Puri 14.11.2013 – 18.12.2013

Puri Memories

Zunächst sind wir für ein paar Tage in einem ganz einfachen Guesthouse mit Balkon und Blick aufs Meer, aber leider auch auf die Müllkippe hinter dem Gebäude, was mir überhaupt nicht gefällt. Nachdem meine Sachen verstaut sind, gehe ich eine Runde spazieren. Mir kommen viele Erinnerungen an damals und ich klappere erst einmal die Orte ab, die ich kenne und treffen Menschen, die sich an mich erinnern. Apana, der am Strand Partys organisiert und einigermaßen gebildet ist, Fayaz, mein Schmuckverkäufer aus Kashmir mit dem ich immer böse Witze reiße, Bayna und Lalah vom Pink House, in das ich bald umziehe, Debu vom Honey Bee mit dem leckeren Brown Bread und den unglaublich schmackhaften Pizzen (Eggplant-Pizza! Yam Yam Yam!).

Am Puri Beach

Oft gehe ich an den Strand und beobachte das Treiben, wenn die Fischerboote ankommen. Mit viel Schweißarbeit werden die Boote an den Strand gezogen, die heftige Brandung verlangt dabei den Männern alles ab. Sobald das Boot gesichert ist werden die Fische, meist Sardinen, aus dem Netz auf ein Tuch geschüttelt. Während ein Teil der Bootsmannschaft sich darum kümmert, das Netz für den nächsten Fang bereit zu machen, kommen die ersten Käufer und dann wird versteigert. Ein Netz Fische kostet im Durchschnitt 1 000 Rupees und es wird heftig gefeilscht, teilweise sogar laut gestritten, wer das Angebot mit dem Zuschlag gemacht hat. Die Fische werden dann ein paar Meter weiter auf den Sand geschüttet, wo schon Trägerinnen bereit sitzen, um den Fang in Körbe zu füllen, die sie auf ihren Köpfen vom Strand zu den bereit stehenden Fahrzeugen (Scooter! ) transportieren – aufrecht und anmutig! Ich beobachte eine zierliche Frau, schätzungsweise mein Alter, die eine Kiste von 80 x 50 x 40 Zentimetern, bis über den Rand mit Fischen gefüllt, auf ihren Kopf hieven lässt und dann schnellen Schrittes durch den tiefen Sand davoneilt, scheinbar mühelos!
Einer der Käufer kauft den Fang von mehreren Booten auf und es dauert fast eine Stunde bis alle Fische bei den Fahrzeugen sind, am Ende tragen auch einige Männer die Körbe und Kisten auf ihren Köpfen. Gut, die können das also auch.

Der Puri Beach wird hauptsächlich von indischen Familien besucht, häufig sieht man aber auch große Gruppen junger Inder und Inderinnen. Der Ablauf ist immer sehr ähnlich, man geht ans Wasser, bis zumindest die Füße im Meer sind, dann nimmt man eine Hand voll Wasser, gießt es nach hinten über den Kopf, trinkt einen Schluck und berührt Brust, Stirn und Mund. einmal oder mehrmals hintereinander. Anschließend kommt das obligatorische Foto mit der Brandung im Hintergrund und die ganz mutigen bzw. des Schwimmen mächtigen tollen dann im Wasser. Auf dem Gesichtern spiegelt sich Freude und Glückseligkeit; es tut gut zu beobachten, wie Familienväter mit ihren kleinen Kindern vorsichtig und behutsam in den Wellen spielen. Nicht selten werde ich gebeten mich für ein Erinnerungsfoto ablichten zu lassen. Gerne tue ich ihnen den Gefallen und versuche mein freundlichstes Gesicht zu zeigen.

Immer wieder sitze ich einfach so am Strand ohne die manchmal lästige Kamera und schaue einfach aufs Meer hinaus, genieße den Gesang der Wellen (Puri Waves1) und sehe die Sonne unter und den Mond aufgehen. Das Meer ist sehr stürmisch in diesen Tagen und auch die Bewölkung ist ungewöhnlich dicht. Wir bekommen einen Ausläufer des Zyklons mit, der im Moment in Tamil Nadu auf Land trifft, jedoch im Vergleich zu Phailin dies harmlos ist.

Abends beim Tea Stall am Strand unterhalte ich mich mit Apana über die vielen Verkäufer am Strand, die Perlenketten oder auch einzelne Perlen anbieten. Oft öffnen die Jungs „frische“ Muscheln und zeigen den Kunden die Perle, die noch am Gehäuse „festklebt“. Es ist ein alter Trick, die Muschel ist natürlich nicht gerade eben von einem tauchenden Fischer aus dem Ozean geholt worden und die Perle ist aus Glas, fixiert mit einem Kleber. Immerhin sind die Glaskugeln hübsch anzuschauen, Marktwert ca. 10 Rs! Die Verkäufer am Strand, die Eis, Essen, Tee, Ballons, Hüte oder Kamelreiten anbieten sind zwar nicht ganz glücklich über diese Betrügereien, weil es zunehmend das gesamte Geschäft am Puri Beach kaputt macht, mischen sich aber nicht besonders ein. Andererseits wirft Apana den Touries auch Dummheit und Einfältigkeit vor, die glauben, sie können ein Schnäppchen machen und eine echte Perle, frisch gefangen, für den Preis von 400 – 600 Rupien bekommen, nachdem sie den Verkäufer um mehr als die Hälfte herunter gehandelt haben! Man kann so eine Perle einfach nicht für einen Preis von umgerechnet 7 Euro bekommen! Ich stimme ihm zu und trinke dann einen Tee mit ihm.

Pink House

Später beim zweiten Tee setzt sich eine Gruppe griechischer Touristen zu uns und wir verstehen uns auf Anhieb prächtig. Es sind Gregorio, einziger Mann der Truppe und großflächig tätowiert, Mirka, die am besten Englisch spricht, Claudia, die kaum Englisch spricht oder versteht, Aphrodysia, die ruhigste und Dyonisia, das Küken. Sie wohnen alle in „meinem“ Pink House und nachdem ich dorthin umziehe, verbringen wir viel Zeit miteinander, da sie im selben Gebäudeteil direkt neben „meinem Zimmer“ untergebracht sind.

