinem zweiten Gang durch die Festung lerne ich Kamal Swami kennen, einen feinen Künstler, der sich auf Miniaturmalerei spezialisiert hat. Diese Kunst hat eine lange Tradition, die Kamal versucht zu erhalten und wiederzubeleben. Mehrmals gehe ich in seinen Shop, in dem er seine Schätze hütet, draußen hängen nur wenige und einfachere Zeichnungen. Kamal ist nicht auf schnelle Kundschaft aus und es ist kaum jemand im Laden, weshalb er sich die Zeit nehmen kann, mir einiges zu zeigen und zu erklären. Während mehrerer Tees unterhalten wir uns sehr viel über Kunst und Tradition. Bei meinem letzten Besuch kaufe ich ein paar kleinere Bilder, für größere Sachen ist in meiner Wohnung eh kein Platz mehr, obwohl es mich reizt ein paar große Arbeiten von Kamal mitzunehmen.

Die Wüstentour

Ali vom Jeet Mahal organisiert für mich einen Platz in einer kleinen Kameltour für eine Nacht 60 km südlich von Jaisalmer. Nur drei andere Personen werden mitkommen und niemand wird in unserer Nähe sein, also keine Lichter, laute Musik oder Partygeschrei.

Um 7.00 Uhr morgens gehen wir zum Treffpunkt und warten auf die anderen Teilnehmer. Statt des Ehepaars und der dritten Person tauchen zwei Jungs auf, einer aus Malaysia der unverständliches und ein Ukrainer der gar kein Englisch spricht. Na prima, das wird ja spannend! Während der Fahrt steigt in mir langsam Ärger auf, wir fahren nämlich nicht nach Süden, sondern nach Westen. Wir halten nach ungefähr einer halben Stunde an und auf dem Tachometer sehe ich, dass wir nur 40 km weit gefahren sind. Ich steige zunächst nicht aus ‚This was not the deal! Before I go out, I want to speak with Ali!‘
Es stellt sich heraus, dass die ursprüngliche Tour nicht zustande kam, weil das Ehepaar abgesagt hat. Er verspricht mir aber, dass diese Tour ebenso in die richtige Wüste geht und niemand in unserer Nähe sein wird.
Also gut, wir laufen einige Meter abseits der Straße, wo unsere Kamele warten. Zwei Guides erwarten uns mit dem voll gepackten Wüstenschiffen. Zunächst ist es sterbenslangweilig, wir sind auf einem steigen Weg neben der Straße und die Guides laufen mit dem Zügeln in der Hand voraus. Wenn das so weitergeht, wird wohl es ein teures Ponyreiten! Eine halbe Stunde später erreichen wir eine Wasserstelle, an der Bauern ihre Kühe und Ziegen mit Wasser versorgen. Nachdem unsere Kamele ihren Tank aufgefüllt haben, satteln auch unsere beiden Guides auf. Gemütlich schaukeln wir durch eine steppenartige Gegend, die Kamele sind miteinander verbunden und eines trottet den anderen hinterher. Die Kamelführer sitzen gemeinsam auf einem jüngeren Kamel, das wohl gerade erst zum Reittier ausgebildet wird, immer wieder schert es aus oder versucht seine Reiter zu beißen. Na das kann ja heiter werden und meine Stimmung bleibt weiterhin auf einen unteren Level. Gegen Mittag wechselt die Szenerie etwas, weniger Büsche und Kakteen, Bäume nur noch vereinzelt. unter einem schönen Exemplar von Baum mit weit ausladenden Ästen machen wir Rast. Die Kamele bekommen ein Seil so zwischen Vorder- und Hinterbeine gebunden, dass sie sich zur Nahrungssuche frei bewegen, jedoch nicht im Trab oder Galopp davon laufen können. Einer der Führer kocht unter dem Baum erst einmal einen Chai und beginnt dann das Gemüse für das Mittagessen zu schnippeln. Für den kleinen Hunger gibt es erst einmal Orangen und kleine Bananen, die ich heute zum erstenmal probiere. Zu Hause esse ich eigentlich keine, lediglich klein geschnippelt in meinem morgendlichen Müsli. Aber hier schmecken die Dinger und ich schnappe mir gleich eine zweite. Nach dem köstlichen Mittagessen, während dessen meine Laune immer besser wird, satteln wir wieder auf und reiten immer tiefer in die Wüste hinein. Die Kamele fallen ab und zu in einen leichten Trab, man fühlt sich sofort ein bisschen cooler. Eine Stunde vor Sonnenuntergang erreichen wir die ersten kleinen Sanddünen und so langsam kommt bei mir der Eindruck auf, wirklich in der Wüste zu sein. Wir reiten ungefähr eine halbe Stunde weiter, als wir hinter einer hohen Düne eine schöne kleine Mulde erreichen, die wie geschaffen für unser Nachtlager ist. Absatteln, Kamele füttern, Tee kochen und Abendessen vorbereiten – Job für die Guides. während wir Ort unseren Kameras bewaffnet die beste Stelle für Sonnenuntergangsfotos suchen. Ich bin inzwischen total happy, auch das Reiten ist okay. Meine beiden Mitreiter jammern ein bisschen und stacksen etwas breitbeinig durch den Sand, anscheinend habe ich einen besseren Sattel oder ich schaukle unbewusst richtig mit, auf jeden Fall habe ich keinen Muskelkater und kann normal gehen. Jeder geht seiner Wege und wir treffen uns erst beim Abendessen wieder. Ich entferne mich soweit vom Lager, dass ich noch gut zurückfinde. Nach einigen Minuten höre und sehe ich nichts mehr von unserem Lagerplatz, nicht einmal den Schein des Kochfeuers. Ich genieße die Ruhe, fühle mich total lebendig und bemerke, dass ich ein Grinsen im Gesicht habe. Langsam gehe ich zum Lager zurück, das Abendessen ist gerade fertig, lecker lecker!
Zum Nachtisch gibt es Bananen (yam yam yam), Mandarinen und Kekse.
