Virginia

 

1. Juni

Fairfax – Manassas – Harrisonbourg

Am nächsten Morgen erfahre ich beim Auschecken an der Rezeption auch den Grund für den gestrigen Großeinsatz. Ein Flitzer rannte durch die Gänge und hat schließlich dann den Angestellten am Empfang eindeutig belästigt…

Mike hat gerade etwas Zeit und erzählt mir das alles, ein Gast von der Insel gesellt sich zu uns. Eine nette Unterhaltung beginnt, wir sprechen über unsere Reiseziele, über Auszeit, über Europa und Asien sowie über Gott und die Welt, und am Ende lädt mich Tom, der Brite, zum Barbecue ein, was ich ungern und schweren Herzens ablehne. Mich zieht es nämlich weiter zum berühmten Shenandoah National Park, wo ich für heute Abend am westlichen Rand des Parkes in Harrisonburg ein Zimmer gebucht habe. Außerdem liegt der denkwürdige und geschichtsträchtige Ort Manassas auf meiner Route. Falls ich mir das also anschauen möchte, muss ich jetzt los. Tom versteht das, verabschiedet mich mit einem kräftigen Händedruck und Mike erklärt mir noch, wo ich auf dem kürzesten Weg noch einen Einkaufsmarkt finde.

Nach dem erfolgreichen Einkauf bringt mich die Interstate W66 nach einer halben Stunde nach Manassas. Nach einem Picknick schließe ich mich einer Führung über das Gelände an, bei der die historischen Ereignisse von einem hervorragenden und sehr sympathischen Guide lebhaft und eindrücklich geschildert werden.

Hier in Manassas standen sich die Nordstaaten und die Südstaaten am 21. Juli 1861 zum ersten Mal gegenüber. Ungefähr ein Jahr später gab es zwischen dem 28. und 30. August die zweite Schlacht in Manassas. Die (auch moralisch) überlegenen Nordstaaten waren der Meinung, den Sezessionskrieg schnell beenden zu können und unterschätzen die Armeen der Konförderierten völlig. Niemand der Beteiligten konnte vorausahnen, wie verheerend der Konflikt am Ende sein würde. Die beiden Schlachten waren für den Gesamtverlauf nicht besonders entscheidend. Jedoch wurde durch den Sieg der Konförderierten deren Moral höher und das Bewusstsein auf der Unionsseite größer, dass dieser Krieg nicht im Vorübergehen gewonnen werden wird. Beide Schlachten in Manassas sind nach der Namensgebung der Nordstaaten auch unter dem Namen Schlacht am Bull Run bekannt.

Am Ende der Tour war ich total beeindruckt und hatte eine Menge dazu gelernt. Nachlesen kann man die ganze Geschichte beispielsweise auf der Homepage von Manfred Schmetkamp (http://www.wilder-westen-web.de/bk004.htm) oder natürlich auf der allseits bekannten Schlaumeierwikiseite.

Nach einem sehr interessanten Gespräch mit dem Guide, in dem ich noch ein paar klärende Fragen stelle (zwischendurch verließ mich mein Englisch etwas, vor allem als der Guide lebhafter wurde…), fahre ich zurück auf die 66 und nehme Kurs auf Harrisonburg.

Eineinhalb Stunden später habe ich die Nordgrenze der Shenandoah National Parks erreicht. Eine Pause mit Kaffee und Kuchen wäre jetzt ganz nett. Ich verlasse die Autobahn und fahre an der Westseite des Tales entlang, bis ich durch Strasburg (hoppla!) komme, wo ich an einer zu einem Lokal umgebauten Mühle halt mache. Cappuccino und Apfel- Streusel-Kuchen, was auch sonst in einer Mühle in Strasburg! Die Mühle hat eine sehr alte Geschichte und spielte auch im Bürgerkrieg eine wichtige Rolle. Auf Fotos, die an den Wänden hängen, sieht man Szenen aus alten Zeiten und wie die Mühle durch Umbauten im Laufe der Zeit ihr Gesicht verändert hat. Bei der Bedienung erkundige ich mich nach Harrisonford. Nicht mal mehr zwei Stunden von hier, also brauche ich mich nicht beeilen und werde auch noch Zeit haben um einzukaufen. Ich entscheide mich ab hier die kleinen Nebenstraßen zu nehmen und komme durch verschlafene Ortschaften, wie z.B. Woodstock, das jedoch mit dem legendären Ereignis gleichen Namens nichts gemein hat.

Gegen 17 Uhr komme ich im Motel 6 an. Ein Inder in meinem Alter begrüßt mich an der Rezeption. Zufällig trage ich ein T-Shirt aus Indien mit einem Tribal-Muster und wir kommen natürlich ins Gespräch über die Orte, die ich besucht habe und wie mir Indien gefallen hat.

Wieder mal bekomme ich im Motel 6 ein gutes, sauberes und günstiges Zimmer. Nicht weit von hier ist ein großer Supermarkt, bei dem ich mich für die nächsten Tage eindecke. Abends sitze ich dann über meine vielen Karten und schaue nach Routen und Orte in diesem interessanten Tal. Mir wird schnell klar, dass man hier Wochen verbringen könnte ohne genug zu haben. Es gilt, sich zu entscheiden. Gut für morgen soll es dann gleich eine Wanderung sein. Ich entschließe mich für den Old Rag Mountain, der ziemlich genau in der Mitte des Shenandoah National Park liegt. Bevor ich mich zur Ruhe begebe, ordne ich noch meine Sachen für morgen und packe schon meinen Rucksack.

2. Juni

Old Rag Mountain

Herrliches Wetter weckt mich und nach einem kurzen Frühstück mache ich mich fast ungeduldig auf meine erste Tour zum Old Rag Mountain. Ein vielversprechender Name, wie ich finde. Nach kurzer Fahrt komme ich an einem Parkplatz an, wo man sein Fahrzeug zwingend abstellen muss. Außerdem braucht man ein Zugangsticket für den Park. An einem nicht besetztem Kiosk gibt es eine Infotafel. Name, Datum, Adresse sind auf einem kleinen Formular einzugeben, das man faltet und 8 $ mit einlegt. Leider habe ich als kleinste Note nur einen Zwanziger, aber man kann alternativ auch seine Kreditkartennummer angeben! Also gut, tun wir doch! Anschließend orientiere ich mich auf einer mehr oder weniger aussagekräftigen Karte und stiefle los. Unterwegs werde ich von riesigen Schwärmen schwarzer und gelber Schmetterlinge überrascht. Einige vereinzelt stehende Häuser sind rechts und links der geteerten Straße zu sehen. Am letzten Haus bleibe ich kurz stehen, um den vor seinem Grundstück arbeitenden Mann nach dem besten Weg zu fragen. Zunächst geht es langweilig und relativ unspektakulär durch einen dünn besiedelten Wald den Berg hoch. Hier begegne ich kaum Menschen und ich frage mich, ob ich noch auf dem richtigen Weg bin. Schließlich wird der Boden steiniger und der Weg schmaler, auch habe ich nun ab und an Aussicht auf ein Tal. Leute begegnen mir jetzt, allesamt aus den Staaten, mit denen ich mich zum Teil angeregt unterhalte. Viele freuen sich, wenn sie hören, dass ich Deutscher bin und fast jeder zweite kennt jemand aus Deutschland oder war schon mal da. Die ersten, die ich treffe, sind eine Gruppe junger, sportlicher Mädchen und sie wirken fast so, als wären sie im Sprint hoch und runter. Der Weg zum Gipfel sei noch sehr weit und ich sollte mich auf Kletterpartien, enge, zu durchquerende Felsspalten und schwierig zu überwindende Felsbrocken einstellen. Das Ziel lohne aber auf jeden Fall und die Aussicht wäre heute fantastisch! Und wirklich, es wird immer abenteuerlicher und zwischendurch muss ich mich wirklich konzentrieren, um mich nicht zu verletzen oder abzurutschen. Kurz vor dem Gipfel begegnet mir an einer schwierigen, steilen Engstelle, bei der man bergab eigentlich nur auf dem Hosenboden rutschend weiter kommt, eine größere Gruppe Frauen mit Kindern und zwei Männern. Es sind Amishe, wie man unschwer an der Kleidung erkennen kann. Auch hier ergibt sich eine längere, nette Unterhaltung. Endlich komme ich nach drei Stunden am heiß ersehnten Ziel an – und wirklich, es ist atemberaubend schön! Überglücklich suche ich mir den höchsten Felsbrocken aus, richte mich gemütlich ein und nehme erst einmal ein ausgiebiges Vesper zu mir, während dessen ich meine Aussicht genieße, jede Menge Fotos schieße, Greifvögel beobachte und dann einfach nur schaue und schaue! Gut, ich lass mal die Bilder für sich sprechen…

