Israel 29.1.2014 – 18.2.2014

Nach zehn Tagen in Israel geht es mir wie anfangs in Indien: es gibt so viel zu sehen, ich könnte an manchen Orten mehrere Wochen verbringen. Dabei ist Israel ungefähr so groß wie Hessen…

Hier ein kleiner Überblick:

Ich wohne in einem ruhigen Ort namens Kokhav Ya’ir (was man ungefähr mit „Stern, der Licht bringen wird“ übersetzen kann) etwa 35 km nordöstlich von Tel Aviv.

Chronologische Reihenfolge der besuchten Orte

  • die Wüste Negev während stundenlanger Wanderungen (einige Wadis, Oasen, Nationalparks und vor allem den weltgrössten Erosionskrater, den Makhtesh Ramon)
  • die Festung Masada (Weltkulturerbe) bei Sonnenaufgang
  • das Tote Meer (obwohl es „Winter“ ist, war ich natürlich im, besser gesagt auf dem Wasser!)
  • Tel Aviv (mit einer exclusiven privaten Führung unter architektonischen Gesichtspunkten, bei der verschiedenen Einfluesse zu sehen waren, wie z.B. der Baustil der ersten Einwanderer aus Russland in den 1920ern oder der Bauhausstil durch die erste Einwanderungswelle aus Deutschland in den 1930ern)
  • Tel Aviv-Yafo, dort vor allem das Künstlerviertel, den Hafen und das Shimon Peres Peace House mit dem Peace Garden (siehe http://www.peres-center.org/million_hands )
  • eine abendliche Autofahrt durch palästinensische Gebiete (aus Versehen…)
  • Nazareth und dort natürlich die Geburtskirche, nun ja nicht so berauschend
  • Haifa – Bahai Tempel am Karmel Mountain; German Colony; das jüdisch-arabische Viertel Wadi Nisnas
  • Jerusalem I : Jerusalem Israel Museum mit dem Schrein des Buches, den Qumran Schriftrollen – informativ, atemberaubende Geschichte um die Schriftrollen; Blick vom Panoramaweg auf die Altstadt – herrlich, beeindruckend; jüdisch-orthodoxes Viertel Mea Shearim – faszinierend, verstörend
  • Yim Kinnereth (See Genezareth): Tiberias; das Cliff von Mount Arbel – sehr stürmisch durch aufkommenden Wetterumschwung (endlich Regen, der erste in diesem bald endenden Winter); die Taufstelle Yardenit – fröhliche und lustige Menschen von überallher, sehr entspannte Atmosphäre; Brotvermehrungskirche – plötzlich sehr ergriffene Stimmung, Kerzen entzünded; Mount of Beatitudes – zufällig anwesend bei einer französische Messe, anschließend Regenbogen überm Kinnereth;
  • Kapernaum – nette Begegnungen mit Pfauen, Bäume mit gigantischen Ästen, Stamm musste umarmt werden
  • Jerusalem II: Zion Gate; Jewish Quarter – sehr entspannt; Western Wall – unerwartete Erfahrung während einsetztendem Regen an der Klagemauer; Via Dolarosa – netter Spaziergang; Grabeskirche – zu viel, zu düster für mich; Yemin Moshe – ein Viertel mit wunderschönen Steinbauten, Gärten; Ölberg beim Oliv Mountain Cemetry mit Aussicht auf Felsendom; Yad Vashem (Holocaust Museum) – beeindruckend, ergreifend, vor allem die Hall of NamesVieles mehr habe ich gesehen und erlebt. Im Moment fehlt mir die Zeit, alles ausführlich zu schreiben. Statt dessen werde ich Bilder sprechen lassen.
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Mandrem – Die letzten Tage in Indien 25.1.2014 – 29.1.2014

Wenn man in so einer Sache drinsteckt kommt es einem manchmal unglaublich vor, was man ertragen muss. Aber erst das Gute. Mein Engel von Konsul hat mich so früh nach Panjim gerufen, weil er sich wohl schon dachte (übrigens waren meine Passfotos irgendwie verkehrt und der Herr Konsul hat sie noch am PC bearbeitet, als er im Hotel in Mumbai saß, der verdient echt ne Medaille), dass der Rest nicht so schnell erledigt sein wird. Da sitzt dann also so ein Schnösel von Beamter bei der Ausländerpolizei und will erst mal die ganze Story hören. Um aus dem Land heraus zu können, muss ich nachweisen können, dass ich LEGAL im Land bin. Das zeigt normalerweise der Einreisestempel. Nur war der bei mir auf einer Seite im Pass, von der keine Kopie existiert. Du kopierst dir die ersten Seiten von deinem Pass und dein Visa, klar, aber doch nicht den ganzen Pass, Mann. Wo bin ich denn? Okay, meine ich, er soll eben in der Grenzstation anrufen, wozu gibt’s denn Telefone? Ich weiß ja, wann ich angekommen bin.

‚No no, Sir. That’s not so easy as you think. I need the confirmation on paper from the officer from this checkpoint! I send now a fax and hopefully they will read it and response in time.‘

Leider kam ich am einer kleinen Grenzstation an und die haben keinen Computer. Erst mal ein Fax schicken und dann auf Antwort warten (ha, es ist Wochenende und Unabhängigkeitstag, was glaubt der, wann die in Raxalu sich regen?).

Ich melde mich bei Ihnen am Montag.

Ne, Sie geben mir Ihre Nummer und ICH melde mich bei Ihnen (sonst warte ich ewig, bis sich der Herr Beamte meldet)!

Auf der Fahrt nach Mandrem fällt mir ein, dass ich doch ein paar Freunde dort oben in Little Flower habe. In Mandrem setze ich mich erst mal ins Internet-Café. Nummern, ich brauche Telefonnummern! Wahnsinn, Sebastian ist momentan auf Skype online, was nicht oft vorkommt. Meine Story im Schnelldurchlauf. Kurzes Nachdenken. Okay, beide denken wir an Shyam. Sebastian gibt mir seine Nummer. Warte, stop. Sebastian sieht, dass Shyam auf Skype online ist! Er schickt mir den Kontakt und ich rufe auch gleich an! Shyam nimmt sofort ab und versteht meine missliche Lage. Zum Glück gibt es Internet! Ich schicke ihm alle Daten per PN über Facebook und er verspricht mir, heute oder morgen an den Checkpoint zu fahren. Shyam ist völlig entspannt und er klingt als würde er über den Verkauf von ein paar Hemden oder Stoffe in seinem Laden verhandeln müssen.

‚Don’t worry Willy, all will be fine! I’ll do it as soon as possibel! You will get your flight!‘

Er fährt noch Samstag Nacht zum Checkpoint, verklickert denen die Geschichte und schwupps rufen die in Panjim an. Der Eumel, der meinen Fall bearbeitet, sagt mir am Montag morgen, dass es noch nichts neues gibt! Unglaublich! UNGLAUBLICH !!! Ich sage ihm, dass die Grenzstation schon angerufen hat. Ne ne, er braucht das schriftlich und zwar in einem Brief! AARGGHHH, hat der sie noch alle? Ein Brief kommt doch nie im Leben rechtzeitig an! Mir wird es zu bunt und ich greife in die Trickkiste – ich heule los, direkt vor meinem Lieblingsrestaurant, mir ist jetzt alles egal, ich will nur noch RAUS!

‚I lost all things, I have no money, I have no credit cards, I can’t change my flight. Please, please, help me Sir‘

Das hilft etwas.

‚Okay, I look what I can do and call you back‘.

So ein …
Zwei Stunden später ruft er an, ich soll mit zwei Passbildern kommen. Alles wäre in Ordnung. Ab auf den Roller, ab nach Panjim (zum vierten Mal). Dort lässt es mich erst mal warten. Am Ende grinst mich ein anderer Officer ganz stolz an.