Stumm sitzen wir um das Feuer und lauschen den Geräuschen der Nacht zu. Irgendwann bereiten ich mein Nachtlager vor, eine dicke Decke auf den noch warmen Sand, meinen dünnen Schlafsack drüber, für den Kopf ein Piratentuch. einen dünnen Schal um die Ohren wegen den Käfern, meine Tasche als Kopfkissen und das Betrachten des Sternenhimmels kann los gehen. Ich lege mich am weitesten weg vom Feuer, niemand spricht etwas und nach einigen Minuten habe ich den Eindruck völlig alleine zu sein – ein sehr gutes Gefühl!
Eigentlich möchte ich überhaupt nicht schlafen, aber irgendwann dämmere ich doch ein. Gegen zwei Uhr morgens wache ich auf, der Vollmond steigt gerade am Horizont empor und ich stehe auf, um ein paar Bilder zu schießen. Um vier Uhr wache ich ein zweites Mal auf, dieses Mal überrascht mich, der strahlend helle Orion, der direkt über mir steht! Ich liege auf dem Rücken und versuche so lange drauf geht wach zu bleiben, der Orion ist schließlich mein Lieblingssternbild! Bei Sonnenaufgang kurz nach halb sechs wache ich ein drittes Mal auf und unternehme einen langen Spaziergang. Als ich zum Lager zurückkehre, krabbeln die anderen gerade au ihrem Schlafsack, einer der Kamelwalas schläft noch, während der andere für uns Porridge zubereitet – ich habe weder vorher noch später in Indien ein besseres gegessen. Es dauert noch etwas, bevor wir frühstücken können, also spaziere ich noch etwas durch die Dünen und entdecken einen großen Käfer, der gerade sehr emsig und geschickt ein Loch in den Sand buddelt. Ich winke die beiden anderen herbei und gemeinsam sitzen wir dicht über den Sand gebeugt und beobachten das geschäftige Treiben des Käfers. Nachdem das Loch fertig ist, geht er dahin zurück, wo er sich eine Kameldungkugel bereit gelegt hat. Der fleißige Kerl kommt nicht weit, ein Rivale macht ihm die Kugel streitig und gewinnt den kurzen Kampf. Der neue Besitzer der Dungkugel rollt diese mit dem Hinterleib voran zu einer Düne und wir krabbeln wie kleine Kinder auf allen Vieren hinterher. Der Käfer erreicht den höchsten Punkt der Düne und rollt dann an die Kugel geklammert auf der anderen Seite den Abhang hinab. Das sieht so witzig aus, dass ich vor lauter Lachen Bauchweh bekomme. Am Fuß der Düne hat der Krabbler bereits ein Loch vorbereitet, in das er nun mit einer unermüdlichen Geduld die Kugel bringt. Schließlich müssen wir unsere Tierbeobachtung abbrechen, die Kamelführer rufen zum Frühstück. Es gibt Chai, Chapati, ein paar Kartoffeln und Obst darf auch nicht fehlen. Derart gut gestärkt brechen wir auf und nun kommt die Überraschung: als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, lassen uns die Guides aufsitzen und geben uns die Zügel in die Hand
‚Now you ride your camel on your own!‘
‚Aha, okay, gut. Ähm, wie?!‘
In meiner ersten Verwirrung spreche ich den Kamelführer auf deutsch an, aber es versteht mich trotzdem
‚Just do it! Easy easy!‘
Die Guides steigen gemeinsam auf das „Trainingskamel“ und unsere trotten gemütlich hinterher. Etwas später halten die Guides neben mir an
‚You go first now!‘
‚Why‘
‚Because you’re riding the leading camel, Sir!‘
‚Mine is the leading camel??‘
‚Yes, go ahead, otherwise we all ride to slow!‘
Etwas unsicher, aber freudig erregt nehme ich die Zügel so wie ich es bei den beiden bisher beobachtet habe. Mit einem Kick in die Rippen und einem lauten „Haa!“ geht es los und mein Kamel bewegt sich sicher und gewandt durch die Dünenlandschaft. Ab und zu bekomme ich von hinten Anweisung ‚Left, more right, straight, towards the hills …‘ und nach so einer halben Stunde fühle ich mich sicher und wohl, mein Kamel gehorcht auf die Richtungswechsel und da ich niemanden vor mir habe, kommt wieder das Gefühl auf, alleine zu sein. Irgendwann höre ich hinter mir ‚Faster, faster!‘, womit wohl ich gemeint bin ‚How?‘ ‚Kick him hart!‘
Okay, ich kicke und rufe, aber das Kamel scheint meine „Sprache“ nicht zu verstehen. ‚Harder, harder‘ werde ich angefeuert. Ich kicke was das Zeug hält 0of gebe schon fast auf, als mein Kamel ein Nachsehen hat und lostrabt! Da ich erst ein paar Mal auf einem Pferd gesessen bin (Ponyreiten, ohne Trab), fühle ich mich jetzt natürlich großartig, als es dann richtig abgeht und ich keine Mühe habe im Sattel den Rhythmus aufzunehmen. Die Zügel in der einen, die Kamera in der anderen Hand lasse ich mein Kamel kaufen, während sich auf meinem Gesicht wieder einmal ein Grinsen breit macht! Ungefähr zwei Stunden lang reiten wir, mal gemütlich, mal im Trab, in Richtung Jaisalmer. Die beiden Führer sind mir ihrem Kamel beschäftigt, das sich teilweise wild gebärdet und einmal vor lauter Toben stürzt, weshalb einer der beiden absteigt und das Tier zusätzlich an den Zügeln führt. Der Malaye und der Ukrainer sind weit hinter uns, aber noch sichtbar und die Guides bedeuten mir, ruhig weiter zu traben bis wir zur Wasserstelle kommen, die ich schon am Horizont ausmachen kann.
Eine halbe Stunde Rast zum Wasser auftanken, danach suchen wir uns einen ruhigen Platz um das Abschlussessen zu kochen! Wieder lecker Chapati, Gemüse und natürlich Chai. Anschließend ein kleines Nickerchen, bevor es zum Treffpunkt zurück geht, den wir nach einer knappen Stunde erreichen. Alles in allem gehen zwei wundervolle, mit Überraschungen versehene Tage, zu Ende.