Weg nach oben

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Schmetterlinge und Pflanzenwelt

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Klettern angesagt

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Oops!

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Endlich oben

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Selfies müssen manchmal sein

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Abstieg mit Abkühlung

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3. Juni

Skyline Drive & Luray Cavern & French Café

Für heute habe ich geplant, den Skyline Drive eine Weile entlang zu fahren, die Aussicht zu genießen und natürlich jede Menge Fotos zu schießen. Ich habe eine ruhige und sonnige Fahrt bis zum nördlichen Eingang zum Shenandoah National Park. Der fast 200 km lange Weg ist zwar gebührenpflichtig, aber am Schlagbaum erzähle ich dem Mann in Uniform, dass ich  gestern schon eine Gebühr für den Old Rag entrichtet habe. Als Nachweis zeige ich ihm das Formular, auf dem ich meine Kreditkartennummer angegeben hatte. Das sei so in Ordnung meint der Ranger, weist mich auf die Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 mph hin, die auf der gesamten Strecke gültig ist, bittet mich bei Begegnung mit Wild notfalls anzuhalten und wünscht mir gute Fahrt sowie einen schönen Tag. Das ging doch mal ganz unkompliziert!

Tatsächlich treffe ich nach kurzer Zeit schon auf ein Reh, das gemütlich die Straße überquert und sich im Dickicht davonmacht. Die Straße schlängelt sich wunderschön, es ist kaum etwas los und die Aussicht an den vielen Plattformen ist beachtlich. Jedoch sinkt meine Stimmung etwas, als immer mehr Wolken aufziehen und die Aussicht auf das Shenandoah Valley trüben. Kurz lege ich eine kleine Vesperpause ein, ziehe meine Karte zu rate und sehe, dass es nicht weit zur nächstmöglichen Gelegenheit ist, den Skyline Drive zu verlassen. Dort in der Nähe liegt Luray. Es soll ein schönes Städtchen sein, außerdem liegen ganz in der Nähe die berühmten Luray Caverns. Also wenn das Wetter oben nicht ganz so touristenfreundlich ist, geht der Tourist eben unter die Erde!

Kurz nach der Abfahrt nehme ich zwei schwer bepackte Tramper mit, die ebenfalls nach Luray wollen. Ich setze die beiden an einem Hostel ab, schaue mir etwas das Städtchen an und entdecke ein kleines nettes Café, dessen Besuch ich mir nach der Höhlentour vornehme.

Die Luray Caverns weisen einige Besonderheiten auf, die einen Besuch sehr attraktive machen. Es ist mit ungefähr 25 ha flächenmäßig das größte Höhlensystem im Osten der Vereinigten Staaten, besitzt durch einen chemisches Verfahren ein angenehme, trockene Luft und beherbergt als eines der Highlights das größte Musikinstrument unter der Erde, die Stalactite Pipe Organ. Diese Orgel wurde von L. W. Sprinkle nach drei Jahren Arbeit im Jahre 1956 fertiggestellt. Allerdings fand er nur ein paar Tropfsteine, die so beschaffen waren, dass sie die gewünschten Töne erzeugten. Deshalb bearbeitete Sprinkle die restlichen Tropfsteine, bis er alle notwendigen Töne für seine Orgel, das eigentlich musiktechnisch als Litophon zu bezeichnen ist, zusammengestellt hatte. Über 14 000 m² erstrecken sich die mit dem Orgelkörper verdrahteten Tropfsteine, die durch Gummimanschetten geschützt sind und mittels kleiner Gummihämmern elektronisch angeschlagen werden. Trotz der Schutzmaßnahmen brechen immer wieder einige Stalaktiten ab, die Bruchstücke werden dann weiterverwendet und in unzähligen Dekorationsideen im Shop verkauft. Trotz der kritisch zu sehenden Punkte, das bis heute andauernde Bearbeiten der Tropfsteine und die chemische Trocknung der Höhlenluft, sind die Luray Caverns sehenswert und ein must-see, wenn man in der Gegend ist.

Die Höhle ist einfach atemberaubend schön, es gibt am tiefsten Punkt der Höhle einen gigantischen See, den Dream Lake, in dem sich durch verschiedene Lichteffekte die Stalaktittenformationen farbenprächtig widerspiegeln. In einem sich weit öffnendem Raum, der Giant Hall, bleibt mir der Mund vor Staunen offen. Ein gigantischer Turm, der sogenannte Double Column, der durch das Zusammenwachsen eines Stalaktites und eines Stalagmites entstanden ist, steht mit seinen rund 15 Metern majestätisch im Zentrum. Als weitere Schönheit taucht Titania‘s Veil auf, wie Vorhänge oder Schals gefaltete Tropfsteine, die so dünn sind, dass Kerzenlicht durch das Calcit hindurchleuchtet. Ständig wird man während der Tour, die auch an einigen kristallklaren Tümpel entlang läuft, von neuen wundersamen Formationen überrascht, die ich mit meinen Worten gar nicht so eindrücklich beschreiben kann, wie es vielleicht meine Bilder tun, weshalb ich hier meine Beschreibung der Luray Caverns abschließe. Bitteschön, die Bilder (demnächst):

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Nach der einstündigen Tour unterhalte ich mich noch etwas mit dem netten Guide und fahre dann gemütlich nach Luray, zum Gathering Grounds, dem Café, das ich entdeckt hatte. Das Café ist gemütlich eingerichtet, mit vielen kleinen Tischen, einer Leseecke, einer Bar und sowie einer Schrankwand mit vielen Vitrinen, Schubladen und antik wirkendem Dekor. Ich bestelle mir einen Cappuccino und ein großes Stück Streuselkuchen, beides schmeckt fast wie zu Hause! Herrlich!

Danach schlendere ich noch durch die Ortschaft und komme an einem Massagestudio vorbei. Seit zwei Tagen habe ich leichte Rückenschmerzen und Schulterverspannungen. Warum sich nicht eine Massage gönnen? Gleich morgen früh wäre ein Termin möglich und ich zögere nicht lange, ich könnte ja anschließend die anderen leckeren Kuchen im G G testen...