‚Your the German, right?. I got the call at Saturday!‘

Anscheinend will er jetzt ein Lob von mir, dafür dass er SCHON vor zwei Stunden die wichtige Informationen an seinen Kollegen weitergegeben hat, die er schon vor zwei Tagen bekam! In mir kocht es noch ein bisschen, aber ich bleibe freundlich, denn das überaus wichtige Papier mit dem Stempel ist noch nicht in meinen Händen! Wir müssen als letzten Schritt zum Polizeichef, zu Herrn Shree Tony Fernándes, ein sehr freundlicher Mensch, der mich nur kurz und verständnisvoll ausfragt. Er singt ein paar mal ‚Ram Ram, Aum Hare Ram‘, als er meine Kette mit dem Aum-Zeichen sieht und hält seine hoch. Herr Fernándes will noch wissen, wo ich hinfliege und fragt mit gespielten Entsetzen

‚You don’t come back to Goa?‘

‚Of course I will come back. I just had bad luck, but I love Goa!‘

Jetzt unterschreibt er mit einem väterlichen Lächeln das Zertifikat, das nicht nur meinen legalen Aufenthalt in Indien bestätigt, sondern auch konstatiert, dass polizeilich nichts gegen mich vorliegt. Ich hab’s also schriftlich, dass ich ein braver Junge bin! Der Humor stirbt zuletzt…
Nun ist mir nach feiern und ich gehe ins nahe gelegene Upper House, das sehr gute Kritiken hat. Ein sehr feines Restaurant mit Bar, halb voll mit betuchten Indern besetzt. Fisch soll es sein und auf der Speisekarte springt mir ‚Fish Portuguese‘ ins Auge. Lecker, sehr lecker sogar! Verschiedene Fischarten in kleinen Stücken auf einem Bett dicker Tomatensauce mit Zwiebeln, buntem Paprika, grünen und schwarzen Olivenringen sowie Ananas, als Beilage Kartoffelbrei (und ein Fosters). Sag ich doch, lecker!

Gemütlich, erleichtert, beschwingt, aber vorsichtig tuckere ich nach Mandrem zurück, packe meinen großen Rucksack, bringe ihn zum Taxistand, kläre noch mal die Abfahrtszeit und trinke noch ein Bier in Dunes, meinem Lieblingsrestaurant in Mandrem. Noch eine Nacht, dann heißt es ‚Tschüß Indien‘!

Palolem 21.1.2014 – 25.1.2014

Wie geplant fahre ich mit dem Roller nach Palolem, bezahlt hatte ich ja im Voraus und der Tank ist nahezu voll. Lothar und Conny hatte ich schon verständigt, die beiden erwarten mich und werden mir helfen. Nach einer Stunde bin ich in Panjim und finde auch relativ schnell das Deutsche Konsulat. Mr. Raikar empfängt mich und ich kann es vorweg nehmen, er ist ein Engel. Ich fülle die Formulare aus, hefte meine neuen Verbrecherfotos an und lege dem Antrag meine Passkopie sowie mein E-Ticket bei. Mr. Raikar verbindet mich mit dem deutschen Botschafter in Mumbai und ich kann endlich in meiner Sprache meine Situation darlegen. Es wird alles daran gesetzt, dass mein Pass rechtzeitig fertig wird, jedoch muss heute noch die Gebühr von 7.500 Rs eingezahlt werden. Nun ja, ohne Geld wird das lustig und die Dame am Telefon hatte alles mögliche aufgezählt, aber nichts von der Gebühr erwähnt. Abishek hätte mir das Geld auf jeden Fall ausgelegt. Wenn ich meinen Flug bekommen möchte, gibt es im Prinzip nur eine Möglichkeit, Geldtransfer mit Western Union. Da ich keinen Pass habe, wird das schwierig. Jetzt muss ich einen anderen Engel in Deutschland wecken, aber die Schalter von Western Union öffnen erst in zwei Stunden. Der Konsul müsste bald los, damit das Geld mit dem Antrag noch heute los geschickt werden kann. Er sieht, wie und was ich mit der Heimat chatte und beruhigt mich.

‚Don’t worry, Sir. I will do it with my money and you will send me later the transaction code per sms, I trust you. It’s all right!‘

Wow! Ich bin erst mal sprachlos, bedanke mich dann herzlich, erledige den Rest. Ich fühle mich total beseelt und gehe dann erst mal was essen. Auf meinem Weg komme ich an einer schönen weißen Kirche vorbei und ich setze mich für eine Weile auf eine Kirchenbank. So sitze ich eine Weile und am Ende gehe ich auf die Knie, bekreuzige mich und bedanke mich für mein Leben. Das kam einfach so über mich und hat mich selbst überrascht. Freier im Kopf und mit Vorfreude auf Lothar, Conny und Steffen schwinge ich mich auf den Scooter.

Die Fahrt in den Süden führt durch wunderschöne Landschaften, sattgrüne Reisfelder, oft umrahmt von Palmen und sanft geschwungenen Hügeln im Hintergrund. Wie aus dem Bilderbuch.
Dann passiert’s. Kurz vor meinem Ziel überholt mich ein Auto, das schon seit Minuten hupend hinter mir her ist. Warum der Fahrer überholen will, obwohl direkt vor mir Autos fahren? Keine Ahnung. Eigentlich habe ich den Impuls das Gas wegzunehmen, aber mein Ego kommt mir dazwischen. Ich bin zwar nur ein Tourist, aber die Kurven den Berg hoch schaffe ich auch mit 50 Sachen, wirst schon sehen. Der Fahrer überholt mich also und kontrollieren zu früh nach links zurück. Dann geht alles blitzschnell, das Auto erwischt mich am Vorderrad und ich komme ins Schleudern. An das was dann folgt, kann ich mich nicht erinnern, nur dass ich dachte ‚Scheibe, nicht fallen!‘ Ich sehe noch wie mein Lenker mal nach links und dann mag rechts quer steht, aber so als wäre ich ein Beobachter. Als ich wieder klar denken kann, kann ich es kaum fassen. Ich sitze auf meinem Roller am Straßenrand und habe den Lenker so fest in der Hand, dass du fast weg tut. Der Fahrer steigt aus und natürlich tobe ich zunächst. Okay, nichts passiert, ich hole tief Luft und bedanke mich abermals für mein Leben!
Am Scooter ist ein kleiner Kratzer an einem Plastikteil, ich mache mit meinem Smartphone Fotos vom Fahrer, vom Schaden und vom Nummernschild. Nach einigem Hin und Her fahren wir zur nächsten Honda-Werkstatt kurz nach Palolem, das Teil kostet 40 Rupien, aber die Verkäuferin besteht darauf, dass der Fahrer mir 50 Rupien gibt, weil ich nochmal gefahren muss, das Teil ist nicht vorrätig.

In Palolem treffe ich mich erst mal mit Conny und Lothar. Schön, Deutsche! So jetzt hole ich mir erst mal zwei Umarmungen ab! Gemeinsam machen wir uns auf die Suche nach Steffens Unterkunft, der Kerl hat ja kein Telefon. Im Sea View wo er laut Email zuletzt war, kennt ihn niemand. Da ich schon einmal hier bin. frage ich nach einer Unterkunft. Die Hütten mit Seeblick sind alle belegt, aber hinten gibt es noch weitere Zimmer und eines ist sogar noch frei. Der Sohn der Vermieterin bekannt mit, dass ich nach einem Steffen suche. ‚Steffen from Germany? He stays in the room opposite of you!‘
In diesem Moment kommt er gerade vom Schwimmen zurück. Steffen steht mit dem Rücken zu mir und ich rufe ihn. Ungläubig dreht er sich um… er freut sich tierisch und ich bekommen noch ne deutsche Umarmung! Sofort geht es mir mehrere Stufen besser. Ich weiß nicht, was es genau ist, aber dieser verrückte Kerl hat eine wahnsinnig positive Energie!

Die nächsten Tage verbringe ich abwechselnd mit meinen drei Deutschen. Sonnen, Baden, fett Essen gehen, guten Rotwein trinken, Canasta spielen, Faulenzen und hauptsächlich Lachen. Steffen und ich verstehen uns blendend und nicht nur einmal habe ich Bauchschmerzen vor Lachen. Von den vielen verrückten Aussteigern ist er auf jeden Fall der Lustigste!

Zwischendurch denke ich natürlich an meinen Pass und hoffe, dass er bis Montag fertig ist. Am Freitag kommt dann der Anruf von meinem Engel aus Panjim. Zunächst verbindet er mich mit dem Botschafter in Mumbai. Leider wird es enge mit dem Pass, falls das Bürgeramt in Heilbronn nicht die Daten meines Originalpasses bestätigt. Sofort düse ich ins Internetcafé, such die Email-Adresse und bitte darum, die Anfrage aus Indien zu bearbeiten. Eine Stunde später sitze ich wieder am Strand, als mich mein Engel anruft. „Heilbronn confirmed! Please come tomorrow to Panjim in my office!“ Er hat den neu ausgestellten Pass und wird im Büro sein (obwohl Samstag ist). Mit dem neuen Dokument muss ich noch zur FRRO, der Ausländerpolizei. Dort muss in meinem vorläufigen Reisepass bestätigt werden, dass ich legal nach Indien eingereist bin (nun ja, die erste Nacht in Little Flower war ja quasi illegal!)