Scarfs

Es gibt ein paar Gassen, die ich jedesmal besuche, wenn ich in der Festung bin. An zwei Shops mit Stoffen, Tüchern und Kleidern komme ich immer wieder vorbei, bis einer der Besitzer mir hinterher ruft ‚Sir, why you don’t let a little bit money in my shop?‘ Das ist mal etwas anderes, denke ich mir und gehe die Gasse zurück.
‚Sir, come in and buy some nice silk stuff‘
‚Oh, I can’t, sorry. My rucksack is full with scarfs. But I can sell you some if you like!‘
‚Häh?‘
‚Yes, I don’t buy, I sell!‘
‚He man, why you are joking with us, we try to make business. Bad business this time, not many tourists coming‘
‚I’m sorry, but I’m not joking! You want to see my scarfs?‘
‚You’re really selling them? Okay, show us! ‚
Wir setzen tot auf die Steinbank vor den Shops und trinken erst einmal …
Am Ende werden Adressen ausgetauscht, ich lasse Flyer da und hoffe wieder minimal einen Kontakt für Little Flower hergestellt zu haben. Übrigens wird diese Steinbank ab jetzt mein Lieblingsplatz zum Chai trinken und am letzten Tag bittet mich der Shopbesitzer doch noch einmal zu in den Laden zu kommen. Ich vermute, dass er mir zum Schluss etwas aufschwatzen will, dann greift er in ein Regal, zieht er einen Schal heraus und nimmt mich am Arm ‚This is for you man, I like you and your way. Please take it as a memory to us in Jaisalmer!‘