 

 4. Juni

Natural Bridge (daylight) & Natural Cavern & Natural Thunderstorm

Heute geht es in Richtung Süden zur legendären Natural Bridge, eine natürlich entstandener Steinbogen mit einem naheliegenden Höhlensystem. Ein Highlight ist die allabendliche Light & Music Show unter der Natural Bridge. Das Wetter ist strahlend schön, ein paar Schäfchenwolken am Himmel verzieren meine Fahrt auf der Highway in meinem mir immer sympathischer werdenden Dodge Avenger. Ein bisschen Zufallsmusik aus dem Ipod, Snacks auf dem Beifahrersitz und kühle Getränke sorgen für Kurzweil bis zum heutigen Ausflugsziel.

Zuerst zur Hauptattraktion, der ca. 500 Millionen Jahre alten und rund 36 000 Tonnen schweren Felsbogen über den die von unten nicht sichtbare Lee Highway, die US Route 11, führt. Durch urzeitliche Wassermassen ausgehöhlt steht das etwa 70 Meter hohe Ding vor mir. George Washington soll als junger Mann einst hier gewesen sein und sei verbotenerweise an der Wand hochgeklettert und habe seine Initialen G W in den Fels eingraviert. Ein weiteres Detail, das es zu suchen gibt, ist die kleine Buddha-Statue etwa doppelt so hoch gelegen wie die berühmten Initialen. Für beides braucht man ein Fernglas oder benutzt den Zoom. Die beiden Buchstaben sind echt, ob sie von dem berühmten ersten Präsidenten stammen, darüber streiten die Gelehrten und die Buddha ähnelnden Steintürmchen sind eine Laune der Natur oder auch aber ein Werk von Witzbolden…

Nachdem ich genug fotografiert habe, gehe ich unter dem imposanten Steingebilde durch und setze meinen Weg fort, um zu den Lace Waterfalls zu gelangen sowie den Eingang zum mysteriösen Lost River zu sehen, der hauptsächlich unterirdisch verläuft.

Auf meinem Weg bin ich fast ganz allein, nur hin und wieder höre ich fröhliche Stimmen von Kindern mit ihren Eltern. Der naturbelassene Weg schleicht sich gemütlich zwischen einem Bachbett und einem bewachsenen Steilhang hindurch, teilweise durchbrochen von nacktem Gestein. Ungefähr Mitte des Weges erklären sich auch die Stimmen spielender Kinder, als ich auf eine Lichtung treffe, auf der ein Nachbauten eines Indianerdorfes stehen. Ich sehe mehrere eiförmige Gebilde, die mich irgendwie an einen gestrandeten Wal erinnern. Die Holzstangen, die waagrecht und senkrecht über dem Zeltmaterial angebracht sind, wirken wie ein Skelett. Erwachsene und Kinder basteln an den Gebäuden und sind so konzentriert, dass sie mich nicht registrieren, als ich durch das Gelände laufe. Kurze Zeit später treffe ich auf einen aufgeregten jungen Mann, der hektisch in Richtung Bachbett zeigt. Als ich auf seiner Höhe bin, entdecke ich den Grund. Ein schwarzes, beinloses Wesen kriecht recht schnell über den Weg. Vermutlich hat es mehr Angst, als der Entdecker selbst. Tatsächlich schaffe ich es noch ein Bild zu schießen, bevor das Objekt der Aufregung im Gebüsch verschwinden kann.

Den verlorenen Fluss suche ich vergebens, was bei dem Namen ja auch nicht verwunderlich ist. Ein Hinweisschild macht mich darauf aufmerksam, dass hinter irgendeinem der Felsspalten auf der anderen Seite das mysteriöse Nass zu finden sein muss. Pflichtschuldig fotografiere ich die Stelle ohne zu wissen, ob es die richtige ist. Gegen Ende meines Weges höre ich Wasser plätschern und rauschen, das Flüsschen zu meiner Linken ist etwas wilder geworden und seine breite Stufen enden an einem Wasserfall, der jedoch unzugänglich ist. Es gibt jedoch ein Rund aus Stein als Sitzgelegenheit, an dem ich mich zum Vespern niederlasse. Während ich meine Mahlzeit verdrücke, gesellt sich verschiedenes Getier zu mir. Direkt neben meinem Arm lässt sich ein Prachtexemplar eines Schmetterlings (Name wird noch recherchiert…) nieder und pumpt rhythmisch mit den Flügeln, als wolle er das Murmeln des Wasserfalls begleiten. Bevor er mit einem Artgenossen davonflattert, wartet er artig, bis ich ihn fotografiert haben. Dann kommt ein Schwarm kleiner hellblauer Falter und tummelt sich auf dem Boden rings um mich herum. Als ich mich über die Brüstung der Steinmauer lehne, sehe ich Eidechsen flitzen und entdecke außerdem zwei handtellergroße Achtbeiner! Nachdem ich alles digital verewigt habe, mache ich mich auf den Rückweg, um nochmal die Natural Bridge zu bestaunen.

Das nächste Highlight sind die Natural Bridge Caverns, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts entdeckt wurden. Die Tour, die rund eine Stunde dauerte, führt über viele Treppen in die Tiefe. Die schmalen Wege und die Stufen sind immer wieder glitschig und ich bin froh, meine rutschfesten Tevas mitgenommen zu haben. In der Höhle herrschte über das ganze Jahre eine Temperatur von rund 12°C, es gibt einen gigantischen „Dome“ und außerdem sind wir hier 100 Meter in der Tiefe, Rekord an der Ostküste. Weiter gibt es nichts Spektakuläres zu sehen, aber der Guide ist sehr eifrig dabei und erläutert ausführlich über Höhlen und Tropfsteine im Allgemeinen.

Bevor die spektakuläre Sound & Lightshow bei der Natural Bridge beginnt, möchte ich noch einen kleinen See in der Nähe besuchen sowie eine Mahlzeit einnehmen. Inzwischen ist es nicht mehr so heiß, wie heute morgen und als ich am See ankomme, regnet es ein paar Tropfen. Am See ist eine seltsame Stimmung, außer mir sind nur zwei Frauen mit zwei Kindern da. Der Wald ringsherum ist dunkel und eigenartig ruhig. Irgendwie fühle ich mich hier nicht richtig wohl und mache mich auf den Rückweg. Nachdem ich ungefähr 5 Minuten im Wagen fuhr, wird es bedrohlich dunkel um mich herum. Ohne Vorwarnung prasselt ein heftiger Wolkenbruch auf mich herab, ich sehe kaum noch was, obwohl die Scheibenwischer auf höchster Stufe laufen. Dann sehe ich über dem Wald eine dunkle, trichterförmige Wolke. In diesem Moment passiere ich eine Kreuzung an der sich etwas zurückgelegen ein Restaurant befindet. Ich steure den Parkplatz an und will aussteigen, doch in diesem Moment blitzt es direkt über mir, das Auto wird durchgerüttelt und der Regen ist jetzt so stark, dass ich so gut wie gar nichts mehr sehe, nur noch Wasser! Der Spuk dauert ein paar Minuten, dann stoppt der Regen und auch das Gewitter ist vorüber. War das ein kleiner Tornado? Ich fahre weiter in Richtung Natural Bridge und sehe unterwegs schon Einsatzkräfte, die umgestürzte Bäume von den Fahrbahnen räumen!