Das bedeutet nun nach vier Tagen wieder Abschied nehmen, denn auf keinen Fall fahre ich die Strecke noch einmal hoch und runter. Nach Mandrem im Norden  muss ich sowieso, um mein Gepäck abzuholen und den Roller zurückzubringen. Außerdem ist es von dort näher zum Flughafen. Schade! So long, Steffen! Good-bye Conny und Lothar!

Mandrem 20.1.2014 – The worst case? Super-GAU? Oder Hans im Glück?

Es ist der 20. Januar und ich wache aus einem sehr tiefen Schlaf auf. Es ist noch früh, auch Tanya wacht auf der anderen Seite des Raumes auf. Ich höre wie sie erschreckt etwas ruft und dann ihre fehlende Tasche beklagt. Sie geht in den Vorraum und nun höre ich sie schreien. Ihr großer gepackter Rucksack ist nicht mehr da. Ich folge ihr und trete vor das Haus. Unten an der Treppe liegen Dinge verstreut, die mir gehören. Während ich noch belustigt darauf schaue, weil ich denke dass der Hund, der ab und zu im Kindergarten ist, dahinter steckt, meldet sich mein Verstand wie aus einem Nebel. Wie? Was ist mit Tanyas Rucksack? Plötzlich werden meine Beine schwer und mein Hirn fühlt sich an wie Blei, weil mir langsam dämmert was hier los ist! Scheiße, wir wurden beklaut! Wie konnte das passieren? Was ist da passiert? Ich lasse den letzten Tag Revue passieren:

Wieder stehe ich früh auf, um im Dunes zu fragen, ob es eine Bootsfahrt zu den Delphinen gibt. Leider nein. Dafür genieße ich ein Frühstück zusammen mit Raquel, eine Dänin die dort öfters anzutreffen ist und immer eine große Hundeschar unter ihrem Tisch hat. Ich erzähle von meinem geplanten Trip nach Palolem. Eigentlich könnte ich nach dem Frühstück gleich los. Aber dann setzt sich der Gedanke fest, dass heute Sonntag ist und deshalb vermutlich viel Verkehr auf den Straßen sein wird (das war und ist ein selten dämlicher Gedanke, da in Indien die Straßen immer voll sind….).

Dann geschieht etwas sehr seltsames. Während unseres Frühstückes landet an unserem Tisch auf dem Holm der Holzumrahmung des Restaurants ein Greifvogel. Eine Art Milan, Brahminy Kite nennen in die Angestellten, sitzt also da und beäugt  mich und Raquel, aber hauptsächlich mich. Nun, er wird es wohl auf mein Frühstück abgesehen haben. Ich kann meine Hand langsam annähern, den Vogel stört das nicht. Abwechselnd versuche ich es mit Brot, Omelette oder Gemüse, jedoch würdigt der Milan das Essen keines Blickes. Meine Hand ist direkt vor seinem Schnabel und er schaut mich nur an…. Eine halbe Stunde vergeht und der Kite sitzt immer noch da, auch wenn andere Restaurantgäste oder die Angestellten kommen um ihre Bilder zu schießen. Immer wieder frage ich den Vogel, was er von mir will und warum er mich so eindringlich anschaut….

Nachdem ich beschlossen habe erst morgen nach Palolem zu fahren, nutze ich den Tag noch zum Shoppen in Arambol, wo ich sowieso noch hinmöchte. Am Abend findet außerdem ein interessantes Konzert statt. Davide Swarup aus Italien, den ich zwei Tage vorher im beim Erdbeerlassi kennengelernt habe, erzählt mir davon und lädt mich ein. Er spielt Hang Drum, sein Begleiter die Kamancha, eine Urform der Violine.

So packe ich nach dem Frühstück meinen Roller und den Geldsafe, den ich unter der abschließbaren Sitzbank ordentlich verstaue. In Arambol kaufe ich noch ein paar Geschenke und Kleidung (obwohl ich keine brauche…). Meinen kleinen Rucksack mit Kamera, E-Book usw. lasse ich im Kindergarten, denn abends will ich vor dem Konzert noch zum Drum Circle am Beach – „…it’s a must“, meint Davide. Der Abend wird dann wunderschön, tanzende und trommelnde Menschen am Strand, danach das Konzert mit himmlisch schönen Klängen, so schön dass ich beschließe alle drei CD’s die Davide anbietet zu kaufen. Ich habe nicht genügend Geld dabei und muss erst zu meinem Roller, um aus dem Safe Geld zu entnehmen. Zum Abschluss bekomme ich von Davide noch eine herzliche und feste Umarmung. Anschließend gehe ich noch zum Shree Ganesh Restaurant, das mitten in Arambol an einer Kurve liegt. Ein kleines zur Straße hin offenes Restaurant, in dem fast jeden Abend spontane Jam Sessions stattfinden. Heute sind sehr viele Musiker da und es herrscht eine ausgelassene Stimmung. Zu Hause angekommen, parke ich den Roller und zögere. Was mache ich jetzt mit dem Safe? Ach, ich lasse ihn im Roller. Mein nächster Gedanke ist im Nachhinein ein warnender. ‚Besser ich nehme den Safe aus dem Roller, falls Diebe (!) kommen.‘ Bevor ich mich schlafen lege, schiebe ich den Tresor in den Rucksack zu den anderen Wertsachen. Die Haustür im Kindergarten war nicht abgeschlossen, Tatjana und die Tochter von Natascha schliefen schon. Okay, Natascha müsste ja auch bald kommen, vermutlich hat Tatjana deshalb offen gelassen. Also lasse ich auch offen, damit sie ins Haus kommt. Der letzte fatale Fehler in der Kette der Ereignisse, den Natascha kam in dieser Nacht nicht nach Hause – andere Geschichte…

Als ich tags zuvor wegen des anstehenden Besuches mein Zimmer räumen musste, hatte ich meinen Reisetresor im Zimmer meiner ‚Chefin‘ nicht wie üblich mit der langen Kette am Fenstergitter gesichtert. Ja Mensch, wie sieht das denn aus, du darfst bei jemanden übernachten und schließt in dessen Raum deine Sachen an eine Kette? Ne, da käme ich mir dämlich vor. Jetzt bin ich schlauer und stehe ganz schön dämlich da. So viele Umstände, die zusammen kamen, dass mein Safe dort war, wo er geklaut werden konnte und eventuell wollte der Kite mir gestern nur sagen, ich solle doch am Sonntag fahren…? Ja? Nein?

Das alles kommt mir so nach und nach hoch. Zunächst habe ich keine Ahnung, was ich jetzt machen sollen. Irgendwie bin ich verdammt ruhig, ich tobe nicht, ich schreie nicht, ich jammere nicht. Wir verständigen Natascha und fahren gemeinsam nach Arambol zur Polizei. Dort wird alles sehr verständnisvoll, jedoch handschriftlich aufgenommen. Als der Beamte die Liste mit meinen fehlenden Gegenständen sieht, zieht er die Augenbrauen hoch und schüttelt sorgenvoll den Kopf. „We cannot write down that you have been stolen.  Because of the Passport there will be an investigation. That will take two weeks or more! Just say you lost it. That is better, believe me!“ Hallo, mein Flug nach Tel Aviv geht nächste Woche und ohne Kreditkarte, kann ich auch nicht umbuchen. Auch der Rückflug nach Stuttgart ist schon unter Dach und Fach. Also gut, dann habe ich die Sachen eben verloren. Ich frage den Beamten, ob ich mit der Passkopie und einem Schreiben der Polizei außer Landes komme. Er lächelt nur müde. „You need a new passport and you have to go to our consul in Panjim!“ Da dämmert mir, dass das alles jetzt ganz eng wird. Für den Antrag des neuen Passes benötige ich das Schreiben der Polizeibehörde und zwar getippt. Der Beamte erklärt mir, dass er in Arambol jeweils nur zwei Stunden arbeitet und das Schreiben im Hauptbüro in Pernem erstellt wird. In drei Tagen könnte ich es abholen. „Three days? Maybe that’s too long!“ „Okay, I close my office here in half an hour and at 11 a.m. I will be in Pernem. Come there!“ Punkt 11 bin ich natürlich dort, habe ja zum Glück meinen Roller. Der Beamte verspätet sich um eine halbe Stunde. Er sieht mich auf der Wartebank und meint ganz kurz „One minute!“. Es werden dann 10 Minunten, aber dann weist er einen Angestellten an für mich das Verlustschreiben zu tippen und zwar sofort. Kurze Zeit habe ich das Ding in der Hand. Nun düse ich zurück nach Mandrem und setze mich ans Internet um mit dem Konsulat zu telefonieren. Eine nette Dame erklärt mir, dass ich eine Passkopie, neue Passfotos und ein Schreiben der zuständigen Polizeibehörde brauch. Gut, Passbilder. Okay, bekommen wir auch noch hin.