Jaipur 16.10.2013 – 22.10.2013

Wieder bin ich sehr früh morgens am Bahnhof New Delhi, diesmal sehr wachsam. Erneut steht mein Zug nicht auf der Leuchtanzeige, aber diesmal bin ich früher vom Hotel los, um Zeit zum Nachfragen zu haben – mit nem großen Rucksack einem Zug hinterher rennen stelle ich mir nämlich nicht sehr lustig vor.
Bis Jaipur sind es ungefähr viereinhalb Stunden und ich sitze zum ersten Mal in der Chair Class. Im Ajmer Shatabdi Express genieße ich den Luxus der weichen und verstellbaren Sitze, der sauberen Toiletten einschließich Klopapier (!) und heißem Wasser, außerdem gibt es Frühstück und Lunch!

Nach den vielen zwar sauberen, aber sehr einfachen Unterküften gönne ich mir für meine Zeit in Jaipur etwas besseres. Das Pearl Palace mit dem Peacock Rooftop Restaurant ist eines der besten Mitteklasse-Hotels in der Stadt. Der Pick-up-Service ist pünktlich am Bahnhof mit meinem Namensschild in der Hand. Für die erste Nacht gibt es leider nur noch große Dopppelzimmer mit Klimaanlage und ich zahle zum ersten Mal 15 € für eine Nacht. Jedoch, das Zimmer ist umwerfend und ich fühle mich sofort wohl. Auf dem Bett liegt kunstvoll aus zwei weißen Handtüchern geformt ein Herz in einer Lotusblüte. Morgen bekomme ich ein kleineres, güstigeres Zimmer, die Ausstattung ist jedoch ähnlich. Zuert einmal stelle ich mich unter die heiße Dusche mit Regenduschkopf, danach das übliche Ritual.
Am Nachmittag genehmige ich mir dann einen Mittagsschlaf und gehe danach auf eine kleine Erkundungstour. Zur Zeit ist es sehr heiß und das Wetter schafft mich heute irgendwie. Zurück im Hotel buche ich bei den netten Managern, die immer für einen kleine Schwatz Zeit haben ein, für morgen ein Taxi, um eine lange Tagestour zu machen.

Amber Fort, Jaigarh Fort und Nahargarh Fort

Wieder in einem schönen weißen Taxi, fahren wir zuerst zum Amber Fort, das auf einem kleinen Hügel nordöstlich von Jaipur liegt.
Am Fuße des Forts liegt der malerische Maota-See. Ein gewundener, steiniger Pfad führt zum Fort hinauf, bemalte und geschmückte Elefanten bringen auf ihm überwiegend rotgesichtige und blasshäutige Touristen schaukelnderweise nach oben, auch Japaner und Chinesen bevorzugen diese Art der Aufstiegs. Für die Fußgänger, in der Hauptsache Inder, gibt es eine Abkürzung, die den Elefantenpfad immer wieder schneidet, weshalb Vorsicht geboten ist. Ich reite gerne auf Elefanten, aber nicht hier in der prallen Sonne und schon gar nicht im Stil von geführtem Ponyreiten, Rüssel an Schwanz…
Das Fort selbst kommt einem eher vor wie ein Palast und beherbergt beeindruckende Besonderheiten. Am meisten angetan bin ich von der Siegeshalle mit der Spiegeldecke, den kleinen Spiegelkacheln an den Säulen und Bögen sowie den feinen Marmorreliefs, die Insekten und Blumen zeigen. Neben der Siegeshalle gibt es noch weitere Hauptbereiche: den Saal für öffentliche Audienzen, die Vergnügungshalle und die Frauengemächer. Lange Beschreibungen können ganz schön langweilen, wenn man nicht dabei war, weshalb ich einfach die Bilder sprechen lasse.