Als ich an der Natural Bridge ankomme, wird mir mitgeteilt, dass die Show heute aus Sicherheitsgründen wahrscheinlich entfallen muss. Die Entscheidung fällt in einer halben Stunde, wenn alle Wetterinformationen geprüft sind. Ich warte natürlich, aber leider umsonst. Die Sound & Lightshow ist für heute abgesagt. Jedoch habe ich Glück im Unglück, denn das Ticket gilt für mehrere Tage! Mit der Hoffnung, dass sich das Wetter wieder schnell beruhigt, kehre ich auf einer gemütlichen Fahrt zurück in mein Motel, auf der mich etwas Regen und kleine Gewitter begleiten.

 

5. Juni

Staunton & Humpback Mountain & Natural Bridge at night with Lightshow

Das Wetter ist herrlich heute, weshalb ich nach dem Frühstück auch sofort meinen Plan für heute zusammenstelle: Massage, Fahrt auf dem Skyline Drive, Abstecher nach Staunton, Wanderung auf den Humpback Rock und zum Abschluss die Natural Bridge Light Show.

Also zunächst einmal nach Luray, um mir meine Massage zu gönnen, die ich gestern gebucht hatte.

Danach mache ich mich auf dem Blue Ridge Parkway in Richtung Süden auf den Weg. Ich möchte das schöne Wetter genießen und ein paar Fotos von hier oben schießen. Gemütlich und das Tempolimit beachtend tuckere ich in meinem Dodge die kurvigen Straßen entlang, mache hier und da Halt, schieße Fotos und lasse mir zwischendurch die Sonne aufs Haupt scheinen. So fahre ich dem Nachmittag und dem Hunger entgegen und lande in Staunton, einer verschlafenen Kleinstadt mit viel Charme. Schöne kleine Läden, typische, häufig rote Backsteinhäuser, saubere, wie mit dem Lineal gezogene Straßenzüge, eine Hand voll Kirchen, eine Synagoge und nette Menschen. Außerdem ist hier Woodrow Wilson, der 28. Präsident, geboren.

Es wird Zeit sich wieder zu bewegen, der Humpback Rock wartet auf mich. Die Strecke ist etwas mehr als drei Kilometer lang und ich werde wohl ne dreiviertel Stunde dafür brauchen. Die knapp eintausend Meter hohe Erhebung verspricht einen schönen Rundumblick über das Shenandoah Valley. Der Aufstieg strengt mich dann doch mehr an als gedacht, die Pfade sind sehr steinig und immer wieder sind umgestürzte Bäume oder abgebrochene Äste im Weg – Auswirkungen des gestrigen Sturmes?

Oben angekommen werde ich von einem unglaublichen Panorama empfangen. Etwas hungrig und müde suche ich mir ein schönes Plätzchen zum Vespern und Dösen. Während ich die Aussicht genieße beobachte ich mehrere Greifvögel, die am Himmel ihre Kreise ziehen, zwei von ihnen gehen immer wieder aufeinander los.

Kurz darauf werde ich von einer Frau angesprochen. Sie hat beobachtet, wie ich mit meinem Smartphone versuche Selfies zu schießen und bietet mir an mich auf dem Felsen zu fotografieren. Wir kommen ein bisschen ins Gespräch und ich erfahre, dass sie aus der Gegend kommt und so ziemlich jeden Tag hier heraufmarschiert. Es soll hier einige Bären in der Gegend geben, die jedoch sehr scheu sind.

Es ist kurz nach fünf und es wird Zeit für mich, den Abstieg anzutreten, in drei Stunden muss ich an der Natural Bridge sein. Auf dem Weg hinunter habe ich ständig das Gefühl beobachtet zu werden und ich muss an die Bären denken. Aber vermutlich bilde ich mir nur etwas ein. Der Wald ist dämmrig und still. Auf meinem Weg begegnet mir niemand, ich scheine allein hier unterwegs zu sein. Kurz vor dem Parkplatz, ich schätze noch fünf Minuten zu gehen, kommt mir ein Jogger entgegen und erzählt mir, er hätte gerade eben einen Bären gesehen, der direkt vor ihm über den Weg gelaufen ist. Gespannt gehe ich weiter, doch ich habe kein Glück und kann mit keinem Foto aufwarten!

Die Light Show am Abend ist ein passender Abschluss für diesen Tag. Man sitzt auf Holzbänken seitlich am Weg zur Brücke. Es ist inzwischen richtig dunkel geworden und die Show beginnt. Eine beeindruckende Stimme liest aus Genesis 1, untermalt von dramatischer Musik, während Projektoren den Torbogen ständig in anderen Farben tauchen. „And God said…“

6. Juni

Shenandoah & Hawksbill Mountain & White Oak Falls

 

7. Juni

Charlottsville & Drumsession & Monticello (and good-bye!)

 

 

 

 

Washington D.C.

31. Mai

Washington

Ich habe mein Smartphone an das Autoradio angeschlossen, meine Route bei Gucklmappe eingegeben und eine nette Frauenstimme sagt mir, wo’s lang geht! Sie führt mich direkt von Norden her auf der 16th hinter das Weiße Haus. Entlang der rund 10 Kilometer langen Straße reihen sich prächtige Häuser auf beiden Seiten und ich zähle mehr als zwanzig verschiedene Kirchen! Ein schattiger Parkplatz ist auch gleich gefunden, zahlen kann ich sogar ohne Kleingeld, einfach die Kreditkarte an dem Parkuhrschlitz durchziehen und tschüß!

Erste Station ist natürlich das Weiße Haus, zunächst die Rückseite. Direkt am Eisengitter will ich gerade ein paar Bilder schießen, als sich ein Prachtexemplar von Eichhörnchen vor mir aufbaut und Männchen macht. Okay, verstanden. Du bist der Boss hier. Brav wartet er, bis ich meine Bilder geschossen habe und macht sich dann auf und davon. Putzig.
Nächste Station ist das Washington Memorial, mmh, einmal umrundet, Flaggen gezählt, fotografiert. Dann vorbei am Smithsonian und zum Capitol, wieder zurück und diesmal das Weiße Haus von der Vorderseite. Dann habe ich genug gesehen und laufe zurück zum Parkplatz. Auf meinem Weg komme ich nochmals hinter dem Weißen Haus vorbei und treffe auf einen Aktivisten, der jeden Tag für eine Stunde hierher kommt, um seine Parolen gegen die Regierung und für Edward Snowden in Richtung Obama schleudert. Auf dem Dach des Weißen Hauses sind Posten stationiert, die mit Ferngläsern bewaffnet die Menschenmengen ringsherum beobachten.

Für mich ist  nun Schluss, die ganze Atmosphäre hier hat mir überhaupt nicht gefallen. Meine nächste Übernachtung habe ich in den Candlewood Suites in Fairfax gebucht und die Autofahrt dort endet, wie sie heute morgen begannen hat: die Einfahrt ist von Einsatzfahrzeugen zugestellt und ich muss eine Weile warten, bis es weiter geht.

Jetzt folgt ein kleiner Werbeblock, wer möchte kann ja diesen Abschnitt überspringen…
In meiner Suite findet sich so ziemlich alles, was ein Travellerherz begehrt. Kaffeemaschine, Kocher, Kaffeepads, Teebeutel, Kühlschrank, Mikrowelle, Geschirr, Handtücher für mehrere Tage, Kleiderbügel, Bügelbrett, Dampfbügeleisen, Fernseher, kostenloses WiFi. Im Erdgeschoss kann man kostenlos Waschmaschine und Trockner benutzen, als Willkommensgruß gibt es ein Softgetränk gratis, Wasser und Eiswürfel sind eh frei. Falls jemand Lust hat sich noch auszupowern kann sich im frei zugänglichen Fitnessstudio vergnügen. Das alles zum Aktionspreis von 70 $. Ich bin absolut begeistert!