Mandrem 8.1.2014 – 20.1.2014

In Trivandrum habe ich zwei Premieren: Pünktlichen starten wir mit einem Zweipropeller (!) nach Bengaluru (mein Umsteigeort schlechthin!), wo wir dann direkt auf dem Flugfeld in den nächsten Flieger steigen! Im Flieger ist es eng, die Motoren dröhnen sehr laut und während des Fluges schüttelt es uns kräftig durch.
Am Flughafen Dabolim nehme ich mir ein Taxi, eine Stunde später bin ich in Mandrem, wo mich Tanya abholt. Leider ist Tanyas Ausstellung schon vorüber. Sie arbeitet nun an einem neuen Projekt in einem Kindergarten für russische Kinder. Falls ich Lust habe, könne ich mithelfen oder etwas Eigenes anbieten, übernachten ist umsonst und wenn für die Kids gekocht wird, darf ich mitessen. Gleich bei der Ankunft lerne ich meinen neuen Boss, Natasha kennen, die eines der drei Zimmer mit ihrer kleinen Tochter Katharina bewohnt. Das zweite Zimmer, in dem Bastelarbeiten vorbereitet werden, darf ich bewohnen. Ein drittes wird von Victor genutzt, einem jungen Russen, der im Kindergarten seine handwerklichen Fähigkeiten einbringt. Das vierte Zimmer ist das Ess-, Spielzimmer und Küche zugleich. Alle Programme mit dem Kindern finden aber draußen in dem liebevoll dekorierten Palmengarten statt.
Mandrem ist etwas abseits vom üblichen Rummel, trotzdem ist es gut besucht. Natürlich gibt es hier auch Shops und Restaurants, aber alles sehr Shanti Shanti, keine nervigen Verkäufer, auch am Strand nicht. Dieser ist übrigens wunderschön weitläufig, sauber und sicher. Am Strand entlang, jedoch so weit zurück versetzt, dass es nicht stört, sind einige Hotels oder Resorts, wo man Luxushütten mieten kann. Mehrere kleine Obstmärkte und Lebensmittelgeschäfte verkaufen gute Ware, wie ich immer feststellen kann, wenn ich mich für den Tag eindecke.
Mandrem ist außerdem ein Ort mit vielfältigen kulturellen Events. Musik, Tanz, Akrobatik, Feuershows oder abgefahrene Multi-Media-Performances sind immer irgendwo in Mandrem oder der näheren Umgebung zu finden. Wer mehr möchte kann Unterricht in den unzähligen Meditations-, Yoga-, Tai Chi-, Tanz- oder Malkursen nehmen. Ach ja, nicht zu vergessen, Techno-Partys, hauptsächlich in Arambol! Wem es hier langweilig wird, ist selber schuld. Vieles ist sehr alternativ und wirkt oft improvisiert, teilweise habe ich das Gefühl, irgendwo in einer hippen Ecke in London oder Berlin zu sein. Goa ist einfach geil!

Mein Kindergarten-Job

Einige der Eltern, die ihre Kinder hierher in den Kindergarten bringen, sind Russen die in Goa ein Geschäft betreiben oder sonstwie ihren Lebensunterhalt verdienen. Viele sind aber einfach auch Langzeiturlauber. Die Kleinen sind zwischen zwei und acht und werden auf vielfältige Weise beschäftigt. Vassili töpfert, Tanya gibt Malkurse und Natascha singt mit den Kindern und bringt ihnen so nebenbei etwas Englisch bei. Das macht sie sehr geschickt. Immer wieder gibt es kleine Zeiteinheiten, in denen es um Tageszeit, Farben, Tiere oder Körperteile geht. Die Kinder sollen Fragen beantworten oder Sätze nachsprechen und bekommen alles mehrmals mit, da Natascha das Frage-Antwort-Spiel mit jedem Kind durchgeht. Manche Kinder entziehen sich und gehen dann in die Hängematte oder spielen für sich. Aber Natascha hat eine unwahrscheinliche Geduld und Ausdauer, sie unterhält sich dann eben aus der Entfernung mit den Kindern. Irgendwann bekommt sie so alle zum Sprechen!

Seit neuestem gibt es Body-Move-Classes, Stickfighting und Herstellen von Geldbeuteln aus Tetra-Packs! Ein paar der Jungs und Mädels sind mitunter ganz schön aggressiv, weshalb wir beschließen einen „Fight Club“ mit klaren Regeln zu installieren. Das gefällt den Kindern, vor allem wenn ich unter allen Kindern begraben liege und Natascha um Hilfe rufe. Aber nicht immer lasse ich sie gewinnen, was manchmal auch zu tränenreichen russischen Schimpfkanonaden führt. Am Ende vertragen wir uns alle wieder und am nächsten Tag geht es wieder von Neuem auf die Matte! Beim Basteln der Geldbeutel sind die Kids eifrig dabei und stolz zeigen sie den überraschten Eltern ihre Werke.

Events

Prem Joshua tritt im Sunset in Mandrem auf, was ich mir natürlich nicht entgehen lasse. Vom Strand aus hat man einen guten Blick auf die Bühne und der Sound ist genau richtig. Nach dem unbeschreiblich schönen und energiegeladenen Konzert bitte ich Prem zu einem Foto für unseren Freund Nathulal in Pushkar, gerne tut er mir den Gefallen.

Im Oshoanic in Arambol lerne ich den Besitzer, Abishek Prem, kennen. Dort gibt es allabendlich Konzerte, heute ist Fusion angesagt, saugut mit Sitar und Tabla. Auf dem Programm steht auch indische Klassik, Sufi und East meets West. Ab und zu schaue ich dort vorbei.

Ash ist ein Theater Projekt unter freiem Himmel und ich genieße dort direkt am Fluss, der in dieser Gegend parallel zum Strand verläuft, einen unvergesslichen Abend mit atemberaubenden Tanzeinlagen, exzellenter Live Music. Einer der beiden Musiker spielt eine Oud und singt dazu wunderschöne arabische Lieder. Sein Partner ist der Percussionist, Sitarspieler und Vocalakrobat. Eine dazu perfekt abgestimmte Lichtinstallation rundet die Show visuell ab. Insgesamt richtig schräg und ich kann mich gar nicht satt hören und sehen.

Freizeit

Meistens ist um zwei, spätestens drei Uhr Schluss im Kindergarten. Auch Samstags und Sonntags habe ich frei. Nach zwei Tagen schaue ich mich nach einem Scooter um und klappere damit die Gegend ab und fahre an abgelegene Strände, an denen kaum etwas los ist.
Wenn ich nicht gerade schwimme, lese oder döse, sehe ich den unzähligen Kitesurfern zu oder übe mit den Stöcken.

Kovalam 30.12.13 – 8.1.2014

Am darauf folgenden Morgen miete ich ein Taxi und lass mich ganz bequem durch schöne Landschaften die achtzig Kilometer nach Kovalam fahren. Der Fahrer ist angeblich der Bruder des Agenten, mit dem ich den Deal abgeschlossen habe.

‚A very good driver, Shanti Shanti!‘

Nun ja, am Ortsausgang fährt er gleich mal in die falsche Richtung (es gibt neben Kanyakumari ein zweites Kovalam, gerade mal drei Kilometer entfernt!) und muss an einem Teestand nach dem Weg fragen. Mich stört das wenig, das Zimmer im Sea Flower ist reserviert und mit dem Agenten wurde für die Fahrt ein Fixpreis, umgerechnet 22 €, ausgehandelt. Soll er sich ruhig verfahren, dann sehe ich eben mehr vom Land! Alle paar Minuten hält der Fahrer und fragt, wo es nach Kanyakumari (!) geht. Kovalam, Kovalam! Zweimal verbessere ich ihn und dann ist es mir wirklich Wurst! Auf dem Rücksitz halb liegend lasse ich die Dörfer, Städtchen und Felder an mir vorbeiziehen. Ab und zu sehe ich schrill bunte Kirchen, manchmal mit einer Art Krippe davor und viel Watte, die wohl Schnee darstellen soll. Zweieinhalb Stunden dauert die Fahrt und unterwegs ruft das Hotel an, um dem Fahrer den Weg zu erklären, netter Service.Im Sea Flower nimmt mich der Besitzer erst mal in die Arme (?), leider gibt es nur Zimmer mit AC und Meeresblick für 1 500 Rs. Er kann mir jedoch ein Zimmer bei seinem Freund nebenan besorgen. Good Morning heißt die Unterkunft, liegt um die Ecke in einer ruhigen Gasse und zum Strand sind es auch nur zwei Minuten. Okay, hier ist auch Hochsaison, das Zimmer kostet 900 Rs, hat einen sehr geräumigen Schrank (endlich mal), eine Küche, ein großes Bad und eine Veranda vor der Tür. Gebongt!Mein Nachbar, der die gleiche Veranda benutzt, heißt Alex und stammt aus der Ukraine, in die er nicht mehr zurück will. Alex hatte eine Firma in der Ukraine, die sich mit Umwelttechnik befasste. Er hat schon mehrere Erfindungen gemacht, die er aber nicht der ukrainischen Mafia überlassen will. Einige Entwürfe zeigt er mir auf seinem Laptop, darunter ein Kühlungssystem, effektiv und energiesparend oder eine kleine Windkraftanlage, kaum einen Meter hoch, arbeitet bei geringsten Windstärken und ist völlig geräuschlos. Am liebsten würde Alex in Indien bleiben und hier sein Geschäft aufbauen, aber die Jungs hier lassen sich nicht so leicht von seinen Ideen überzeugen und nutzen lieber das, was sie kennen. Mit Alex trainiere ich morgens am Strand und bringe ihm etwas Stockkampf bei – Juhu, ein Schüler!