Suntemple Konark

Gemeinsam lassen wir uns von Bayna ein Taxi organisieren, das uns nach Konark zum berühmten Sonnentempel bringt, 35 km von Puri entfernt. Der Tempel ist bekannt für seine kunstvollen Darstellungen mit Motiven aus dem Kamasutra und gehört zum Weltkulturerbe. Leider hat das Bauwerk in den letzten Jahren sehr gelitten, überall sieht das Gestein „angefressen“ aus und mir kommt es so vor, als wäre der Zustand schlimmer als damals bei meinem ersten Besuch. Die am Besten erhaltenen Ausschnitte sind inzwischen hinter frischen Sandsteinblöcken verborgen. Restaurationen im Originalstil erlaubt die UNESCO nicht, was die Bevölkerung von Odisha ziemlich aufregt, denn es gäbe genügend professionelle Restaurierer in Indien, die fähig sind das zu leisten. Einzige Lösung wäre, den Status Weltkulturerbe aufzugeben.
Zusammen gehen wir dann noch im Konark im Sun View Hotel essen, wo schon die Ankündigungen für das Konark-Dance and Sand-Art Festival hängen, das fünf Tage dauert und am ersten Dezember beginnen wird. Sogleich erkundige ich mich beim Manager nach dem Programm und wie man an Karten kommt. So wie es aussieht, werde ich mein Reiseprogramm ändern und meinen Aufenthalt in Puri verlängern!

Künstlerdorf Raghurajpur

An einem anderen Tag besuchen wir mit dem öffentlichen Bus das Künstlerdorf Raghurajpur, wobei nur Dyonisia und Mirka Lust haben mitzukommen. In jedem der ungefähr 120 Häuser, die an ihren Wänden mit den typischen, oft geometrischen Odishi-Mustern reich verziert sind, wohnen Künstler, die in der Hauptsache mythologische Motive auf Palmblättern, Seide oder Baumwolle verewigen. Die Familien in diesem Dorf leben vom Verkauf der Kunstwerke und da in jedem (!) Haus Künstler wohnen, wird man auch in jedes hinein gebeten („Only look, …“), was zunächst etwas nervig ist, aber wir arrangieren uns. Zügig gehen wir durch die kleinen Straßen, weil wir uns erst einen Überblick verschaffen wollen und das verstehen die Einheimischen dann doch irgendwann. Als wir gemeinsam durch und um das kleine Dorf spazieren, haben wir irre viel Spaß (jedoch habe ich leider vergessen, worüber wir immer so viel gelacht haben). Bevor wir gehen schauen wir am Dorfeingang in einen größeren Shop, da man aus diesem einfacher wieder herauskommt, als aus einem Privathaus – so meine Erfahrungen vom letzten mal. Ein schönes, typisches Odishi-Muster auf Seide gemalt (Test mit Feuerzeug, logo!) geht in meinem Besitz über, auch die Mädels kaufen sich ein kleines Souvenir. Zur Bushaltestelle sind es ungefähr 15 Minuten zu laufen und unser Weg führt auf einer schmalen Straße an Feldern und einzelnen Häusern vorbei. Immer wieder halten uns Gruppen von Frauen auf oder rufen uns zu sich, um sich von uns mit ihren Kindern fotografieren zu lassen. Dann werden die Bilder auf dem Display betrachtet, begleitet von heftigem Gekicher. Irgendwann müssen wir die Fotosession beenden, der Hunger treibt uns zurück nach Puri. Auf der Fahrt zurück mit dem Bus bekommen wir mehr Tuchfühlung mit den Einheimischen als uns lieb ist. Sitzplätze gibt es keine mehr und der Mittelgang ist eigentlich auch schon überfüllt. Trotzdem werden wir in den Bus hineingeschoben und nach uns steigen noch einige Inder zu. Ohne dass ich etwas dagegen tun kann, werde ich allmählich weiter bewegt, mitunter stehe ich nur auf einem Bein, das andere bekommt gerade eine kostenlose Akkupressur. Kurz vor dem zentralen Busbahnhof bekomme ich mein Bein wieder zurück und mein eingeschlafener Arm, der an einer Halteschlaufe hängt, kribbelt mit den Ameisen auf dem Boden und die Wette. Auch Mirka und Dyonisia wurden gut durchgewalkt und durchgeknetet, aber trotzdem geht es allen gut. Im Pink House haben wir dann den anderen viel zu erzählen und gemeinsam lachen wir über unseren rundum gelungenen Tag.

Chilika-Lake

Vierzig Kilometer südlich von Puri liegt der Chilika-Lake, der mit einer Wasserfläche von über 600 qkm die größte Brackwasserlagune Asiens bildet und in der Monsunzeit auf fast das doppelte anschwellen kann. Die Lagune, in der sich Millionen von Zugvögeln sammeln, ist durch die Sandbank Rajhansa, die sich über 60 km von Satapada im Norden bis nach Rambha im Süden erstreckt, vom Meer getrennt. Im Chilika-Lake leben auch die kleinen, sehr seltenen Irrawaddy-Delphine, die ich natürlich gerne sehen würde. Also plane ich, einen Abstecher dorthin zu machen. Meine Griechen waren schon gemeinsam dort, weshalb ich andere Leute zum Mitfahren suchen muss. Alleine macht es weniger Spaß, außerdem würde ich gern die 1 000 Rupees für die Taxifahrt mit anderen teilen.
Im Pink House spreche ich ein deutsches Ehepaar an, das ich gestern schon am Strand gesehen habe. Schnell sind sie von der Idee begeistert und wir beauftragen Bayna ein Taxi zu organisieren, als sich noch Rene anschließt, der uns, ein paar Tische entfernt, deutsch sprechen hörte. Ein weiterer Zyklon ist auf dem Anmarsch, weshalb wir auf Anraten von Bayna die Tour für morgen planen. In Satapada mieten wir uns ein kleines Boot und verbringen dann zusammen einen netten Tag, obwohl wir keine Flamingos zu Gesicht bekommen, die hier um diese Jahreszeit normalerweise auftauchen, aber eventuell wegen des Zyklons einen Umweg geflogen sind. Von den angekündigten, berühmten Irrawaddy-Delphinen sehen wir nur mal kurz zwei Nasen. Unterwegs steigen wir an einem Tempel aus und bekommen eine Puja, ohne dass der Priester nach Geld fragt, was eigentlich inzwischen in Indien nicht mehr selbstverständlich ist. Weiter geht es dann zur Rajhansa Sandbank, wo René und ich in die Wellen des Golf von Bengalen tauchen, während Conny und Lothar am Strand Bilder schießen.