Baile an Tí Mhóir – Baltimore

30.  – 31. Mai

Erneut steige ich in einem Motel6 ab, das hier im nördlichen Teil der Stadt liegt. Abends war ich noch zu einem Crêpes um die Ecke. Die Bude wird von zwei jungen Burschen geführt. Klein, hübsch, mit französischem Flair eingerichtet und von einer Wand lächelt mich Marilyn an!
Ich beschließe noch eine Nacht hier zu verbringen und mache mich erst einmal auf, das Hafengebiet zu erkunden. Gute Entscheidung! Der Hafen ist echt hipp, historische Schiffe liegen vor Anker, Straßencafés, überall läuft Musik, entspannte Leute flanieren um das rechteckige Hafenbecken. Das geilste ist das ehemalige Kraftwerk an der Nordseite, ein roter Backsteinbau türmt sich 50 Meter hoch auf, eine riesige Gitarre ziert das Dach. In dem Gebäude sind mehrere Restaurants und Cafés untergebracht, unter anderem das Hard Rock Cafe, in dem ich tatsächlich etwas Vegetarisches finde. Das absolute Highlight in dem Gebäude ist aber der zweistöckige Bookstore, dessen Inneres eine Überraschung bietet. Die ursprünglichen Rohre, Lüftungen, und Eisenträger wurden belassen. Frisch gestrichen in Karminrot passt das gut zu den dunkelbraunen Bücherregalen. Auf zwei Etagen findet man alles was das Leserherz begehrt, es gibt im Obergeschoss ein Café mit Außenbereich und man sieht viele Leute, die während dem Kaffeeschlürfen gemütlich in Büchern oder Zeitschriften blättern.

Die Promenade um den Hafen lädt zum Flanieren ein und ich muss sowieso auf die andere Seite. Mein nächstes Ziel ist das American Visionary Museum Of Art, in dem abgefahrene, verrückte und revolutionäre Objekte ausgestellt sind. Mit dem Stadtplan in der Hand mache ich mich auf den Weg und suche das Gebäude, aber  der Plan ist etwas ungenau. Eine Angestellte der Stadt sieht wie ich ratlos mit der Karte in der Hand dastehe und spricht mich an. Diese Helfer stehen hier überall und sind zu Fuß, mit dem Rad oder mit dem Segway unterwegs. Jessica macht ihren Job erst seit ein paar Tagen, aber wo das AVMOA  ist kann sie mir sofort sagen. Jessica fragt wo ich herkomme und so bleibe ich eine Weile bei ihr stehen und erzähle von meinem Sabbatical, welche Länder und Orte ich besucht habe und was mich hierherführt. Zur Erinnerung hätte ich gern ein Bild von ihr, aber sie lässt sich nicht gerne fotografieren. Dafür schießt sie eines von mir, dass erste hier in den Staaten, das jemand Fremdes von mir macht.

Das AVMOA ist schon von außen ein schräges Gebäude. Im Innern sind auf drei Stockwerken futuristische, kitschige, avantgardistische, provokante und revolutionäre Objekte zu sehen. Zwei Stunden gehe ich auf und ab und kennzeichnen kaum satt sehen (weiteres siehe www.american…).

Auf dem Weg zurück zum Motel finde ich die Zugangsstraße wegen eines Hip-Hop-Konzertes abgesperrt vor, weshalb ich einmal um den ganzen Block herumfahren muss. Ich bekomme noch den Schluss mit und entdecke auf der abgesperrten Straße zwei bunte, umgebaute Linienbusse, einer mit Schnellimbiss, der andere mit Second-Hand-Klamotten. Eine zeitlang mische ich mich unter die Leute, bevor ich ins Hotel gehe, um zu packen.

Am nächsten Morgen nehme ich in der Nähe des Motels in einem alternativen Bookstore mit Café mein Frühstück ein. Zu meiner Überraschung gibt es feinen Schwarztee und vegane Burger, lecker!
Als ich zu meinem komme, finde ich es rundherum zugestellt mit Krankenwagen und Feuerwehrfahrzeugen. Mein Dodge steht direkt vor einem Center für Obdachlose, vermutlich ist dort ein Notfall und es dauert eine Weile bis jemand kommt, um mir eine Lücke zum Wegfahren zu schaffen.

Nächster Stop: Washington!
 

Nashville – 28. bis 29. Mai 2014

28. Mai 2014

Auf geht’s in die Hauptstadt der Country Musik – Nashville! Dort reiht sich in Downtownm eine Musikkneipe an die nächste und natürlich spielt in jeder eine andere Band. Auf der Straße vibriert das Leben, Gestalten in allen erdenklichen Kostümen laufen uns über den Weg, sogar Elvis begegnetuns hier, vermutlich ist es ihm in Memphis im Moment zu langweilig…

Wir checken einige Musikbars und entscheiden uns für die Bar mit dem witzigen Bassisten, der uns durchs Fenster mit seinen Grimassen einlädt. Die Band spielt guten Country-Rock, einige Pärchen schwingen das Tanzbein und wir trinken derweil ein Bierchen an der voll besetzten Theke.
Das Highlight ist dann unser Besuch in der Bar „Robert’s Western World“, in der die Don Kelly Band mit dem hochbegabten Gitarristen Daniel Donato auftritt. Der Junge ist gerade mal um die 19 Jahre alt und spielt sich, wie man so schön sagt, die Seele aus dem Leib! Wir sind absolut sprachlos und hören staunend zu, als er ein Solo in ‚Ramblin Man‘ von den Allman Brothers

(https://www.youtube.com/watch?v=Ko0Uze4Vd3g)

zum Besten gibt und gegen Ende ganz schnörkellos den weltbekannten Riff aus ‚Jessica‘ einfädelt! Einfach so, als würde man das immer so spielen! Genial! Kurz vor Schluss denke ich zum Glück noch daran, mein Smartphone zu zücken und verewige einige Takte:

Daniel Donato

Später gehen wir in eine gute Pizzeria, die Ryan von seinem letzten Besuch kennt. Beim Bestellen frage ich die junge Kellnerin, wo sie herkommt, auf ihren Namensschild steht Aleksandra, weshalb auf Griechenland tippe. Nee, sie kommt aus Mazedonien und lebt seit ein paar Jahren mit Mann und Tochter in Nashville, obwohl sie kein Country mag, sie steht eher auf Rock. Die Art und Weise wie sie das sagt, lässt mich sie fragen, ob sie auch Musik macht. Es stellt sich heraus, dass sie eine Band hat und zu Hause schon mehrmals mit ihren Konzerten im Fernsehen war. Zurück im Motel6 schauen wir uns dann auch gleich auf YouTube ihre Videoclips an

(Aleksandra Pileva https://www.youtube.com/watch?v=5gdMjz3Bdzo ).

Wow!

29. Mai 2014

Ein letztes gemeinsames Frühstück im ‚Waffle House‘. Dann Abschied. Wieder einmal. Wir verabschieden uns direkt vor dem Flughafen auf dem Taxistreifen. Kurz und schmerzlos. Wenige Worte, eine Umarmung, dann steigt Ryan in seinen Mercedes. Wir winken uns ein letzes Mal zu. Für Ryan geht es nun weiter zu seinen Freunden nach Colorado und für mich nach Baltimore.