Mein Tagesrhythmus sieht ungefähr so aus:

  • Aufstehen zwischen sieben und acht
  • Wasser trinken
  • Stocktraining
  • Wasser trinken
  • Schwimmen
  • Wasser trinken
  • Spaziergang in der Morgensonne zwecks Hautbräune
  • Wasser trinken
  • Duschen
  • Frühstück
  • Wasser trinken
  • Rumhängen, Leute kennenlernen und quatschen
  • Irgendwann was kleines essen – Bananen, Orangen, Ananas…
  • Wasser trinken
  • Kleine Touren, Shopping, Fotoshooting
  • Schwimmen
  • Wasser trinken
  • Abendessen und anschließend im Spoonbill, meiner Lieblingskneipe rumhängen – dort gibt’s geile TeesWasser trinken
  • Zwischen elf und zwölf Matratzen horchen

Unerwartetes Wiedersehen

Manchmal geht es nur um Augenblicke, ob du jemanden triffst oder verpasst.Eigentlich möchte ich mal wieder etwas günstiges bzw. etwas anderes frühstücken als die letzten Tage und kann mich nicht so recht entscheiden wohin. Oder erst noch ein bisschen am Strand entlang? Dann siegt der deutsche Gaumen, möchte den guten Cream Cheese. Und das Verdauungssystem schreit nach dem herrlichen Brown Bread. Ja gut, der Kreislauf will auch noch was, schwarzen Tee. Okay, was willst da machen, ich geb mich geschlagen und schlendere wie üblich zur German Bakery, gehe die Treppe hoch und suche einen Platz – ich stocke. Da sitzt ein Typ und glotzt mich genauso ungläubig an wie ich ihn!’Ne, das is jetzt nicht wahr, oder? Scheiße Mann, was machst DU denn hier?’Wir nehmen uns in die Arme, sechs Jahre ist das her. Banyolés, im Arlequi, 2008! Gareo, der verrückte Vogel! Sofort ist die Verbindung wieder da und wir tauschen unsere Geschichten aus… Wir verbringen zwei Tage zusammen, dann geht es für mich zu meiner nächsten Station. Goa. Abschied von ein paar Leuten: Gita, meine Henna Tattoo Queen; Alex aus der Ukraine, mein Nachbar links; Maya aus Zürich, meine Nachbarin rechts; Marianna aus der Slowakei, Schülerin von Gareo und natürlich von Gareo, meinem Überraschungsbesuch vom Bodensee. Goa wartet – in verschiedener Hinsicht. Zu Neujahr gab es viele Antworten auf meine Grüße an Leute, die ich während meines Trips getroffen habe. Nun sind einige von ihnen in Goa und möchten, dass ich sie besuche. Tanya, die Künstlerin aus Sibirien, die eine Exhibition in Arambol hat; Conny und Lothar, die in Vagator hausen und später nach Palolem fahren; Barbara, Declaan und Anna aus Madikeri, die Mitte Januar nach Palolem kommen und dann noch Steffen, mein Schoko-Schamane, den ich in den ersten Wochen in Bodh Gaya getroffen habe, ebenfalls Palolem. Tja, und eine sehr gute Bekanntschaft aus Berlin, die damals mein erster Kontakt in Varkala war (einen Steinwurf von Kovalam entfernt) und mich zum nächsten Ort schickte (sehr wichtig, aber eine sehr lange Geschichte…) schreibt mir gerade, dass ich unbedingt einen Inder in Arambol treffen muss, zu Sicherheit hat sie uns gleich mal in Facebook verbunden! Gründe genug? Yes, I’m coming!!!

 

 

Kanyakumari 29.12.2013 – 30.12.2013

Um 6.30 Uhr stehe ich im Morgennebel an der Straße und warte auf meine Rickshaw. Obwohl es sehr früh ist kommen Barbara und Chaya zum Verabschieden aus dem Haus. Wieder geht es nach Bengaluru zum Umsteigen, was bedeutet, dass ich erst einmal eine Strecke zurückfahre. Leider gab es keine Züge mehr von Mangalore nach Trivandrum, weil zur Zeit viele indische Urlauber und Pilger unterwegs sind. Mein Volvo-Bus nach Bengaluru ist sehr bequem, die Fahrt ruhig und angenehm. Fünf Stunden später sind wir da und ich verbringe die Wartezeit bis zur Abfahrt meines Nachtbusses in einem Hotelrestaurant, esse eine Kleinigkeit und nutze das dortige WiFi. Der Schlafplatz im Nachtbus ist nicht so angenehm wie ich mir erhofft hatte, man liegt zwar ganz gut, aber es ist eng weil ich mir meine Kabine mit einem schnarchenden Inder teilen muss. Eigentlich wollte ich einen Einzelplatz, aber da ist was schief gelaufen. Zum Glück steigt mein Bettgenosse morgens um zwei Uhr aus, so dass ich für den Rest der Nacht dann doch noch einigermaßen gut schlafen kann. Gegen sieben wache ich auf und schaue aus dem Fenster, wo sich mir eine atemberaubende Landschaft zeigt. Hinter Palmenhainen und Reisfeldern ergeben sich mächtige Felsen und weiche Hügel, malerisch angestrahlt von der aufgehenden Sonne! Yeah!

In Kanyakumari trifft mich erst einmal der Schock! Die Stadt ist so voll. dass ich nur noch braune Leiber sehe. Tausende Pilger sind hier eingetroffen, um über den Jahreswechsel den Kumari-Amman-Tempel zu besuchen. Hinzu kommen die vielen Inder, die hier Neujahr feiern wollen. Zwei Stunden fährt mich mein Rickshaw-Wallah durch Kanyakumari, bis ich eine bezahlbare Unterkunft direkt neben dem Tempel bekomme. Einige der Angebote waren echt unverschämt, so z.B. ein Raum an der Hauptstraße mit einem Schaufenster und Schiebetür, innen war nichts außer einer schmuddeligen Matratze und das für 3 000 Rupien pro Nacht!
Ich beziehe mein Zimmer, das mich hier 1 000 Rupien kostet, nehme eine Dusche und erkunde dann Kanyakumari. Ich klappere alle wichtigen Plätze ab. Die Badeghats gleich hinter dem Tempel – absolut der südlichste Punkt der indischen Festlandes – von wo man einen guten Blick auf die Felsen in Meer hat, auf denen das Vivekananda-Memorial und die Thiruvalluvar-Statue steht. Vivekananda war ein indischer Wandermönch in 19. Jhd., der den Hinduismus mit sozialer Gerechtigkeit in seinen Lehren verband. Thiruvalluvar war ein tamilischer Dichter, der ein das berühmte Lehrgedicht „Thirukural“ verfasste, ein Werk mit 133 Kapiteln, weshalb die Statue, die auch Koloss von Indien genannt0 wird, genau 133 Fuß hoch ist. Ebenfalls am Strand in der Nähe des Tempels ist ein Park und ein Denkmal für die Tsunami-Opfer von 2004.
Das weitaus interessanteste Gebäude ist das Gandhi-Memorial, das aussieht als hätten es Architekten von Walt Disney geplant. In essence Tat waren es jedoch christliche, hinduistische und moslemische Architekten, die hier Gandhi Ehre zollten, der immer noch wie ein Heiliger verehrt wird. Inmitten der Memorials steht ein schwarzer Block, wo seine Asche aufbewahrt wurde, bevor sie ins Meer gestreut wurde. Den Tempel der jungfräulichen Göttin Kumari besuche ich auch. Manor dürfen diesen der Weiblichkeit gewidmeten Tempel nur mit entblößter Brust betreten. Im Inneren es Tempels darf man vulvaförmige Kerzen opfern, was ich dann auch tue. Ich kaufe eine ganze Schale voll und denke bei jeder Kerze an bestimmte Leute – Gutes Neues Jahr!