Ein weiterer Steinpfad führt etwas drei Kilometer zum Jaigahr Fort hoch. Die Hitze ist auf dem Höhepunkt und nach einem Kilometer komme ich zu einer Stelle, an der zum Glück Elektrokarren warten und mich für 70 Rupien nach oben bringen. Oben bekomme ich eine Führung durch das Fort, in dem eine der größten Kanonen Indiens steht. Für mich weniger interessant, weshalb ich mir die Gebühr von 100 Rupien nur fürs Fotografieren spare. Man hat einen wunderbaren Blick auf die umliegende Landschaft, Hügel umgeben Jaipur und unterhalb der Forts sieht man immer wieder kleine, privat angelegte Pools, in dem sich Menschen abkühlen.
Nach einem kurzen, nicht besonders leckerem Imbiss, treffe ich meinen Fahrer wieder, der den Weg über die Verkehrsstraße nehmen musste und auf einem Parkplatz auf mich wartet.

Der nächste und letzte Halt ist das Nahargarh Fort, auch „Abode of the Tigers“ genannt. Es handelt sich um ein rechteckiges Gebäude mit Innenhof. Zum Hof hin sieht man viele kleine Fenster im ersten Stock, teilweise mit Klappläden. Schmale Treppen führen zum Obergeschoss, das viele kleine Räume beherbergt.Entlang der Längsseite des Gebäudes ist ein umlaufender schmaler Gang, der von ein paar Türen unterbrochen ist. Die Fenster, die man von unten sieht, befinden sich hier auf Kniehöhe und sind oft winzig, so dass gerade mal ein Kopf hindurchpassen würde. An mehreren Stellen kommt man in einen Raum, an dessen Rückseite Fenster mit Klappläden sind. Zu beiden Seiten ist jeweils ein kleineres Zimmer; die Decken sind kuppelförmig. Weiter geht es auf das Dach, wo man ringsum Gruppen von Kuppeln sieht, eine größere in der Mitte und zwei kleinere links und rechts. Von hier oben hat man einen wunderbaren Blick über die Stadt, von Norden her kommt eine mächtige dunkle Wolke und zieht in die Richtung der jetzt tief stehenden Sonne. Kurz bevor die Sonne untergeht laufe ich zu einem Aussichtspunkt, wo ich ein kleines Schmuckstück finde: einen wunderschönen runden Steinpavillion, wunderbar  geeignet um den Sonnenuntergang zu genießen. Ein dazugehöriges Restaurant bietet Tee, Kaffee oder ein kaltes Getränk für 50 Rupien an, der Mindestverzehr, um dort sitzen zu dürfen. Ich bestelle mir einen heißen Tee und setze mich zu den anderen Sonnenanbetern. Während die Sonne sich in prächtigen Farben verabschiedet und das Panorama vor uns in ein wundervolles Licht taucht, lassen Kinder unten aus der Stadt ihre Drachen weit über unsere Köpfe steigen. Den Soundtrack dazu liefert der immerfort hupende Verkehr, bassverstärkte Musik sowie der Mix der Gesänge unzähliger zum Gebet rufender Muezzins. Obwohl wir hier fast 150 Meter über der Stadt sind, hört es sich an, als wäre alles gerade um die nächste Ecke. Tiger Palace Sundown Muezzin and City Singing

Doktor Galundia

Am Abend macht sich wieder mein „Delhi Belly“ bemerkbar und am nächsten Morgen ist es nicht viel besser, weshalb ich an der Rezeption nach einem Arzt frage. In der Nähe des Hotels gibt es einen Arzt, der auf Tropenkrankheiten spezialisiert ist. Im Wartebereich treffe ich zwei andere Westler, eine dritte liegt auf einem Bett und genießt gerade intravenöse Nahrung. Alle haben Fieber,sind blass und sehen überhaupt nicht gut aus. Nun bin ich an der Reihe, Puls – okay, Blutdruck – 95/55, Temperatur – zum Glück normal. Der Arzt erklärt mir, dass in der Gegend hier in Moment das Dengue-Fieber zuschlägt. Dass ich kein Fieber häufigsten zunächst mal ein gutes Zeichen, aber erst nach dem Bluttest und der Stuhlprobe wissen wir mehr. Zunächst werden mir ein paar Liter Infusionen einverleibt, anschließend werde ich mit fünf verschiedenen Medikamenten verabschiedet. Restprogramm für heute: schlafen, lesen, Doktors Leckerli futtern.
Das Blutergebnis am nächsten Tag ist nicht so berauschend, Entzündungswerte hoch, Hämoglobin absolut im Keller, auch andere Werte sind nicht oder gerade so im Grenzbereich – gar net schön! Also gibt es noch ein paar bunte Pillen mehr…
Von Tag zu Tag geht er es mir besser, so dass ich schon wieder kleine Touren machen kann. Die Stuhlprobe ist zum Glück negativ, aber ich werde mit Medikamenten für die nächsten vier Wochen versorgt, in der Hauptsache Mineralien und Vitamine, die mir fehlen. Zum Abschluss bekomme ich von ihm ein Bild mit ihm und er von mir 10 000 Rupees!