Hanging Around

Keine große Lust weiter zu reisen, keine Lust irgendwas zu unternehmen, große Lust einfach nur abzuhängen. In der Stadt besorge ich mir zwei Stöcke und fange wieder an zu trainieren. Im Pink House wohnt noch ein Deutscher, der einen Forschungsauftrag hat (mit Einzelheiten soll ich sparsam umgehen…). Es geht irgendwie um die ländliche Bevölkerung und um die Filmwelt… Was er zu erzählen hat ist immer sehr spannend, man trifft sich hier (Pink House) und da (Peace Restaurant, Z-Hotel) zum Frühstück oder Diner. Ansonsten hänge ich mit den Griechen herum, sehe ab und zu Rene, Conny und Lothar. Das Konark Festival beginnt in ein paar Tagen und ich besorge mir einen Festivalpass. Wieder muss ich Leute suchen, die mitgehen wollen, alleine ist zu teuer – jedesmal 35 km hin und wieder zurück. Conny und Lothar wollen gerne mitgehen, aber eben nicht an jedem Tag.

Konark Dance and Sand Art Festival

1.12.

Mit meinem Festivalpass in der Tasche gehe ich in verschiedene Restaurants und spreche Leute an. Im Pink House habe ich dann Glück und treffe Raku, eine Frau aus Litauen, die eigentlich nur auf Stippvisite hier ist. Raku will weiter nach Bangladesch fliegen und ist von der Idee ganz angetan mit zu dem Festival zu gehen und noch etwas indische Kultur mitzunehmen. Der Eintritt ist quasi frei, da ich ja die Pässe von Conny und Lothar habe, die aber erst in zwei Tagen mitkommen (die beiden sind für ein paar Tage nach Bhubaneswar).
Rene hat mir seinen Rickshaw-Wallah Basu empfohlen und wir verhandeln mit ihm. Zwar ist seine Rickshaw im Moment nicht fahrbereit, aber ein Freund leiht ihm seine und so fahren wir am Nachmittag zu viert zuerst zum Chandrabhaga Strand, um den Sandkünstlern zuzusehen, die hier bei der parallel zum Konark Dance Festival stattfindenden internationalen Competition ihr Können zeigen. Über 40 Künstler  messen sich jeden Tag mit einem neuen Thema untereinander, das jeweilige Motto wird morgens bekannt gegeben, abends kommt die Jury zur Bewertung und am nächsten Morgen werden die Kunstwerke wieder zerstört um die neue Herausforderung anzugehen. Eine Amerikanerin, ein italienisches Paar, ein Kanadier und ein Österreicher bilden die internationale Fraktion, der Rest sind Inder, in der Mehrzahl aus Puri oder Bhubaneswar, außerdem ist auch eine Gruppe von Frauen aus Puri am Start!

Thema am ersten Tag:
„SAVE OUR WORLD HERITAGE!“

Hier sind die Inder ganz klar im Vorteil, wenn sie die unzähligen, kunstvollen Tempel und Moscheen als Motiv wählen und so detailgetreu wie möglich aus Sand erschaffen. Unter dem Motiven finder man den Taj Mahal, den Sun Temple, den Jagannath Mandir in Puri und die alle wichtigen Gottheiten, allen voran natürlich Lord Jagannath mit seinem Bruder Balbhadra und seiner Schwester Subhadra. Bei den Westlern findet man den Eiffelturm, das Monument Valley (mit Profilen indischer Götter), den Wiener Dom und die berühmte Grafik von Leonardo da Vinci. Am häufigsten sieht man Lord Jagannath in verschiedenden Variationen. Jeder Künstler hat ca. 25 qm zur Verfügung und einen Wasseranschluss, um den Sand zu wässern, Helferinnen stehen hierfür mit Schläuchen und Sprühpumpen bereit. Im „österreichischen Sektor“ bleibe ich etwas länger und unterhalte mich kurz mit Johannes Sebastian, dem Künstler. Er hat gerade ein paar Minuten Zeit und klärt mich etwas über die Sache mit dem Sand auf. Normalerweise haben die internationalen Künstler in Konark keine Chance zu gewinnen, weil der Sand hier so verwendet wird, wie er ist, und nicht wie üblich vorher mit einem bestimmten Anteil Wasser maschinell gepresst wird. Die Nicht-Inder sind eigentlich nur dazu da, dem Festival den internationalen Anstrich zu verleihen, nun ja nicht nur. Schon am ersten Tag gibt es wundervolle Arbeiten zu sehen, ein Künstler aus Puri hat für seinen Entwurf versucht, alle möglichen Bauwerke, die als Weltkulturerbe gelten, zu vereinen. Das Ergebnis sieht sehr interessant aus, an manchen Gebäuden sind Torbögen zu sehen. Johannes zuckt lächelnd die Schultern und schüttelt nur den Kopf, als ich ihn später frage, wie die Jungs das mit dem Sand so hinbekommen. Um halb sechs fahren wir weiter zum Festgelände nach Konark und wir staunen nicht schlecht. Alle Straßen und Grünanlagen sind bunt erleuchtet, in den Büschen und Bäumen hängen farbige Lichter, Girlanden und Lampions. Basu macht große Augen, als ich ihn mitnehme, denn ich habe ja noch einen dritten Pass, der gerade nicht gebraucht wird. Er sitzt später mit mir mitten vor der Bühne, wo wir einen tollen Blick auf den Sun Tempel dahinter haben und die Bühne und die ganze Kulisse drumherum optimal sehen. Immer wieder nimmt er mich in den Arm und drückt mich ganz fest. ‚Thank you brother, thank you!‘ Er hat seit Jahren schon so viele Besucher hierher gefahren, aber heute ist Basu zum ersten Mal selbst Zuschauer!
Das Programm ist immer zweigeteilt, zwei verschiedene Gruppen treten mit ihren Darbietungen auf und tanzen jeweils ein längeres und ein kürzeres Stück. Meist geht es um Geschichten von Shiva oder Rada und Krishna, auch Lord Jagannath ist ein Thema, was vom hiesigen Publikum wohlwollend aufgenommen wird.

