Mandrem 20.1.2014 – The worst case? Super-GAU? Oder Hans im Glück?

Es ist der 20. Januar und ich wache aus einem sehr tiefen Schlaf auf. Es ist noch früh, auch Tanya wacht auf der anderen Seite des Raumes auf. Ich höre wie sie erschreckt etwas ruft und dann ihre fehlende Tasche beklagt. Sie geht in den Vorraum und nun höre ich sie schreien. Ihr großer gepackter Rucksack ist nicht mehr da. Ich folge ihr und trete vor das Haus. Unten an der Treppe liegen Dinge verstreut, die mir gehören. Während ich noch belustigt darauf schaue, weil ich denke dass der Hund, der ab und zu im Kindergarten ist, dahinter steckt, meldet sich mein Verstand wie aus einem Nebel. Wie? Was ist mit Tanyas Rucksack? Plötzlich werden meine Beine schwer und mein Hirn fühlt sich an wie Blei, weil mir langsam dämmert was hier los ist! Scheiße, wir wurden beklaut! Wie konnte das passieren? Was ist da passiert? Ich lasse den letzten Tag Revue passieren:

Wieder stehe ich früh auf, um im Dunes zu fragen, ob es eine Bootsfahrt zu den Delphinen gibt. Leider nein. Dafür genieße ich ein Frühstück zusammen mit Raquel, eine Dänin die dort öfters anzutreffen ist und immer eine große Hundeschar unter ihrem Tisch hat. Ich erzähle von meinem geplanten Trip nach Palolem. Eigentlich könnte ich nach dem Frühstück gleich los. Aber dann setzt sich der Gedanke fest, dass heute Sonntag ist und deshalb vermutlich viel Verkehr auf den Straßen sein wird (das war und ist ein selten dämlicher Gedanke, da in Indien die Straßen immer voll sind….).

Dann geschieht etwas sehr seltsames. Während unseres Frühstückes landet an unserem Tisch auf dem Holm der Holzumrahmung des Restaurants ein Greifvogel. Eine Art Milan, Brahminy Kite nennen in die Angestellten, sitzt also da und beäugt  mich und Raquel, aber hauptsächlich mich. Nun, er wird es wohl auf mein Frühstück abgesehen haben. Ich kann meine Hand langsam annähern, den Vogel stört das nicht. Abwechselnd versuche ich es mit Brot, Omelette oder Gemüse, jedoch würdigt der Milan das Essen keines Blickes. Meine Hand ist direkt vor seinem Schnabel und er schaut mich nur an…. Eine halbe Stunde vergeht und der Kite sitzt immer noch da, auch wenn andere Restaurantgäste oder die Angestellten kommen um ihre Bilder zu schießen. Immer wieder frage ich den Vogel, was er von mir will und warum er mich so eindringlich anschaut….

Nachdem ich beschlossen habe erst morgen nach Palolem zu fahren, nutze ich den Tag noch zum Shoppen in Arambol, wo ich sowieso noch hinmöchte. Am Abend findet außerdem ein interessantes Konzert statt. Davide Swarup aus Italien, den ich zwei Tage vorher im beim Erdbeerlassi kennengelernt habe, erzählt mir davon und lädt mich ein. Er spielt Hang Drum, sein Begleiter die Kamancha, eine Urform der Violine.