Der alte Mann und der Rollator
oder
Mixed emotions within meters

Ich fühle mich fit genung für eine kleine Tour in die Stadt. Es ist zwar heiß, aber trotzdem lasse ich die Rickshaws vor dem Hotel stehen und gehe zu Fuß. Der kürzeste Weg führt durch eine schmale Straße, die ich auch für die mehrmaligen Gänge zur Galundula-Kliniker oder für kleine Besorgungen nehmen musste. Fast jeden Tag sitzt hier ein älterer Herr, ich schätze ihn auf über siebzig, allein mit seinem klapprigen Rollator neben sich, auf einem Stuhl und schaut oder schläft.
Als ich das erste Mal vorbei laufe, grüße ich ihn natürlich. Scheinbar registriert er mich nicht. Nach ein paar Tagen des Vorüberlaufens blickt er mit einem kurzen Lächeln zu mir hoch und führt seine Hand Richtung Stirn, was ihn allem Anschein nach viel Kraft kostet. Eines Tages komme ich vorbei und sehe, wie er auf seinen Rollator gestützt, die Straße überquert. Er ist mitten auf der Straße, als von beiden Seiten Fahrzeuge anrauschen und wild hupen. Sie fahren direkt auf ihn zu und versuchen an ihm vorbei zu kommen. Schnell bildet sich ein Schlange hupender Vehikel. Ich eile zu ihm und stoppe die Fahrzeuge, die rücksichtlos versuchen sich vorbei zu quetschen. Eine junge Inderin in ihrem schicken neuen Maruti gestikuliert wild und ich lasse es mir nicht nehmen sie zu fragen, ob sie vielleicht blind ist und nicht sehen kann, dass dieser Mann eben ein paar Minuten braucht, um auf die andere Straßenseite zu kommen. Ein Motorradfahrer mit
Sozius nutzt eine Lücke und zischt hinter mir durch, wobei er mich hart mit seinem Spiegel am Ellbogen trifft. Ich habe eine 2-Liter-Flasche in einer Hand, blitzschnell revanchiere ich mich und treffe ihn im Rücken – ach wäre es doch mein Rattan-Stock gewesen!
Inzwischen ist die Tochter des Mannes aud dem Haus herbeigeilt, bedankt sich und führt ihren Vater heim.

Dies sind dann die Momente, in denen mich dieses Land ankotzt.

In derselben Straße sitzen gegen Abend in der Nähe ein paar Männer und spielen Karten. Sie müssen mich schon ein paar Mal gesehen haben.
‚Hello, Sir! Stop please, sit down, come, come!‘
Ich tue ihm den Gefallen und setze mich zu ihm und seinen drei Freunden. Er nimmt mich am Arm und grinst mich an ‚Now we show you the Indian Poker, look!‘, aus seiner Kehle entschlüpft eine heißeres, trockenes Lachen.
Ich schaue eine Weile zu, kann aber kein System erkennen und die Regeln verstehe ich schon gar nicht ‚Don’t worry! Make pictures, please!‘ Nacheinander muss ich sie fotografieren und sie lassen mich erst wieder gehen, nachdem ich mit ihnen ein paar Nüsse gegessen und einen Chai getrunken habe.

Dies sind dann die Momente, in denen mich dieses Land anrührt.

Jantar Mantar, Maha Hawal und Raj Mandir

Sightseeing ist also auf dem Programm. Zunächst das Observatorium, dessen Sanskritname ¨Magisches Gerät¨ bedeutet. Das Jantar Mantar ist eines von fünf Observatorien, die der Maharaja Jain Singh II zwischen 1724 und 1734 in Indien erbauen lies. Die Besonderheit dieser Observatorien ist, dass man durch Skalenvergößerung eine genauere Ablesbarkeit erreichte, die Europäer nutzen in der gleichen Epoche Feinmechanik bei kleineren Skalteneinteilungen – beides scheint gut funktioniert zu haben. Im Jantar Mantar steht das Samrat Jantar, die weltgröße Sonnenuhr, die 27 Meter aufragt und eine Genauigkeit von zwei Sekunden besitzt, eine der kleineren Sonnenuhren, gerade mal 2,50 m hoch, geht auf 20 Sekunden genau!
Der Rest der kleinen, teilweise skurril wirkenden Bauwerke dient zur Messung, Bestimmung und Vorhersage von Planetenbahnen, Eklipsen, Deklinationen, astropnomischen Höhen. Inzwischen wurde das Indien National Monumet von UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.