Vor dem ersten Programmteil spielt das musikalische Ensemble ein kurzes Stück, das uns mit der kunstvollen Beleuchtung, dem Anblick des Suntemples und der festlichen Atmosphäre in eine märchenhafte Stimmung versetzt (Konark Dance and Music Festival).
Als Auftakt gibt es einen Kathakali-Tanz, der aus Kerala stammt, anschließend zeigt eine Nachwuchsgruppe mit teilweise sehr jungen TänzerInnen ihr Können; nicht schlecht, aber für meinen Geschmack zuviel Akrobatik und zu wenig Tanz. Doch dem Applaus nach scheint es den Zuschauern zu gefallen.
Die Kulisse ist einmalig, der Sonnentempel ist dezent beleuchtet und die Tänzer, die manchmal von der Rückseite der Bühne auftreten, scheinen direkt von ihm her zu kommen. Die Jungs, die für die Lightshow verantwortlich sind, verstehen ihr Handwerk, besser als die anschließende Odissi-Gruppe, die technisch gut ist, aber langatmige Parts im Programm haben und irgendwie auch herzlos rüber kommen. Kurz vor Ende geht verlässt Basu die Vorstellung, um seinen Freund mit der Rickshaw zu suchen. Als wir eine halbe Stunde später am Ausgang abgeholt werden, strahlt uns Basu sehr verdächtig mit glasigen Augen an und ist sehr ausgelassen. Auch der Fahrer muss was geraucht haben… na das kann ja heiter werden. So spät am Abend ist es ganz schön frisch, es zieht gewaltig auf der Rückbank. Zum Glück hat Basu ein paar Decken dabei in die wir uns hüllen können. Basu sitzt vorne neben dem Fahrer, der sich immer an der Mittellinie orientiert und singt lautstark. Erleichtert stelle ich fest, dass kaum Gegenverkehr unterwegs ist und auch Raku ist entspannt genug drauf, um die Situation so zu nehmen wie sie ist. Notfalls werde ich nach vorne in den Lenker greifen, sollte es zu brenzlig werden. Auf halber Strecke werden wir an einer Kreuzung von zwei Polizisten angehalten. Jetzt gibt es wohl Ärger, denke ich. Es folgt eine lautstarke Unterhaltung, Basu muss sich zu uns nach hinten setzen und einer der Polizisten nimmt neben dem Fahrer Platz. Was gibt das jetzt? Die Hand vor dem Mund, um das Lachen zu unterdrücken, reckt Basu einen Daumen hoch um uns zu bedeuten, dass alles in Ordnung ist. Eine viertel Stunde später steigt der Polizist wieder aus. Wir fahren weiter und nach ein paar Metern prusten wir alle vier los, auch die Jungs dachten an Ärger, dabei wollte der Beamte einfach kostenlos nach Hause!

2.12.

Am nächsten Morgen mache ich mich wieder auf die Suche nach Mitfahrern, habe aber als Alternative schon mal überlegt mir einen Scooter zu mieten. Im Z-Hotel, wo ich öfters ein langsames Frühstück genieße, treffe ich Ildiki, eine Ungarin, die in Richtung Konark muss, jedoch nicht zum Festival. Für ein Taxi hat sie nicht genug Geld, aber als sie hört, dass ich eventuell einen Scooter nehme, macht sie den Vorschlag die Kosten zu teilen und bittet mich sie beim Rangers Resort auf halber Strecke abzusetzen. Rangers Resort? Irgendwie hört sich das bekannt an, ich komme bloß nicht drauf woher…

Okay, ab um die Ecke zum Rollerverleih, Anzahlung, packen, volltanken und los geht’s mit Ildiki on the road! Links fahren ist kein Problem und die überlebenswichtige Hupe finde (und brauche!) ich ganz schnell. Gemütlich tuckern wir mit 50 Stundenkilometern über die gut ausgebaute Straße. Ach, ist das ein Spaß! Den Wind in den Haaren (!), die vorbeiziehende Landschaft, die Leute, die uns lachend zuwinken, überholende Biker, die ab und zu eine Weile direkt neben uns her fahren (‚Eh cool, which country? Name? Name? Where going?‘) und ein bisschen Nervenkitzel, wenn die Fahrbahn plötzlich enger wird (manchmal kommt der Gegenverkehr halt mehrspurig, bin ja nun ein kleiner Scooter…).