Am Abend entscheide ich mich, den Ort am nächsten morgen zu verlassen und für Silvester nach Kovalam zu fahren. Den Sonnenuntergang schaue ich mir vom Gandhi-Memorial aus an, das im weichen Abendlicht irgendwie futuristisch wirkt, es könnte glatt eine Zweigstelle von Jar Jar Binks aus Star Wars sein. Drei nette junge Inder quatschen mich an – immerhin falle ich hier auf, ich scheine hier der einzige Nichtinder zu sein. Wir diskutieren heftig über die Vor- und Nachteile der indischen und westlichen Gesellschaft, aber wir lachen auch viel zusammen. Ein Abschiedsfoto mit Viney, Sachin und Ravi Shankar (!) muss natürlich auch noch sein.

Madikeri 19.12.2013 – 28.12.2013

Von Puri nach Madikeri

Mein letzter Tag im Rangers Resort beginnt um 6 Uhr morgens. Ildiki geht mit mir nochmal an den Strand zum Schwimmen, Lali begleitet uns. Wir gehen den üblichen Weg und orientieren uns zuerst an Marinas Markierungen, bis wir an die Stelle kommen, an der wir vor zwei Tagen so unschlüssig waren. Diesmal nehmen wir den Pfad rechts, obwohl er nicht so vielversprechend aussieht, schmaler und auf den ersten Blick mehr Zerstörung durch Phailin. Wir müssen einige Male den Weg, den man nur noch an den von Fahrrädern gezogenen Reifenspuren erkennt, verlassen. Riesige abgebrochene Äste und umgeknickte Bäume versperren den Pfad, ein paar mal müssen wir klettern oder kriechen, doch dann werden wir belohnt. Ich entdecke den entwurzelten Baum mit den wuchtigen Wurzeln wieder, den ich bei der ersten Rückkehr vom Strand fotografierte. Kurze Zeit später sind wir am Ziel, insgesamt haben wir nur 40 Minuten gebraucht. Jetzt muss Ildiki die Strecke in den nächsten Tagen mit Marina nochmals gehen, um ihn zu markieren. Die letzten Meter aus dem Wald geht’s leicht bergauf, bevor man an den zunächst steil abfallenden Strand kommt. Lali stürzt plötzlich laut bellend in Richtung Ufer, an dem ich im Abstand von jeweils 50 Metern drei tote Riesenschildkröten entdecke. Wie wild stürmt sie auf die links liegende zu, auf der eine Schar Krähen sich gütlich tun. Lali ist fast an der Schildkröte, als sich auf einmal hinter ihr ein riesiger Schatten löst – ein Wolf! Ein Wolf? Ja tatsächlich, ein Wolf und Lali stellt ihn, worauf er in den Wald flüchtet, als wäre der Teufel hinter ihm her! Während wir am Strand liegen oder uns im Wasser abkühlen, versucht der Wolf mehrmals von verschiedenen Stellen an eine der toten Olive-Bastardschildkröten zu kommen. Doch jedesmal vertreibt ihn die tapfere Lali und er trollt sich zurück in den Dschungel! Leider bin ich jedesmal zu langsam mit der Kamera und bekomme den Wolf nicht so richtig abgelichtet. Kurz bevor wir gehen, sehen wir von weitem noch einen Schakal, auch dieser wird verjagt! Wow, was für ein Abschied!
Als wir zurückkommen ist mein Mittagessen schon fertig, mein Taxi auf 14 Uhr bestellt. Fertig packen. duschen, futtern. Abschlussfotos. Sebastian schenkt mir zum Schluss noch eine kurze Show mit seinem Keulen. Dann heißt es Abschied nehmen, wie so oft und es fällt mir diesmal nicht ganz leicht. Ähnlich wie in Pushkar habe ich in Puri und vor allem hier bei den Rangers eine wundervolle, unvergessliche Zeit verbracht…
Munna, mein Lieblingsdriver, ist pünktlich da um mich zum Flughafen nach Bubaneshwar zu bringen. Lange winke ich Ildiki und Marina aus dem fahrenden Taxi zu, Bye bye!

Flugzeug, Taxi, Bus

Unangenehme Überraschung am Flughafen – mein Flug hat ungefähr eine dreiviertel Stunde Verspätung. Jetzt wird es knapp mit dem Nachtbus von Bengaluru nach Madikeri! Letztendlich werden es dann 70 Minuten Verspätung und bei der Zwischenlandung in Hyderabad gibt sich die Crew alle Mühe, aber mehr als eine viertel Stunde können sie nicht aufholen. Kurz nach der Landung in Bengaluru ruft mich der Busfahrer an (bei der Buchung in Puri hatte ich meine Telefonnummer angegeben), der Bus geht um 23.55 Uhr und er könnte 10 Minuten warten. Um 0.10 Uhr ruft er nochmal an, er muss jetzt los. die Fahrgäste murren sonst. Mein Fahrer, der mich von dem 60 km von der City entfernten Flughafen zum Zusteigeort bringt, gibt sich alle Mühe, aber wir kommen 15 Minuten zu spät! Am Satellite Bus Terminal stehen noch viele Busse, doch kein Volvo mehr von der Red Line. Übernachten in Bengaluru? Keine Lust! Mein Taxifahrer geht auf die Suche und wird fündig – ein Local Bus, nur Sitzplätze, fährt aber gleich los und ist nur eine halbe Stunde später als mein gebuchter Volvo in Madikeri. Okay, was soll’s, ich werde die Nacht schon irgendwie auch sitzend hinter mich bringen! Die Sitzbank hinter dem Fahrer ist frei und wird von mir einfach in Beschlag genommen, ich lege mich gleich längs und niemand wagt es mich zu wecken. Gerädert, übermüdet und mit Rückenschmerzen komme ich um 7.00 Uhr morgens in Madikeri an, der Hals kratzt auch noch. Zunächst schaue ich mich nach einem Teestand um und rufe dann im Shangri-La an. Ich warte dann in der Kälte des Mordgens, bis mich Lothar abholen kommt.

Shangri-La

Das Shangri-La liegt 18 km außerhalb von Madikeri ganz ruhig in den kühlen Hügeln, umgeben von Kaffeeplantagen, wilden Orchideen, Palmen und anderem exotischen Gewächs. Schön! Barbara war früher mit einem Inder verheiratet, der eine Zeit lang das indische Cricket-Team betreut hatte. Über ihn lernte sie dann die indische Familie kennen, auf deren Grundstück das Haus steht, das Barbara hat bauen lassen. Ihr Mann ist schon vor längerer Zeit gestorben und sie lebt nun mit Declaan, einem älteren, schrulligen und verrückten Iren zusammen. Das Haus hat eine große Wohnküche, ein zum Innenhof offenes Wohnzimmer und einen Schlafraum. Auf beiden Seiten des Innenhofes sind jeweils zwei Gästezimmer mit Bad, eines davon bewohnt die indische Familie. Sie besteht aus Laxman, Kaffee-, Pfeffer- und Fischverkäufer, Chaya, der wundervollen Köchin und Belakhur, der achtjährigen Tochter, die mich häufig in Beschlag nimmt. Gleich am ersten Abend musste ich mit ihr Carrom spielen – und sie hat mich abgezockt!
Nach einer kleinen Einkaufstour für unsere Mahlzeiten in den nächsten Tagen lege ich mich hin, um etwas Schlaf nachzuholen. Mit Kopfschmerzen und leicht fiebrig wache ich auf. Nach dem Abendessen gehe ich sofort wieder ins Bett und verbringe eine unruhige Nacht mit viel Husterei.