Das Maha Hawal inmitten der Stadt wurde 1799 erbaut, um den Haremsdamen zu ermöglichen Festumzüge, Prozessionen oder andere Feierlichkeiten mitzuverfolgen, ohne selbst hinter der 953 kleinen und kleinsten, wunderschön verzierten Gitterfenstern gesehen zu werden. Diese Fenster dienten auch zur ständigen Luftzirkulation, daher der Name ¨Palast der Wnde¨. Das aus rosa und rotem Sandstein erbaute Gebäude hat eine wabenartige Fassade und ist fünf Stockwerke hoch. Überall sieht man liebevolle Verzierungen und Details, meine Kamera wird entsprechend strapaziert. Der Windpalast beeindruckt mich sehr und ich stelle mir vor, wie es wäre hier zu übernachten – natürlich nicht alleine.

Ich habe genug gesehen und streune noch durch die Marktstraßen von Pink City, die leider nicht pinkfarbern ist.. Die Häuser sind vornehmlich in Terracottat gehalten, ab und zu geht es in Richtung Pink. Auf der Straße hält ein älterer Mann mich auf, schaut mich mit fast ungläubigem Blick an und spricht zu mir in einem aufgeregten Tonfall. Natürlich verstehe ich kein Wort und erwidere schlicht ‚Na hi Hinidi‘, worauf er meinen Arm nimmt und laut lachend Richtung Himmel zeigt. Dann nimmt er ganz vorsichtig seine Hand und streicht über meinen Tiger, schließlich nimmt er mich in den Arm und drückt mich!

Den Abend verbringe ich mit einem Neuseeländer und einem Australier in einem der prächtigsten Kinos Indiens, dem Raj Mandir. Wer glitzende Leuchter, verspiegelte Wände, die Farbe Rosa und überhaupt Kitsch liebt ist hier am richtigen Ort. Im Raj Mandir cinema starten die neuesten Film und für heute steht ¨BOSS¨ auf dem Programm. Der Streifen läuft ohne Untertitel, jedoch ist die Story so einfach, dass man die Essenz mitbekommt. Ich liebe die Art, wie die Inder einen Film anschauen. Immer wieder lautes Mitsingen bei den Tanzszenen (die Musik ist meist vor der Premiere auf dem Markt, logo), Gejohle wenn Frauen entsprechend in Szene gesetzt auftauchen und Freudensschreie, wenn der Filmheld eine ganze Horde von Bösewichten mit seiner Kampfkunst abfertigt (der Hauptdarsteller in diesem Movie ist tatsächlich aktiver Kampkünstler mit Schwarzgurt). Das ist so ansteckend, dass wir auch ganz gut abgehen…
Den Abend lassen wir dann mit einem Bierchen im Peacock ausklingen.