Wir kommen im Rangers an und auf einmal dämmert’s mir! Hier war ich mit Mehatab, Ryan und Sidd damals am Strand, anschließend gab’s ein Konzert auf einer Wiese unter freiem Himmel!
Sanjay, der Besitzer, erinnert sich sogar daran. Ich bin wie elektrisiert und erfahre dann, was Ildiki hierherführt.
Seit drei Jahren organisiert das Rangers Resort ein internationales Surffestival und Ildiki soll Fotoshootings für die Website, die Flyer und die Ankündigungsplakate machen. Sanjay lädt mich zu einem Tee ein und ich lerne dabei die anderen Gäste und Volunteers kennen. Da ist Marc aus Antibe, sein Freund Eric, ein Lichtkünstler aus Paris, dessen Freundin Tanya, eine Aktionskünstlerin aus Sibirien und Marina, Fotografin und Webdesignerin, ebenfalls Sibirien. Es ist erst elf Uhr und somit noch ewig viel Zeit, um im Rangers eine Weile abzuhängen und sich mit den Leuten anzufreunden. Schnell fühle ich mich wohl und unterhalte mich viel mit Marc und Eric, die anderen sind am Arbeiten und Vorbereiten. Der Nachmittag vergeht wie im Flug und ich möchte so langsam los, um die Sandart bei Tageslicht sehen zu können. Spontan entscheiden sich Eric, Marina und Tanya mit aufs Festival zu gehen (meine „Freikarten“ kommen wieder zum Einsatz) und wir verabreden einen Treffpunkt. Ab geht’s auf meinen Scooter nach Konark! Heutiges Thema: „SAVE THE WATER!“. Erneut haben die Künstler interessante Skulpturen geschaffen, wobei einer aus Bhubaneswar meiner Meinung nach den Vogel abgeschossen hat. Sein Entwurf ist ganz schlicht. Eine fast nackte Ebene mit Rissen und darauf zwei vertrocknet aussehende, dreißig Zentimeter hohe Baumstümpfe, einer davon mit einem Loch in der Mitte, durch das man durchschauen kann. Darunter steht geschrieben: „NO GREEN WITHOUT WATER!“
Die Botschaft ist klar und für jeden verständlich. Mit Prakash, dem Künstler, unterhalte ich mich über die vergangenen und kommenden Themen.
„If you have more of this ideas, I think you’ll win the competition!“
„Oh no Sir, the jury will not understand my art“
Ich glaube Prakash stapelt etwas tief und ich wette mit ihm, dass er unter den besten Fünf sein wird. Ein Inder, der neben uns stand, spricht mich an und lädt mich ein das Dance Festival zu besuchen. Durjoy gehört zum Organisationsteam und reagiert sehr erfreut, als er hört, dass ich schon den Fünf-Tages-Pass habe.
Auf dem Festivalgelände treffe ich ihn dann wieder und er besorgt mir einen guten Platz in der Mitte, wo auch noch Platz für Eric, Marina und Tanya ist.
Die Vorstellungen heute sind allesamt grandios, die Musiker und Tänzer harmonieren perfekt, mehrmals gibt es Szenenapplaus. Sehr gut gefällt mir eine Trommlergruppe, die neben dem Trommeln auch eine choreografische Einlage zum Besten geben. Wir mir scheint handelt es sich um eine rituelle Einlage, die Schritte und Drehungen wiederholen sich in ähnlicher Weise und haben Parallelen zu den indianischen rituellen Tänzen, die ich von Powwows her kenne (Konark Dancing Drummers).
Auf der Rückfahrt mit meinem Scooter mache ich einen Zwischenstopp im Rangers. Die anderen sind schon zurück und alle sitzen am Lagerfeuer. Wir reden bis spät in die Nacht und Sanjay erzählt uns vom Leben in den Dörfern und der sich ändernden Politik in Odisha. Ich könnte noch stundenlang zuhören und Sanjay lädt mich ein im Rangers zu übernachten, aber ich muss zurück nach Puri, um meinen Roller abzugeben und Conny und Lothar die Karten zu bringen. Es ist halb zwei morgens, als ich mich endlich auf den Weg mache. Fast einsam roller ich vorsichtig nach Puri zurück, Kühe stehen mitten auf der Straße, Radfahrer und einzelne Fußgänger tauchen ganz dunkel wie aus dem Nichts auf!

3.12.

Gegen zehn wache ich auf und treffe Conny, Lothar und Rene zum Frühstück. Wir tauschen unsere Erlebnisse in den letzten Tagen aus und beschließen, heute Abend für Konark ein Taxi zu mieten. Danach fahre ich wieder zum Rangers, den Scooter kann ich noch bis fünf Uhr ohne Aufpreis nutzen. Marc und Eric freuen sich, dass ich vorbeischaue. Gemeinsam essen wir zu Mittag und verdrücken einige Chai. Das Essen hier ist köstlich, ohne viel Schnickschnack und der Küchenchef, der aus einem kleinen Dorf in der Nähe stammt, kocht so wie er es auch zu Hause tun würde. Marc würde gerne zum Festival mitkommen und ich biete ihm an, dass er bei uns im Taxi mitfahren kann. Noch nen Chai, bevor es Zeit wird, den Scooter abzugeben.

Die Sandkünstler beschäftigen sich heute mit dem Thema „SAVE THE EARTH!“ und bei vielen sieht man die Verbindung von Kultur und Umwelt. Kunstwerke und Monumente, die beschädigt sind oder unter den Abgasen von Verkehr und Industrie zu leiden haben, Fahrzeuge, die sich neben Monumenten auftürmen… Den anderen gefällt es sehr und die Kameras klicken ohne Ende, bis er Zeit wird, nach Konark zu fahren.
Heute ist es leider ziemlich nervig mit dem Programm, was aber nicht an den Künstlern liegt, sondern an echt miserablen Sound. Jeder Schlag mit den Trommeln tut in den Ohren weh und vibriert unter unseren Hintern. In der Pause gehe ich nach hinten zum Mischpult-Wallah und frage, ob er das Vibrieren nicht hört und eventuell die Trommeln herunter regulieren könne. Aber ne, die Tänzer brauchen das so laut. damit sie den Rhythmus hören können. Ich frage ihn, warum die Tänzer in den letzten Tagen, wo er leiser war, keine Probleme hatten.
‚They need it like this‘
So ein sturer Hund! Während der zweiten Hälfte des Programms treten zunächst Trommler auf, die eine rituelle Choreografie tanzen und dabei einzeln oder gemeinsam in wechselnden Geschwindigkeiten trommeln (zum Glück brauchen die keine Mikros). Das ist der Lichtblick des Abends, aber doch verlassen die Leute reihenweise die Vorstellung! Es scheint noch lauter geworden zu sein. Auch wir haben genug, ich rufe Munna an, damit er uns abholt und am Haupteingang sehe ich Durjoy stehen. Ich steige nochmal aus dem Taxi aus und überquere die Straße. Er nimmt mich lachend in die Arme und fragt, wie es mir heute gefallen hat. Als ich ihm mein Leid klage, reagiert er betroffen und verspricht mir nachzuhaken. Wir lassen uns nochmal zum Sand-Art-Beach fahren und schauen uns bei Flutlicht die Kunstwerke an. Zwischenstopp im Rangers, Marc absetzen und – ja, nen Chai. Marc und Eric schlagen vor, morgen am Strand zu übernachten, alle sind begeistert und ich werde auch gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mitzukommen – und ob!

4.12.