Meine Güte, was habe ich mit Ryan in dieser kurzen Zeit alles erlebt! Thank you, life!

North Carolina – 26. bis 27. Mai 2014

26. Mai

Wir packen unsere sieben Sachen und machen uns auf den Weg nach Nordwesten, um einen Teil des Blue Ridge Parkway zu erkunden.
Es wird eine lange Fahrt und wir planen einen Zwischenstopp in Asheville, einer hübschen Stadt mit einem besonderen Flair. Überall gibt es Kneipen und Bars mit großen, offenen Fenstern zur Straße, wodurch man Gelegenheit hat, die vielen Live Bands vom Bürgersteig aus zu sehen.
Ein Café an einer Straßenecke hat definitiv den Vogel abgeschossen. Hier steht ein umgebauter, aus London herüber gebrachter roter Doppeldecker! Innen drin ist alles liebevoll eingerichtet und außerdem gibt es einen akzeptablen Cappuccino! Später schlendere alleine durch die Straßen, während Ryan dringendes bei Western Union zu erledigen hat. Nach einer Weile setze ich mich auf eine Bank und höre einem Straßenmusiker zu. Neben mir sitzt Tom, wir kommen ins Gespräch er erzählt mir von seinem Obdachlosendasein und dass er in ein paar Tagen 60 Jahre alt wird. Ich traue mich hin zu fragen, ob es für ihn hart ist, auf der Straße zu leben. Tom bettelt nicht und trinkt keinen Alkohol, er hat ein paar gute Freunde. „From time t‘ time wanna ‚ve good talkin‘, ya know, ’s all I need!“ Eine Weile später setzt sich sein Freund Jérôme zu uns. Bei ihm habe ich etwas mehr Probleme mit dem Verstehen, da er mit einem breitem Gullah-Slang spricht. Aber ich verbringe eine gute Zeit mit den beiden, bis mich Ryan anruft, um zu fragen wo ich bin. Ich verabschiede mich von den beiden und bedanke mich für das „good talkin'“.

27. Mai

Von Asheville geht es nun in die Smokey Mountains zum südlichsten Zipfel des Blue Ridge Parkway. Wir landen in Cherkee, dem Zentrum des gleichnamigen Indianerreservats, das in einem großen National Park liegt. In einem weitläufigen National Campground schlagen wir unser Zelt auf und starten, obwohl schlechtes Wetter aufzieht und es zu donnern beginnt, eine kleine Rundwanderung an einem kleinem Bergbahn entlang. Es tut gut, wieder in der Natur zu sein und ich genieße den Wald und das Rauschen des Wassers. Das Gewitter hat sich verzogen, die Sonne kommt immer wieder hinter dem Wolken hervor und es wird zunehmend schwüler. Wir überholen eine Pärchen und schwatzen eine Weile miteinander. Suze und Wayne laden uns ein, später bei ihnen vorbei zu schauen. Unterwegs kommen wir immer wieder an Sträuchern mit weißen Blüten vorbei, Mountain Laurel ist der Name wie ich später von Suze erfahre. Ryan und ich sind wesentlich schneller als die beiden und als wir uns nach der dreistündigen Tour entscheiden in Cherkee Essen zu gehen, schaffen wir es gerade so in den Mercedes, bevor ein heftiger Wolkenbruch niederprasselt. Während wir aus dem Campground herausfahren, kommen uns die beiden gerade entgegen, plitschnass. Nach dem Essen fahren wir zurück, Ryan ist platt vom Fahren, Wandern und dem Essen und legt sich schlafen, während ich einen Spaziergang mache. Schließlich lande ich in der Nähe von Wayne und Suze, sie winken mich heran und ich geselle mich zu ihnen. Es wird ein wunderbarer Abend mit interessanten Gesprächen am Lagerfeuer und die beiden sind total happy, dass ich vorbei gekommen bin. Ich bekomme ihre Visitenkarten und eine Einladung. „If possible, so drop by, we have an extra appartement. You’ll be most welcome!“

Die Nacht im Zelt wird ziemlich kalt und ich bin froh, dass am nächsten Morgen die Sonne scheint und mich aufwärmt.

South Carolina – 19. bis 25. Mai 2014

19. Mai

Gerade als ich meinen Koffer auf dem Band sehe, klingelt mein Telefon. Ryan ist am Apparat und teilt mir mit, dass er kurz vor dem Flughafen ist. Kaum draußen, sehe ich einen grauen Mercedes heran fahren. Was für ein Timing! Was für ein Wiedersehen nach einem halben Jahr am entgegen gesetzten Ende der Welt. Während der ganzen Fahrt nach Columbia reden wir pausenlos miteinander, wir haben einander viel zu erzählen. Ryan und sein Dad wohnen in Sichtweite einer kleinen Sees an einem kleinen Hang in einem zweigeschossigen Gebäude. Ein Gästezimmer mit eigenen Bad ist schon vorbereitet. Wir schieben uns noch eine Pizza rein und reden weiter – es wird spät!

20. Mai

Den ersten Ausflug unternehmen wir zum nahe gelegenen Congaree Swamp, der sich ursprünglich über fast den gesamten Bundesstaat ausstreckte. Wir wählen eine drei-Stunden-Tour auf der wir so einiges sehen und hören. Hier im Congaree Swamp befindet sich die größte Dichte von sowohl den ältesten als auch den höchsten Bäumen in Nordamerika. Zypressen, Zedern, Eichen und Bäume, deren Namen ich nicht kenne. Oft sehen wir deren Baumwipfel kaum und können ihre mächtige Erscheinung nur ahnen. Zunächst gelangen wir über Boardwalks tiefer in die Sümpfe, bevor wir diese auf einem schmaleren Trampelpfad verlassen. Die Temperatur ist jetzt am Morgen noch angenehm, die Luftfeuchtigkeit tut gut und ein angenehmer, modriger Geruch kriecht in die Nase. Rund um die Zypressen ragen bis zu einem Meter hohe Wurzeln aus dem Erdreich, von der Form her sehen sie aus wie Stalagmiten. Zusammen mit dem wechselnden Lichteinfall ergibt sich dadurch eine eigenartige Szenerie, untermalt mit den verschiedensten Geräuschen. In den Flussläufen und Seen entdecken wir Biber und unzählige Wasserschildkröten, die sich auf Steinen im Wasser sonnen oder indes Hoffnung auf Nahrung heranschwimmen. Gegen Ende der Tour stoßen wir dann tatsächlich noch auf eine Schlange direkt neben unserem Weg, die sich gemütlich in den tiefen Sumpf davonmacht.

Abendprogramm: Movie – Der friedvolle Krieger, Bier, Chips.