So packe ich nach dem Frühstück meinen Roller und den Geldsafe, den ich unter der abschließbaren Sitzbank ordentlich verstaue. In Arambol kaufe ich noch ein paar Geschenke und Kleidung (obwohl ich keine brauche…). Meinen kleinen Rucksack mit Kamera, E-Book usw. lasse ich im Kindergarten, denn abends will ich vor dem Konzert noch zum Drum Circle am Beach – „…it’s a must“, meint Davide. Der Abend wird dann wunderschön, tanzende und trommelnde Menschen am Strand, danach das Konzert mit himmlisch schönen Klängen, so schön dass ich beschließe alle drei CD’s die Davide anbietet zu kaufen. Ich habe nicht genügend Geld dabei und muss erst zu meinem Roller, um aus dem Safe Geld zu entnehmen. Zum Abschluss bekomme ich von Davide noch eine herzliche und feste Umarmung. Anschließend gehe ich noch zum Shree Ganesh Restaurant, das mitten in Arambol an einer Kurve liegt. Ein kleines zur Straße hin offenes Restaurant, in dem fast jeden Abend spontane Jam Sessions stattfinden. Heute sind sehr viele Musiker da und es herrscht eine ausgelassene Stimmung. Zu Hause angekommen, parke ich den Roller und zögere. Was mache ich jetzt mit dem Safe? Ach, ich lasse ihn im Roller. Mein nächster Gedanke ist im Nachhinein ein warnender. ‚Besser ich nehme den Safe aus dem Roller, falls Diebe (!) kommen.‘ Bevor ich mich schlafen lege, schiebe ich den Tresor in den Rucksack zu den anderen Wertsachen. Die Haustür im Kindergarten war nicht abgeschlossen, Tatjana und die Tochter von Natascha schliefen schon. Okay, Natascha müsste ja auch bald kommen, vermutlich hat Tatjana deshalb offen gelassen. Also lasse ich auch offen, damit sie ins Haus kommt. Der letzte fatale Fehler in der Kette der Ereignisse, den Natascha kam in dieser Nacht nicht nach Hause – andere Geschichte…

Als ich tags zuvor wegen des anstehenden Besuches mein Zimmer räumen musste, hatte ich meinen Reisetresor im Zimmer meiner ‚Chefin‘ nicht wie üblich mit der langen Kette am Fenstergitter gesichtert. Ja Mensch, wie sieht das denn aus, du darfst bei jemanden übernachten und schließt in dessen Raum deine Sachen an eine Kette? Ne, da käme ich mir dämlich vor. Jetzt bin ich schlauer und stehe ganz schön dämlich da. So viele Umstände, die zusammen kamen, dass mein Safe dort war, wo er geklaut werden konnte und eventuell wollte der Kite mir gestern nur sagen, ich solle doch am Sonntag fahren…? Ja? Nein?

Das alles kommt mir so nach und nach hoch. Zunächst habe ich keine Ahnung, was ich jetzt machen sollen. Irgendwie bin ich verdammt ruhig, ich tobe nicht, ich schreie nicht, ich jammere nicht. Wir verständigen Natascha und fahren gemeinsam nach Arambol zur Polizei. Dort wird alles sehr verständnisvoll, jedoch handschriftlich aufgenommen. Als der Beamte die Liste mit meinen fehlenden Gegenständen sieht, zieht er die Augenbrauen hoch und schüttelt sorgenvoll den Kopf. „We cannot write down that you have been stolen.  Because of the Passport there will be an investigation. That will take two weeks or more! Just say you lost it. That is better, believe me!“ Hallo, mein Flug nach Tel Aviv geht nächste Woche und ohne Kreditkarte, kann ich auch nicht umbuchen. Auch der Rückflug nach Stuttgart ist schon unter Dach und Fach. Also gut, dann habe ich die Sachen eben verloren. Ich frage den Beamten, ob ich mit der Passkopie und einem Schreiben der Polizei außer Landes komme. Er lächelt nur müde. „You need a new passport and you have to go to our consul in Panjim!“ Da dämmert mir, dass das alles jetzt ganz eng wird. Für den Antrag des neuen Passes benötige ich das Schreiben der Polizeibehörde und zwar getippt. Der Beamte erklärt mir, dass er in Arambol jeweils nur zwei Stunden arbeitet und das Schreiben im Hauptbüro in Pernem erstellt wird. In drei Tagen könnte ich es abholen. „Three days? Maybe that’s too long!“ „Okay, I close my office here in half an hour and at 11 a.m. I will be in Pernem. Come there!“ Punkt 11 bin ich natürlich dort, habe ja zum Glück meinen Roller. Der Beamte verspätet sich um eine halbe Stunde. Er sieht mich auf der Wartebank und meint ganz kurz „One minute!“. Es werden dann 10 Minunten, aber dann weist er einen Angestellten an für mich das Verlustschreiben zu tippen und zwar sofort. Kurze Zeit habe ich das Ding in der Hand. Nun düse ich zurück nach Mandrem und setze mich ans Internet um mit dem Konsulat zu telefonieren. Eine nette Dame erklärt mir, dass ich eine Passkopie, neue Passfotos und ein Schreiben der zuständigen Polizeibehörde brauch. Gut, Passbilder. Okay, bekommen wir auch noch hin.