Heute ist der vierte Tag des Festivals, Conny und Lothar haben noch weitere Mitfahrer gefunden, aber ich habe beschlossen wieder den Scooter zu nehmen und zwar längere Zeit. Ich packe warme Sachen für die Nacht ein und ab geht’s zum Rangers. Es ist ein herrliches Gefühl, so absolut frei von Bus, Taxi oder Rickshaw zu sein, zu fahren wann und wohin man Lust hat. Irgendwie habe ich es auch satt, in Puri in den immer gleichen Touristenlokalen herumzuhocken, an den gleichen Geschäften hängenzubleiben und immer die gleichen Gesichter zu sehen, den Strand habe ich auch über… Eine kleine Krise. Ich habe es satt, Tourist zu sein.
Im Rangers sind alle beschäftigt, außer Marc und Eric. Wir planen, was wir für die Nacht alles mitnehmen müssen, kaufen Gemüse, Kartoffeln, Nüsse, Obst und Kekse ein. Der Weg zum Strand führt ungefähr zweieinhalb Kilometer durch den von Phailin zerstörten Dschungel. Bisher gab es einen markierten Weg, der sooft mit Fahrrädern und zu Fuß bearbeitet wurde, dass der Pfad gut zu finden war. Jetzt sieht alles anders aus, mehrmals haben die Leute versucht, den kürzesten und besten Weg zu finden. Jedesmal kamen sie an einer anderen Stelle heraus, sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg! Für uns bedeutet dies rechtzeitig los zu gehen. Falls wir um fünf noch nicht am Strand sind, wird es schwierig. Spätestens um 15.30 Uhr wollen wir starten, Holz für das Lagerfeuer muss ja auch besorgt werden. Ildiki ist noch in Puri zu einem shooting, es ist 15 Uhr und die anderen waren schon unruhig. Wie geplant starten alle zur ausgemachten Zeit, ich werde bleiben, um auf Ildiki zu warten, so machen das Gentleman. Falls es zu spät werden sollte, macht Sanjay den Vorschlag, dass man zu viert mit zwei Bikes drei Kilometer in Richtung Puri fährt. Von dort führt eine Trasse in Richtung Meer, im Dunkeln gut zu finden. Am Strand angekommen müssten wir dann eben einfach so lange nördlich laufen, bis wir auf das Lagerfeuer treffen. Zwei Angestellte vom Rangers würden die Bikes zurück zum Resort bringen. Guter Plan. Aber nicht nötig. Gegen 16 Uhr stehe ich von meinem Platz auf und nehme meinen Rucksack, Sanjay schaut mich fragend an. ‚Ildiki is coming!‘
Ich gehe vor das große Eingangstor, ein Linienbus hält auf der anderen Seite, fährt weiter und Ildiki kommt lachend am Straßenrand zum Vorschein. Perfektes timing, wenn wir uns beeilen sind wir vor Einbruch der Dunkelheit bei den Anderen! Also gut, wir stiefeln los, Lali und Lala begleiten uns. Wir verlieren unterwegs den Weg, wie zu erwarten war. Teilweise folgen wir den Hunden, aber auch sie laufen im Zickzack. Wir sehen die Sonne und hören die Brandung, eigentlich besteht also kein Problem, außer dass es immer wieder undurchdringlich wird und eine Menge umgestürzte Bäume uns behindern. Außerdem gibt es hier und da sumpfige Stellen, die wir der Schlangen wegen meiden sollten. Irgendwann haben wir es geschafft und kommen an, als die Sonne ihre letzten Strahlen zu uns herüber schickt. Die Hunde rennen nach rechts, wir sehen einen Schatten, Tanya ruft und winkt uns zu. Gerade als wir auf ihrer Höhe sind, ruft memand links von uns – ist das Eric!? Ja! Die Gruppe hat sich wohl auf halber Strecke getrennt, weil man(n) sich nicht einigen konnte, wo es lang gehen soll. Wir sind nur einen halben Kilometer nördlich des Lagerplatzes angekommen, der Rest der Gruppe ist gerade mal seit zehn Minuten da. Fix geht es ans Holz sammeln, Eric und Marc machen Feuer und wir anderen kümmern uns um das Zerkleinern der Äste und Zweige.
Endlich brennt das Feuer hoch genug, die Kartoffeln kommen ins Feuer und werden später mit Genuss verzehrt. Geschichten werden erzählt, wir spielen ‚Wer bin ich?‘ oder wir sitzen einfach da, betrachten den Sternenhimmel und hören den Wellen zu. Einfach herrlich, einer meiner schönsten Abende in Indien und um mich herum lauter sympathische und interessante Menschen. Weit nach Mitternacht legen wir uns um das Feuer, mittlerweile ist es spürbar kalt geworden. Die Hunde schlagen immer wieder an und knurren in Richtung Dschungel. Sanjay hat uns erzählt, dass es hier Hyänen, Schakale und Wölfe gibt, keine Ahnung, ob das stimmt. Im Resort hören wir jede Nacht das Geheule der Schakale, die sehr nah an die Umzäunung des Rangers kommen, um nach Nahrungsabfällen zu suchen, bis sie von den unseren Hunden und den draußen herumstreunenden verjagt werden. Aber Wölfe und Hyänen? Irgendwann wird es selbst im Schlafsack zu kalt und wir schlüpfen in ein Zelt, kuscheln zusammen und wärmen uns gegenseitig – viel besser!
Die Hunde und die Morgensonne wecken uns. Zum Frühstück gibt es Wasser und Kekse, danach geht’s ab in die Wellen! Das Wasser ist wohltuend frisch, die Brecher zwischendurch ganz schön kräftig. Bis auf zwei Brandungsfischern sind wir völlig alleine an diesem sauberen, nach beiden Seiten kilometerlangen, hellen Sandstrand. Kurz vor zwölf packen wir ein, es ist sehr heiß und der Hunger ebenso. Vom Strand aus sehen alle Einstiege zwischen den Bäume gleich aus. Welchen Weg nehmen? Okay, wieder mal sind es die Hunde, an denen wir uns (anfangs) orientieren. Natürlich kommen wir nicht weit, der Weg ist versperrt. Marc und Eric kappeln sich mal wieder, die Mädels und ich halten uns heraus, schließlich folgen wir Marcs Vorschlag. Jetzt bei gutem Tageslicht ist die ganze Auswirkung von Phaillin zu sehen. Völlig intakte Gebiete wechseln sich spiralmäßig mit verwüsteten ab. Ein Mordsgerät von Baum mit einer mächtigen Wurzel versperrt uns den Weg. Wir umrunden den entwurzelten Riesen, ducken uns unter ein paar Büschen durch und stehen plötzlich auf einem markierten Pfad! Eine halbe Stunde später bekommen unsere Mägen eine gute Befüllung!