Freundschaft, Blockprinting und Schmuck

Mein Plan für heute ist das City Palace und wieder geht es zu Fuß drei Kilometer in die Pink City. Kurz vor meinem Ziel spricht mich ein Inder an und fragt, ob er kurz mit mir reden darf. Er hat mich schon gestern auf der Straße gesehen, aber sich nicht getraut mich anzusprechen, weil er weiß dass viele Touristen das ständige Anquatschen nervt. Als ich nun wieder vor seinen Augen aufgetaucht bin, hat er das als Zeichen genommen, dass es okay ist. Ich mag ihn vom ersten Moment an und lasse mich auf das Gespräch ein. Er interessiert sich dafür wo mein Tattoo gemacht wurde, wie lange es gedauert hat usw.; dann zeigt er mir seines und erklärt mir die Einzelheiten. Soweit ich das einschätzen kann, eine sehr gute Arbeit. Er lädt mich zu einem Tee ein. Wir gehen in einen Schmuckladen, der seinem Freund Sami gehört. Viney selbst ist Schmuckdesigner und arbeitet hier. Während dem Tee unterhalten wir uns über Musik, Movies und Spiritualiät. Mich beeindruckt vor allem Vineys Einstellung zu vielen Dingen. Er gehört zu dem neuen, jungen Indien, das aufgeschlossen, rebellisch und trotzdem die Traditionen repektierend eine Veränderung im System will.
Er fragt mich, was ich alles schon gesehen habe und was ich für heute vorhabe. Das City Palace ist weniger interessant als das was ich schon gesehen habe, nichts Neues. Falls ich mich für Blockprinting interessiere, könnte er mit mir zu einer Werkstatt fahren, wo man sehen kann wie das funktioniert. Ja, natürlich! Das habe ich auf meinem ¨Programm¨. Wir nehmen eine Rickshaw und nun erfahre ich direkt, wie die Ausländer ausgenommen werden. Der Fahrer nennt einen Preis und Viney reagiert ungehalten ‚Come on, what’s that. He is not a Tourist, he’s a friend of mine! Normal price, Baba, please!‘ und dann werden wir für unglaubliche 60 Rupien zur Werksatt gefahren, die außerhalb der Stadt liegt.
Dort angekommen gibt es erst einmal den obligatorischen Tee, danach wird mir an einem Stück Stoff gezeigt, wie Blockprinting funktioniert, worauf man beim Arbeiten achten muss und vor allem an welchen Details man manuellen Blockdruck vom maschinellen untescheiden kann. Im Laden werden mir dann verschiedene Sachen gezeigt und natürlich wird mir versucht etwas zu verkaufen, jedoch habe ich schon genung. Was mich interessiert sind ein paar Hosen, die mir aber nicht gefallen. Von anderen Kunden bekomme ich mit, dass hier maßgeschneiderte Kleidung zu haben ist, woraufhin ich mir ein paar Stoffe zeigen lasse und mir zwei Hosen und zwei langärmlige Hemden machen lasse. Man nimmt hier und da Maß an mir und verspricht mir die Ware bis morgen. Noch einen Tee und Blockprinting für die Kamera. Anschließend unterhalte ich mich mit dem Besitzer über Hilfsprojekte und Gemeinnützigkeit. Da er auch Waren aus Seide verkauft, frage ich ihn, ob er interresiert wäre mit dem verkauf von Seidenschals ein Lepradorf zu unterstützen. Wir verabreden uns für den nächsten Tag, wenn ich meine neuen Kleider abhole.
Mit Viney fahre ich zurück zu Osho’s Gem Shop, so der Name des Ladens, hören noch mit Sami Musik, während wir uns ein Bierchen genehmigen.

Am nächsten Tag bin ich am Nachmittag mit meinen Schals zum Ethnic Textile Shop. Erst einmal natürlich Tee, dann wird die Ware von einem Mitarbeiter untersucht.
‚No silk, cotton‘
‚Yes silk, burn it please‘
Er nimmt einen Minifaden, verbrennt ihn und wieder
‚No silk‘
‚Give me the lighter, please‘
Ich nehme einen längeren Faden, halte das Feuerzeug dran und verreibe zuerst die Asche und dann lasse ich ihn daran riechen
‚Yes, silk‘
Sein Chef sitzt die ganze Zeit neben uns und nun lacht er trocken
‚See, you can’t fool him. He knows about silk!‘
Ich überreiche ihm einen Flyer und lasse mir seine Visitenkarte geben. Leider sind meine Sachen wegen eines Stromausfall noch nicht fertig, man besorgt mir eine Rickshaw und ich fahre zurück in die Stadt und suche Viney auf. Aus einem Impuls heraus frage ich ihn, ob er für mich einen Anhänger entwerfen kann. Er zeigt mir ein paar Sachen und ein kleiner blauer Stein, Lapislazuli, hat es mir angetan. Ganz schlicht soll es werden, kein großer Schnickschnack. Viney stellt mir noch ein paar Fragen, um eine Idee zu bekommen was mir gefallen könnte. Morgen wird der Anhänger fertig sein und ich freue mich schon darauf. Anschließend fährt mich Viney diesmal mit seiner Enfield zum Ethnic Shop, meine Sachen sind fertig. Die Sachen sitzen perfekt, sind total bequem und sehen dabei fein aus. Beim Bezahlen gibt es erst noch Diskussionen wegen der hohen Gebühr für das Bezahlen mit Kreditkarte, bis schließlich der Chef persönlich erscheint
‚We will make profit in the future with those scarfs because of him, so give him the fee as a discount!‘
Anscheinend ist er tatsächlich richtig an einem Geschäft mit Little Flower interessiert!

Am Tag darauf hole ich meinen Anhänger ab und ich bin total überrascht. Viney hat einen größeren Lapislazuli genommen und die Einfassung hat jetzt doch etwas Schnickschnack, aber der Anhänger sieht wunderschön aus. Er hängt ihn mir um, und ich betrachte mich im Spiegel. Whow, perfekt! Gute Arbeit! Wir gehen noch gemeinsam Essen, verabschieden uns dann und tauschen Telefonnummern aus – es ist mein letzter Abend in Jaipur.

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