21. Mai

Wieder machen wir uns auf in den Congaree, diesmal für eine längere Tour auf einem anderen Weg, der uns tiefer in den Sumpf führt. Je weiter wir kommen, desto mehr müssen wir über umgestürzte Bäume steigen, die der letzte Eissturm hier zu Fall gebracht hat. Unsere Route ist mit roten Reflektoren oder roten Farbkreisen markiert, die sich zirka alle 20 bis 30 Meter wiederholen. Teilweise sind die Marker abgefallen oder auf den nun am Boden liegenden Baumriesen. Immer öfter verlieren wir unseren Weg, wenn wir die langen Kerle umrunden müssen, weshalb einer von uns jedesmal bei der letzten Markierung zurückbleibt, bis der andere das nächste Zeichen gefunden hat. Es ist noch viel Zeit bis zum Sonnenuntergang, die Sonne blinzelt hier und da durch die Baumwipfel und ich weiß in welcher Richtung das Informationscenter ist, weshalb ich die Prozedur leicht übertrieben finde. Später erfahren wir von einem von Ryans Freunden, dass sich ein Familienvater mit zwei Kindern kürzlich im Congaree verirrt hat. Die Suche dauerte drei Tage…
mmh, doch nicht übertrieben! Die Route führt uns durch deutlich feuchteres Gebiet als gestern. Mächtige Bäume stehen mitten in den goldbraunen Wasser führenden Flussläufen, das Hämmern von weit entfernten Spechten vermischt sich mit dem Gesang anderer Vögel und zahlreiche Squirrels scheinen nur für uns ihre Sprünge zu zelebrieren. Während unserer etwas mehr als vierstündigen Wanderung begegnen wir erst wieder am Turtle Lake in der Nähe des Infocenters anderen Menschen. Etwas müde aber überaus zufrieden machen wir uns auf den Rückweg nach Columbia. Ein Freund von Ryan ruft an und wir beschließen bei ihm vorbeizuschauen, die Farm seines Dads liegt eh auf dem Weg. So lerne ich einige von Ryans Freunde kennen: John John, genannt J.J, sein Dad John sowie Peter Edward Badendick III., genannt P.D., ein ziemlich verrückter Vogel. Es dauert etwas, bis sich meine Ohren auf den harten Slang eingestellt haben, aber nach einer Weile geht das doch ganz gut.
Ich bekomme eine Führung auf der Farm, danach füttern wir die Fische im großen Teich neben dem Wohnhaus. P.D. erwähnt, dass seine Vorfahren aus Deutschland sind, woher weiß er jedoch nicht. Aufgrund seines Namens tippe ich auf Baden. „Maybe your Ancestors lived around my area in Baden and you’re maybe a missing Duke of Baden.“ Das gefällt ihm. Als ich anschließend beim obligatorischen Dosenbier auf der Terrasse seine Frage, ob mir dieses Bier besser schmeckt als das deutsche, mit „Don’t wanna start a war ‚bout that“ beantworte, ist das Eis endgültig gebrochen. Wir haben viel zu lachen, als wir uns über so manche Vorurteile austauschen und ich bin erstaunt. dass ich wieder einmal gefragt werde, warum wir Deutschen unser Bier warm trinken. Natürlich protestiere ich energisch und erkläre, dass das die Briten sind, nicht wir! P.D. schüttelt gespielten Kopf und meint: „Ever know those are Barbarians!“ Die darauf folgende Fahrt in einem alten Militärjeep aus dem Koreakrieg durch den zur Farm gehörenden Wald wird ein echtes Highlight. John steuert die alte Karre über Stock und Stein, durch Pfützen und Schlammlöcher, während er mir Erklärungen gibt. Am Rand seines Waldes befinden sich Überreste der alten im Bürgerkrieg benutzten Straße nach Charleston, die inzwischen zugewuchert ist. Mitten im Wald machen wir Halt, es ist schon dunkel und Ryan erzählt von unserem Congaree Trip und dass wir Probleme hatten, wieder zurückzufinden. Ich werfe dann ein, dass ich einerseits auf Ryan vertraute, da er schon öfter in diesen Sümpfen war und ich andererseits einen guten Orientierungssinn besitze. Worauf mich J.J. auf die Probe stellt. „Dude, we’re in the deep forest and it’s almost dark, so tell me were is West!“ Okay, zwischen den Baumkronen kann ich einen Stern ausmachen und vermute mal es ist die Venus. Gut. ich breite meine Arme zu einem leichten V aus: „West must be somewhere between my arms!“ J.J schnappt lachend nach Luft, haut mir auf die Schultern und fragt: „How the hell you did that?“ und John lacht in sich hinein: „Fuck, love those German guys!“  Zwei Jagdhunde begleiten uns, auf der Rückfahrt dürfen sie mit in den Jeep. Es ist so eng, dass die Hunde mir sehr nahe kommen und einer legt immer wieder seinen Kopf auf meinem Schädel ab. Ich genieße das alles und fühle mich sehr wohl. Dann wird  es Zeit zu gehen, bis Columbia haben wir noch eine gute Stunde Fahrt vor uns. Ryans Freunde sagen mir beim Abschied, dass dies ein cooler Abend war und sie froh sind mich kennen gelernt zu haben. „You’re now our friend and the house is always open for you!“
Spät in der Nacht kommen wir zu Hause an, für morgen ist erst einmal Ruhetag angesagt.

22. Mai

Gegen Abend beschließt Ryan mich einem Freund in Walterboro vorzustellen, ungefähr eine Stunde Fahrt, also gleich um die Ecke. Jim Hadley ist Musiker und hat früher auf der Straße Geld mit seiner One-Man-Band-Show verdient. Von Jim gibt es auch einen kurzen Fernsehenauftritt eines lokalen Senders. Heute spielt er nur noch aus Spaß, für seine Freunde und im Gottesdienst. Gleich nach unserem Eintreffen spielt es uns ein paar Songs auf seinem Banjo vor, danach bekomme ich einen Einblick in seine Familiengeschichte, die er mir anhand eines getackerten Heftes mit teilweise uralten Schwarzweißfotos erläutert. Sein Ur-Urgroßvater väterlicherseits stammt aus Irland, der Urgroßvater war mit einer Schwarzen verheiratet und die mütterliche Linie waren Sklaven aus Afrika. Nicht wenige der Frauen waren mit weißen Hausherren oder mit Indianern  verheiratet. Da es auch weiße Sklaven gab, waren Liaisonen unter den verschieden farbigen Sklaven nicht selten. Jim zeigt mir auf den Fotos die farbigen, weißen oder indianischen Einschläge und weißt mich auf Gesichtsformen und Haarstrukturen hin. In den folgenden Stunden erfahre ich so viel über die amerikanische Geschichte, dass mir fast der Kopf platzt. Jim ist ein guter Erzähler und ist sehr belesen. Ich bin hocherstaunt wie gut sich Jim in der europäischen Geschichte auskennt, als er mir den Zusammenhang zwischen dem Sklavenhandel, dem Baumwollhandel und dem Opiumhandel erklärt. Nachdem wir nach drei Stunden wieder zurück sind, habe ich das Gefühl den ganzen Tag mit Jim verbracht zu haben.

23. Mai

Heute machen wir einen Ausflug ans Meer und besichtigen Charleston.

24. Mai

Ich habe etwas Rückenschmerzen, weshalb wir nichts großes unternehmen. Ein kleiner Spaziergang im Park zwischen dem Congaree Creek und dem Congaree Canal. wir sehen unzählige Schildkröten, die sich auf den vielen Steinen im Fluss ein Bad in der Sonne gönnen.  Später gibt es noch einen exzellenten Cappuccino im Café Strudel in West Columbia!.