Nach dem Mittagessen fahre ich Ildiki zum Shooting an den Sandart Beach, um zum einen ein paar Eindrücke der Arbeiten festzuhalten und zum anderen in der Hoffnung einige der wuselnden Krabben vor die Linse zu bekommen, die es hier normalerweise im Überfluss gibt, irgendwie sind sie zur Zeit aber kamerascheu. Mit viel Geduld und nach langem Warten haben wir eine Aufnahme im Kasten – zwei Krabben streiten sich um ein frisch gegrabenes Loch! Noch ein paar Bilder bei den Sandkünstlern, heutiges Thema „SAVE THE PLANET!“. Wir treffen noch einmal Durjoy, der darauf besteht, dass ich heute Abend mit ihm Abschluss anschaue.
Ich fahre Ildiki zum Rangers zurück, sie bearbeitet gleich Ihre Aufnahmen und ich düse zum Dance Festival. Alle anderen sind angeblich auch da, aber ich entdecke nur Marina, die gerade am Gehen ist und Tanya; auch Durjoy, Conny und Lothar sehe ich. Die Vorstellungen sind heute ganz prima, der Sound besser!
Am Ende des Programms findet die Siegerehrung für die Sandkünstler statt. Um besser sehen zu können, gehe ich nach vorne, Durjoy steht im Pressegraben und winkt mich zu sich. Alle Künstler stehen auf der Bühne und Preise gibt es für die ersten fünf. Erwartungsgemäß gehen die Nicht-Inder wieder mal leer aus, doch die Überraschung ist perfekt, als der erste Platz nominiert wird: Prakash! Unglaublich – warum gab es keine Wettbüros…? Überglücklich nimmt er den Preis entgegen, einen Blumenstrauß sowie einen Scheck über 10 000 Rupien. Er entdeckt uns im Pressegraben, wir recken die Daumen und Prakash winkt zurück. Anschließend gibt es Siegerfotos und Durjoy schleppt mich an die Bühne, wo die Presse die Bilder schießt.
‚Come, they have to make a picture with you and Prakash!‘
Also gut, Fotos für die Presse, anschließend werde ich noch von einem lokalen Fernsehsender interviewt. Tanya ist immer noch auf ihren Platz. Anscheinend gab es mal wieder Unstimmigkeiten über den Zeitpunkt der Rückfahrt oder so was ähnliches. Sie fragt, ob ich sie mit zurück nehmen kann. Klar doch, jetzt habe ich jemanden, die mir zumindest bis zum Rangers den Rücken wärmt.

6.12.
Nikolaustag. Es ist heiß und niemand hat mir die Schuhe gefüllt, auch die Rute gab es nicht…
Heute morgen habe ich mich entschieden umziehen. Im Rangers Resort kann ich ganz günstig im Zelt schlafen, das Essen kenne ich ja und sofern ich will, gibt es drei Mahlzeiten am Tag. Das Wasser geht erst durch einen Purifier und ist umsonst. Als Gegenleistung darf ich mithelfen oder mir eine Aufgabe suchen. Bevor ich mein Gerödel zu den Surfing Yogis bringe, so der zweite Name des Resorts, fahre ich zu einer Bakery, in der es feinsten Lecker- und Schmeckerli gibt und kaufe eine große Ladung, immerhin ist Nikolausi!
Bei den Yogis sind alle überrascht, niemand hat an Nikolaus gedacht bzw. der Brauch ist unbekannt. Ildiki kennt es von Ungarn, in Russland kennt man das gar nicht und in Frankreich ist der Brauch in Vergessenheit geraten, dafür wird, wie in den Vereinigten Staaten Halloween und Santa Claus gefeiert. Aber das ist eigentlich Wurst, Hauptsache Süßes auf dem Tisch. Vor allem Marina bekommt große Augen und leckt sich die Lippen – Yam, Yam,Yam! Das ist ab nun das ‚Losungswort‘ für alle Arten von Nachtisch. Immer wenn ich ‚Yam, Yam,Yam‘ rufe, kommt Marina angedüst und lunzt was es wohl Leckeres gibt.

Bevor es dunkel wird beziehe ich mein Zelt, breite mein bedcover aus und richte mich so gemütlich es geht in meiner neuen Behausung ein. Leider verlassen uns morgen Eric und Marc, für sie geht es weiter nach Bodh Gaga…
Am nächsten Morgen sehe ich, wie einer der Angestellten beginnt den Zaun, der den Garten des Resorts auf zwei Seiten begrenzt, mit weißer Farbe neu zu streichen. Er schaut mich an
‚Wanna help?‘
‚Of course!‘ grinse ich zurück. Ausführlich erklärt er mir, wie ich vorgehen soll, als hätte ich noch nie in meinem Leben mit Pinsel und Farbe gearbeitet. Aber ich mache ihm die Freude und höre geduldig bis zu Ende zu.
Bewaffnet mit Pinseln und Farbe mache ich mich ans Werk, dreißig Meter Zaun wollen gestrichen werden! Das wird nun jeden Tag meine morgendliche Meditation, Pfosten für Pfosten. Dabei mache ich es mir zur Aufgabe, weder an den Anfang noch an das Ende zu denken. Übungszeit habe ich genügend, denn ich muss insgesamt vier mal über das Holz, bis alles schön weiß aussieht. Geld für Grundierung gibt es keines, Farbe ist billiger, ich soll einfach so oft wie nötig drüber streichen, zum Abschmirgeln gibt es auch nichts! That’s India!

Wenn ich nicht gerade am Zaun meditiere, fahre ich die Mädels zum Shooting, trainiere mit meinen Stöcken oder düse etwas durch die Gegend, um selbst ein paar Fotos zu schießen. Ab und zu muss ich nach Puri (Yam Yam Yam!) um Besorgungen zu machen und auch um mich hin und wieder unters Messer zu legen, da ich oft zu faul bin mich selber zu rasieren. Das kann ich so richtig genießen. Intensiv wird mit dem Pinsel der Schaum aufgetragen, dann kommt die erste Rasur, anschließend wird das ganze gründlich wiederholt. Am Schluss wird mit einem Salzstein die Haut abgerieben, abgerundet wird mit einer Gesichtscreme. Wohlduftend fahre ich dann wieder zu meinen Mädels zurück!