Madikeri

Madikeri liegt ungefähr 1500 Meter hoch und das Shangri-La etwa 300 Meter tiefer in einem Tal nordwestlich von Mercara, so der alte Name der Stadt. Trotz der vielen Kaffeeplantagen gibt es hier einen sehr dichten Dschungel mit dramatisch steilen Hängen. Überall plätschern Wildbäche gen Tal und bilden immer wieder wundervolle versteckte Badebecken, romantisch und verträumt! So gut es geht genieße ich hier auf unseren Spaziergängen die Ruhe und die saubere, klare Luft. In den Plantagen und Reisfeldern sieht man allzeit fleißige Arbeiterinnen und Arbeiter, die uns fröhlich zuwinken. Sie bekommen nicht so oft Touristen zu Gesicht, aber fast alle können ein paar Brocken Englisch und versuchen sich mit uns zu unterhalten. Ansonsten sitze ich in dem liebevoll angelegten Garten und spiele mit Conny und Lothar Würfelspiele oder Canasta. Mein Husten ist inzwischen so schlimm, dass ich in der Nacht überhaupt nicht mehr schlafen kann, weshalb ich am nächsten Tag in das Privatkrankenhaus von Madikeri gehe. Kaum klage ich an der Rezeption mein Leid, bin ich auch schon im nächsten Behandlungszimmer, wo mich ein junger Arzt empfängt. Er hört mich hier und da ab und verschreibt mir eine ganze Latte von Medikamenten. Der Arzt möchte wissen, wo ich herkomme und was ich von Beruf bin. Als er hört, dass ich Deutscher bin, ruft er eine Arzthelferin und fordert sie auf, mit mir deutsch zu sprechen, jedoch ziert sie sich und der Arzt macht schnell einen Witz um die Situation zu retten.  Dann gibt mir eine andere Schwester mein Rezept, welches ich an der Medikamentenausgabe anschließend selber hole und dann an der Kasse bezahle. Der ganze Akt dauert nicht länger als zehn Minuten und die längste Zeit geht dabei für das Herumalbern mit dem Arzt und den Schwestern drauf.

Golden Temple in Bylakuppe

Für einen kleinen Ausflug fit genug, besuche ich mit Lothar und Conny das tibetische Namdroling-Kloster 40 km südöstlich von Madikeri. Hier war 1959 während der chinesischen Invasion einer der ersten Standorte für tibetische Flüchtlinge in Indien. Tausende Tibeter wurden aufgenommen und inzwischen ist hier (nach Dharamsala) die größte tibetische Gemeinde außerhalb von Tibet. In dem eindrucksvollen Tempel stehen drei wunderschöne goldene Buddha-Statuen, verziert mit prächtigen, farbigen Details.  Es ist sehr friedlich und stimmungsvoll, einige Mönche und Novizen bringen auf den Altären weiße Schals dar. Einer der Mönche gesellt sich zu mir und versucht mir etwas über die drei Statuen zu erklären, aber leider verwendet er viele mir unbekannte Begriffe und sein Englisch ist für mich sehr schwer zu verstehen. Zum Schluss lässt er sich von Lothar mit mir fotografieren. In einem der Gebetshäuser stimmen Mönche ihre Mantras an, begleitet von rhythmischen Trommeln.

(????Temple Bylakuppe4)

Das Eingangstor steht zwar offen, aber ein Schild am Absperrband erlaubt den Zutritt nur für Mönche. Kurz bevor wir gehen wollen, hören wir in einem anderen Bereich Mönche singen und diesmal ist es Besuchern erlaubt, der Zeremonie beizuwohnen. Anfangs stehen so viele Inder am Eingang, dass man kaum etwas zu sehen bekommt. Conny und ich zwängen uns durch und setzen uns nahe bei den Mönchen im Schneidersitz auf den Boden. Dann wird es leer und nur noch Lothar steht am Eingang, der wegen seiner Rückenproblemen sich nicht setzen kann, es beschränkt sich aufs Fotografieren. Andächtig lauschen wir gute zwanzig Minuten auf die Gebete und Gesänge der Novizen und Mönche. (Temple Bylakuppe1, Temple Bylakuppe2, Temple Bylakuppe3) Es tut sehr gut diese Atmosphäre aufzusaugen, auch wenn man nicht ganz versteht, was gesungen und gebetet wird. Rundum zufrieden und mit einem Lächeln im Gesicht treten wir die Heimfahrt an.

Die Abende

Sobald es dunkel wird finden wir uns in der Küche ein und kochen gemeinsam, meistens schnipple ich das Gemüse und überlasse ausnahmsweise den Anderen den Platz an den Töpfen. Izwischen ist weiterer Besuch eingetroffen, Anna aus Dänemark, die auch sehr geren koch. Es gibt oft Fisch mit Reis oder Kartoffeln. einmal Spagetti mit einer herrlichen Tomaten-Gemüse-Soße. Ein Highlight ist Chayas Palak Paneer – göttlich! Am Weihnachtabend wird das Wohnzimmer festlich geschmückt und die Familie sitzt an diesem Abend mit am Tisch. Laxman lobt mein Raita, das ich vorbereitet habe. Außerdem gibt es noch gebratenen Kingfish, Prawns, Kartoffeln in der Schale und Tomatensalat mit frischem Koriander! Lecker, lecker, lecker!
Nach dem Essen wird gespielt oder wir sitzen gemeinsam im Garten beim Lagerfeuer und bestaunen den klaren Sternenhimmel. Das Leben ist schön!

Declaan

Mit Declaan liefere ich mir heiße Wortgefechte über Demokratie, Europa, Merkel (er „liebt“ sie!) und andere brisante Themen. Barbara hat dazu keine Lust und Conny und Lothar sprechen kaum Englisch. Mich nennt er immer Maharaja und provoziert mich wegen meines „Reichtums“ wo es nur geht (zum Spaß) und verlangt, dass mir Barbara den doppelten Preis für das Zimmer berechnet, die reichen Deutschen könnten sich das leisten. Mit der Zeit macht es richtig Spaß mit ihm auf Englisch zu palavern, obwohl er oft sehr schräge Meinungen vertritt. Ich erinnere mich an einen Abend, an dem wir über Einstein, Quantentheorie und Parallelwelten diskutieren.

Auf einem unserer Spaziergänge, wo es über mehrere äußerst schmale Brücken geht – oft nur ein Balken mit einem Draht auf Brusthöhe zum Festhalten – lerne ich ihn von seiner weichen Seite kennen. er zeigt mir seltene Pflanzen, überraschende Aussichten, erzählt was er an den Indern hier in der Gegend liebt und schenkt jedem Kind, das wir unterwegs treffen, einen Lollipop, von denen er immer einen großen Vorrat mit sich schleppt. Declaan freut sich aufrichtig wie ein kleines Kind an den Schönheiten der Natur und wirkt dann überhaupt nicht mehr wie ein Siebzigjähriger. Ich schätze das sehr, wie er das mit mir teilt und mir gewissermaßen die Augen noch mehr öffnet.

Abschiede und Wiedersehen?

Conny und Lothar reisen am zweiten Weihnachtsfeiertag ab um nach Hampi und anschließend nach Goa zu fahren. Eventuell wird man sich dort wieder treffen. Auch Anna, Barbara und Declaan werden ab Mitte Januar dort sein, mal sehen…

Puri 14.11.2013 – 18.12.2013

Puri Memories

Zunächst sind wir für ein paar Tage in einem ganz einfachen Guesthouse mit Balkon und Blick aufs Meer, aber leider auch auf die Müllkippe hinter dem Gebäude, was mir überhaupt nicht gefällt. Nachdem meine Sachen verstaut sind, gehe ich eine Runde spazieren. Mir kommen viele Erinnerungen an damals und ich klappere erst einmal die Orte ab, die ich kenne und treffen Menschen, die sich an mich erinnern. Apana, der am Strand Partys organisiert und einigermaßen gebildet ist, Fayaz, mein Schmuckverkäufer aus Kashmir mit dem ich immer böse Witze reiße, Bayna und Lalah vom Pink House, in das ich bald umziehe, Debu vom Honey Bee mit dem leckeren Brown Bread und den unglaublich schmackhaften Pizzen (Eggplant-Pizza! Yam Yam Yam!).

Am Puri Beach

Oft gehe ich an den Strand und beobachte das Treiben, wenn die Fischerboote ankommen. Mit viel Schweißarbeit werden die Boote an den Strand gezogen, die heftige Brandung verlangt dabei den Männern alles ab. Sobald das Boot gesichert ist werden die Fische, meist Sardinen, aus dem Netz auf ein Tuch geschüttelt. Während ein Teil der Bootsmannschaft sich darum kümmert, das Netz für den nächsten Fang bereit zu machen, kommen die ersten Käufer und dann wird versteigert. Ein Netz Fische kostet im Durchschnitt 1 000 Rupees und es wird heftig gefeilscht, teilweise sogar laut gestritten, wer das Angebot mit dem Zuschlag gemacht hat. Die Fische werden dann ein paar Meter weiter auf den Sand geschüttet, wo schon Trägerinnen bereit sitzen, um den Fang in Körbe zu füllen, die sie auf ihren Köpfen vom Strand zu den bereit stehenden Fahrzeugen (Scooter! ) transportieren – aufrecht und anmutig! Ich beobachte eine zierliche Frau, schätzungsweise mein Alter, die eine Kiste von 80 x 50 x 40 Zentimetern, bis über den Rand mit Fischen gefüllt, auf ihren Kopf hieven lässt und dann schnellen Schrittes durch den tiefen Sand davoneilt, scheinbar mühelos!
Einer der Käufer kauft den Fang von mehreren Booten auf und es dauert fast eine Stunde bis alle Fische bei den Fahrzeugen sind, am Ende tragen auch einige Männer die Körbe und Kisten auf ihren Köpfen. Gut, die können das also auch.