25. Mai

Wieder geht es nach Walterboro. Zuerst besuchen wir mit Jim einen Gottesdienst in einer Pfingstgemeinde, anschließend öffnet der Organist der Gemeinde, ein guter Freund von Jim, das hiesige Sklavenmuseum extra für mich, Sonntag ist normalerweise nicht geöffnet. Ich bekomme eine First-Class-Führung und erhält die Erlaubnis sowohl zu filmen, als auch zu fotografieren. Das ist wieder Geschichtsunterricht pur und als ich am Ende noch eine DVD geschenkt bekomme, bin ich total überwältigt. Ryan und ich hinterlassen noch eine Spende, bevor wir uns zum nächsten Highlight aufmachen.
Zuerst holen wir noch Lucky, ein Freund von Jim aus Nigeria, ab und fahren dann in Richtung Beaufort, eine hübsches Städtchen am Atlantik zwischen Charleston und Savannah. In der Nähe gibt es ein Projekt, ein amerikanisch-afrikanisches Dorf, wo man versucht, die afrikanischen Wurzeln und die dazu gehörige Kultur aufrechterhalten. Der „Häuptling“ des Dorfes, ebenfalls wie Lucky ein Nigerianer, ist auch anwesend.
Anschließend fahren wir direkt nach Beaufort weiter, wo ein Gullah-Festival stattfindet (http://www.ultimategullah.com/culture.html). Gospel, Flohmarkt, gutes Essen und nette Gespräche.

Etwas hungrig geworden, mache ich mich auf die Suche nach vegetarischem Essen und komme an einen Stand, an dem es recht lustig zugeht. Eine Familie ist hier zu Gange, Musik läuft, es wird viel gelacht und gealbert. Mit breitem Grinsen und ebenso breitem Slang werde ich von Big Mama, so steht es auf ihrem T- Shirt, nach meinen Wünschen gefragt. Tatsächlich werde ich hier fündig, drei verschiedene Sorten Reis, Gemüse und Yams in einer lecker aussehenden Soße. Wir setzen uns an den einzig verfügbaren Tisch, kommen ins Gespräch und ich lobe das Yams-Gericht. „Hey, did you hear?“, ruft sie ihrem Mann zu, „this guy likes my Yams! Give him more!“ Als Zugabe bekomme ich sogar noch zum Nachtisch einen Biscuit geschenkt.

Nicht weit von hier gibt es noch eine Art Poetry Slam sowie ein Gospelkonzert. Der Eintritt beträgt 10$, was für Lucky und Jim zuviel ist, einladen lassen sie sich jedoch auch nicht. Ryan versucht mit den Damen zu verhandeln und schließlich spielt Jim zwei Stücke aus seinem Repertoire vor, worauf man ihn für den halben Preis einlässt. Eine halbe Stunde später kommt auch Lucky auf das Gelände, irgendwie gauzes es geschafft umsonst herein zu kommen.
Hinter der Bühne stehen interessante Roteichen, die ich ablichten will, ein älterer Mann kommt auf mich zu und erzählt mir etwas über diese Bäume. Mit ihrem Holz wurden Schiffe gebaut, die nach Afrika fuhren um Sklaven zu transportieren.

Danach treffe ich Jerlaine, den Enkel der Gründerin des Festivals. Er spricht viel über die Hintergründe des Festivals und der Gullah-Kultur und erzählt uns von einem überraschenden Detail der Sklavengeschichte. Zur Zeit als die ersten Sklaven mit den Schiffen in Charleston eintrafen, war der Großteil von South Carolina sumpfiges, undurchdringliches Gebiet. Eine große Gruppe von Afrikanern wurde hierher gebracht und, warum auch immer, nie zu Sklaven gemacht. Die Hitze, die Moskitos, die hohe Luftfeuchtigkeit und die wilden Tiere mögen dazu beigetragen haben, dass die Sklavenhändler nie versucht haben, wieder in dieses Gebiet vorzudringen, um sich diesen Menschen habhaft zu werden.

USA – East meets West

7. Mai 2014

Nach ungefähr drei Stunden Schlaf piepst der Alarm um 3:45 Uhr. Kurzes Frühstück, Ei, Marmelade, Tee. Am Bahnhof steht mein Zug nicht auf der elektronischen Anzeigetafel und auch auf Gleis 2 schweigt das über mir schwebende Display. Der Zug steht schon bereit, jedoch ist es nicht RB 4480, wie es mir meine Bahn-App laut Reiseplan sagt, sondern RE1/RB 44, so die Leuchtanzeige an den Waggons. Ich habe ein kurzes Delhi-to-Agra-Train-Station-Déjà-vu und komme mir vor wie in Indien, nur dass mir hier niemand gaunermäig eine andere Fahrkarte verkaufen will. Das Fahrtziel ist Mainz und Mannheim liegt ja auf dem Weg. Ein Schaffner ist nirgends zu sehen, also steige ich ein. Wird schon stimmen. Ohne eine Durchsage und ohne Vorwarnung rollt die Bahn leise aus dem Bahnhof, immerhin auf die Sekunde pünktlich. Jetzt hätte ich eigentlich Zeit, Schlaf nachzuholen oder zu lesen, aber ich bin viel zu aufgeregt. Ungefähr die gleiche Entfernung von zu Hause, die ich am vergangenen 2. September nach Osten zurückgelegt habe, werde ich heute nach Westen antreten. Mein erster Besuch in den Staaten, mein erster Besuch bei meiner Schwester, die seit 10 Jahren mit ihrem Partner in der Nähe von Fort Myers in Florida lebt, mein erster Flug über den Atlantik. Ich bin total gespannt, was mich dort erwartet und was ich erleben werde. Diesmal nicht „indisch“ mit Rucksack und fast zeit- und planlos in 6 Monaten, sondern mit Koffer, geplantem Anfang und Ende in 6 Wochen!

Am Flughafen klappt alles reibungslos wie am Schnürchen, bis ich zum Security Check-In komme. Der Inhalt meines Rucksackes erregt Missfallen. Der Mitarbeiter am Ende des Bandes ruft zu seinem Kollegen: „He. Wilhelm! Wo muss ich checken?“ Mein Namensvetter, vom Aussehen und Akzent her tippe ich auf jüdischen Einschlag, zeigt auf meinen Rucksack: „Ganz unten“, dann lächelt er mich freundlich an. Sein Kollege und ich wühlen in meinen Habseligkeiten, bis er zwei verdächtige Gegenstände findet, meine Solartaschenlampe sowie den Blue-Tooth-Lautsprecher. Gemeinsam gehen wir in einen kleinen Raum, dort warten wir, bis die Kollegin kommt, die den Lautsprecher auf Sprengstoff prüft. Unterdessen kommen wir ins Gespräch, ich erzähle von meinem Sabbatical, was er ganz toll findet. Dann führt er mich wieder aus dem Raum, weil die Kollegin noch nicht da ist. „Sorry, es dauert noch, wir haben heute nur eine Kollegin, die den Test durchführen darf. Sie können ja solange beim Gepäckcheck zuschauen, da geht es bei uns meistens ganz lustig zu.“ Ich beobachte das Treiben ne Weile zu, alle sind sehr relaxed und lachen viel miteinander. Endlich kommt die Vollstreckerin und macht den Test. Mehrmalige Entschuldigung für die Verzögerung und dann darf ich gehen. Das Boarding ist ebenfalls ganz locker, jeder Bereich im Flieger wird separat aufgerufen, nachdem die Premium-Gäste sowie Armeeangehörige zuerst eingestiegen sind. So gibt es kein Drängeln und kürzere Wartezeiten. Der Airbus ist ungefähr zu vier Fünftel besetzt, wodurch Platz neben mir leer ist und ich meine Ruhe habe.