So verbringe ich meine Tage dort, fühle mich geerdet und mit mir verbunden. Abends schauen wir zusammen Filme (Freaks. Samsara) an oder sitzen am Lagerfeuer. Wenn Sanjay hier ist haben wir oft interessante Themen. Natürlich spricht er auch über sein Projekt, das Internationale Surf-Festival (ISF). Dabei geht es in erster Linie um Community, Attachment, Sharing of Experience, Environmental Awareness Joy, Happiness and Good Vibrations.
Zum Beispiel sind alle Arten von Plastik. soweit es geht verboten. Eine Flasche Wasser ist erlaubt und an mehreren Plätzen gibt es dann Stationen, an denen man gereinigtes Wasser nachfüllen kann. Wer gerne Bier trinkt, bekommt einen Becher (80 Rs), bringt man diesen jeweils wieder, ist das Bier jedesmal billiger (-20 Rs).
Alles was man für die Bühne und die Shows braucht wird aus Materialien aus der Umgebung hergestellt, zum Teil mit Hilfe Einheimischer aus den umliegenden Dörfern.
Ein anderes Projekt der „Surfing Yogis“ ist „Walking On Water“, was anderenorts „Stand-Up-Paddling“ (SUP) genannt wird. Das Projekt hat mehrere Aspekte, wie z.B. den gesundheitlichen. Bei diesem Sport, der sehr leicht zu erlernen ist, werden so ziemlich alle Muskeln unseres Körpers beansprucht. Man steht in Schrittstellung, die Knie leicht gebeugt, ständig ist der Körper gezwungen selbst bei nur schwachen Wellen das Gleichgewicht wieder herzustellen. Unzählige Muskelpartien vorführen Mikrobewegungen, für den Körper angeblich effektiver als Laufsport. Der wesentlich wichtigere Aspekt ist ein ökologischer. Im nahe gelegenen Chilika-Lake werden die Besichtigungen zu den Vogelschutzgebieten und zu den Delphinen mit kleinen Motorbooten durchgeführt, eine andere Möglichkeit gibt es zur Zeit eigentlich nicht. An manchen Tagen geht es dort zu wie auf der Autobahn und natürlich bekommt man selten Delphine zu sehen. Sanjay glaubt, noch sei das Ökosystem dort zu retten. Er möchte die um den See herum lebenden Fischer im Stand-Up-Paddling ausbilden und sie zu überzeugen, Touren auf dem See damit anzubieten. Die Fischer hätten ein zusätzliches Einkommen, die Touristen ihren Spaß (und ein beruhigtes „Ökogewissen“) und der See und die Tierwelt könnte sich erholen.
Auf dem Festival treffen sich ebenso internationale Künstler, Musiker, Artisten, Tänzer, Performer und ich bedauere jetzt schon, dass ich nicht dabei sein kann, weil zur Festivalzeit mein Visum abläuft. Man kann eben nicht alles haben.

Nach ein paar Tagen stoßen Sebastian und Miguel, zwei Argentinier, zu dem Projekt dazu. Sebastian ist ein professioneller Filmer, der in ganz Asien unterwegs ist. Miguel ist seine rechte Hand und Mädchen für alles. Für die Homepage wird ein Trailer hergestellt, die Aufnahmen dafür schießen wir am Strand in der Nähe von Konark und Ildi, Marina, Miguel, Sebastian und ich fahren dort gemeinsam mit der Rickshaw hin, selber! Einer der Angestellten fährt abends in Puri Touren und für heute bekommen wir die Kutsche. Schnell noch zwei Surfbretter aufs Dach geschnallt und los geht’s! Wer steuert das Ding? Der Einzige, der schielt, Miguel! Das ist ein Spaß, fünf Goras in einer Rickshaw, die nirgends anhält, um wirkende Fahrgäste zusteigen zu lassen! Ab und zu werden wir natürlich überholt und die Blicke der Fahrer, wenn sie sehen, wen oder was sie da überholen, erzeugen bei uns Lachsalven!
Sebastian erklärt mir geschwind das Stand-Up-Paddling und nach kurzer Zeit stehe ich sicher auf dem Brett und kreuze mit Miguel über eine kleine Lagune ihn und her. Die Mädels und Sebastian schießen Bilder und filmen was das Zeug hält!

Abends sitzen wir zusammen, trinken heißen Tee, schauen Filme oder hören Musik. Zwar müssen Marina und Sebastian teilweise noch arbeiten, weil es einfach soviel zu tun gibt, aber wir haben trotzdem sauviel Spaß und oft ist Sebastian mit seinem Humor und seinem Gute-Laune-Modus der Grund dafür.

An irgendeinem Abend werden wir Zeuge einer rituellen Zusammenkunft. Einige Freunde des Verwalters kommen in das Resort, essen zusammen und beginnen dann zu jammen und zu singen. Den Anlass kann uns niemand so richtig genau erklären, so sitzen wir nebenan und hören zwangsläufig (wegen der Lautstärke) zu:

Ceremony at Rangers1

Ceremony at Rangers2

Mein Geburtstag steht an und die Mädels schlagen vor, den Tag gemeinsam in Puri zu verbringen. Wir starten schon morgens zu dritt auf dem Scooter, Miguel und Sebastian müssen arbeiten. Station Nummer Eins ist das Peace Restaurant, wo es das beste Müsli gibt, danach gebe ich meinen Scooter zurück, denn morgen Mittag mache ich mich auf die lange Reise nach Madikeri. Nach einem kleinen Abstecher in die Stadt zieht es uns zu Debu in die German Bakery, wo ich mir eine leckere Auberginen-Pizza bestelle. Ein indischer Bekannter Marinas setzt sich zu uns und irgendwann bekomme ich nach langem Bitten und Betteln ein Geburtstagsständchen Birthday Songs at Honey Bees     Wir verbringen einen recht lustigen Tag zusammen und essen später im Green Garden zu Abend. Zurück mit der Rickshaw und als Geburtstagsfilm wähle ich mir „The Great Diktator“!
Sebastian hat auch noch eine Überraschung, irgendwoher hat er für mich eine Flasche Fosters besorgt! Yam, Yam, Yam!

Veröffentlicht unter Puri