Der Puri Beach wird hauptsächlich von indischen Familien besucht, häufig sieht man aber auch große Gruppen junger Inder und Inderinnen. Der Ablauf ist immer sehr ähnlich, man geht ans Wasser, bis zumindest die Füße im Meer sind, dann nimmt man eine Hand voll Wasser, gießt es nach hinten über den Kopf, trinkt einen Schluck und berührt Brust, Stirn und Mund. einmal oder mehrmals hintereinander. Anschließend kommt das obligatorische Foto mit der Brandung im Hintergrund und die ganz mutigen bzw. des Schwimmen mächtigen tollen dann im Wasser. Auf dem Gesichtern spiegelt sich Freude und Glückseligkeit; es tut gut zu beobachten, wie Familienväter mit ihren kleinen Kindern vorsichtig und behutsam in den Wellen spielen. Nicht selten werde ich gebeten mich für ein Erinnerungsfoto ablichten zu lassen. Gerne tue ich ihnen den Gefallen und versuche mein freundlichstes Gesicht zu zeigen.

Immer wieder sitze ich einfach so am Strand ohne die manchmal lästige Kamera und schaue einfach aufs Meer hinaus, genieße den Gesang der Wellen (Puri Waves1) und sehe die Sonne unter und den Mond aufgehen. Das Meer ist sehr stürmisch in diesen Tagen und auch die Bewölkung ist ungewöhnlich dicht. Wir bekommen einen Ausläufer des Zyklons mit, der im Moment in Tamil Nadu auf Land trifft, jedoch im Vergleich zu Phailin dies harmlos ist.

Abends beim Tea Stall am Strand unterhalte ich mich mit Apana über die vielen Verkäufer am Strand, die Perlenketten oder auch einzelne Perlen anbieten. Oft öffnen die Jungs „frische“ Muscheln und zeigen den Kunden die Perle, die noch am Gehäuse „festklebt“. Es ist ein alter Trick, die Muschel ist natürlich nicht gerade eben von einem tauchenden Fischer aus dem Ozean geholt worden und die Perle ist aus Glas, fixiert mit einem Kleber. Immerhin sind die Glaskugeln hübsch anzuschauen, Marktwert ca. 10 Rs! Die Verkäufer am Strand, die Eis, Essen, Tee, Ballons, Hüte oder Kamelreiten anbieten sind zwar nicht ganz glücklich über diese Betrügereien, weil es zunehmend das gesamte Geschäft am Puri Beach kaputt macht, mischen sich aber nicht besonders ein. Andererseits wirft Apana den Touries auch Dummheit und Einfältigkeit vor, die glauben, sie können ein Schnäppchen machen und eine echte Perle, frisch gefangen, für den Preis von 400 – 600 Rupien bekommen, nachdem sie den Verkäufer um mehr als die Hälfte herunter gehandelt haben! Man kann so eine Perle einfach nicht für einen Preis von umgerechnet 7 Euro bekommen! Ich stimme ihm zu und trinke dann einen Tee mit ihm.

Pink House

Später beim zweiten Tee setzt sich eine Gruppe griechischer Touristen zu uns und wir verstehen uns auf Anhieb prächtig. Es sind Gregorio, einziger Mann der Truppe und großflächig tätowiert, Mirka, die am besten Englisch spricht, Claudia, die kaum Englisch spricht oder versteht, Aphrodysia, die ruhigste und Dyonisia, das Küken. Sie wohnen alle in „meinem“ Pink House und nachdem ich dorthin umziehe, verbringen wir viel Zeit miteinander, da sie im selben Gebäudeteil direkt neben „meinem Zimmer“ untergebracht sind.

Suntemple Konark

Gemeinsam lassen wir uns von Bayna ein Taxi organisieren, das uns nach Konark zum berühmten Sonnentempel bringt, 35 km von Puri entfernt. Der Tempel ist bekannt für seine kunstvollen Darstellungen mit Motiven aus dem Kamasutra und gehört zum Weltkulturerbe. Leider hat das Bauwerk in den letzten Jahren sehr gelitten, überall sieht das Gestein „angefressen“ aus und mir kommt es so vor, als wäre der Zustand schlimmer als damals bei meinem ersten Besuch. Die am Besten erhaltenen Ausschnitte sind inzwischen hinter frischen Sandsteinblöcken verborgen. Restaurationen im Originalstil erlaubt die UNESCO nicht, was die Bevölkerung von Odisha ziemlich aufregt, denn es gäbe genügend professionelle Restaurierer in Indien, die fähig sind das zu leisten. Einzige Lösung wäre, den Status Weltkulturerbe aufzugeben.
Zusammen gehen wir dann noch im Konark im Sun View Hotel essen, wo schon die Ankündigungen für das Konark-Dance and Sand-Art Festival hängen, das fünf Tage dauert und am ersten Dezember beginnen wird. Sogleich erkundige ich mich beim Manager nach dem Programm und wie man an Karten kommt. So wie es aussieht, werde ich mein Reiseprogramm ändern und meinen Aufenthalt in Puri verlängern!

Künstlerdorf Raghurajpur

An einem anderen Tag besuchen wir mit dem öffentlichen Bus das Künstlerdorf Raghurajpur, wobei nur Dyonisia und Mirka Lust haben mitzukommen. In jedem der ungefähr 120 Häuser, die an ihren Wänden mit den typischen, oft geometrischen Odishi-Mustern reich verziert sind, wohnen Künstler, die in der Hauptsache mythologische Motive auf Palmblättern, Seide oder Baumwolle verewigen. Die Familien in diesem Dorf leben vom Verkauf der Kunstwerke und da in jedem (!) Haus Künstler wohnen, wird man auch in jedes hinein gebeten („Only look, …“), was zunächst etwas nervig ist, aber wir arrangieren uns. Zügig gehen wir durch die kleinen Straßen, weil wir uns erst einen Überblick verschaffen wollen und das verstehen die Einheimischen dann doch irgendwann. Als wir gemeinsam durch und um das kleine Dorf spazieren, haben wir irre viel Spaß (jedoch habe ich leider vergessen, worüber wir immer so viel gelacht haben). Bevor wir gehen schauen wir am Dorfeingang in einen größeren Shop, da man aus diesem einfacher wieder herauskommt, als aus einem Privathaus – so meine Erfahrungen vom letzten mal. Ein schönes, typisches Odishi-Muster auf Seide gemalt (Test mit Feuerzeug, logo!) geht in meinem Besitz über, auch die Mädels kaufen sich ein kleines Souvenir. Zur Bushaltestelle sind es ungefähr 15 Minuten zu laufen und unser Weg führt auf einer schmalen Straße an Feldern und einzelnen Häusern vorbei. Immer wieder halten uns Gruppen von Frauen auf oder rufen uns zu sich, um sich von uns mit ihren Kindern fotografieren zu lassen. Dann werden die Bilder auf dem Display betrachtet, begleitet von heftigem Gekicher. Irgendwann müssen wir die Fotosession beenden, der Hunger treibt uns zurück nach Puri. Auf der Fahrt zurück mit dem Bus bekommen wir mehr Tuchfühlung mit den Einheimischen als uns lieb ist. Sitzplätze gibt es keine mehr und der Mittelgang ist eigentlich auch schon überfüllt. Trotzdem werden wir in den Bus hineingeschoben und nach uns steigen noch einige Inder zu. Ohne dass ich etwas dagegen tun kann, werde ich allmählich weiter bewegt, mitunter stehe ich nur auf einem Bein, das andere bekommt gerade eine kostenlose Akkupressur. Kurz vor dem zentralen Busbahnhof bekomme ich mein Bein wieder zurück und mein eingeschlafener Arm, der an einer Halteschlaufe hängt, kribbelt mit den Ameisen auf dem Boden und die Wette. Auch Mirka und Dyonisia wurden gut durchgewalkt und durchgeknetet, aber trotzdem geht es allen gut. Im Pink House haben wir dann den anderen viel zu erzählen und gemeinsam lachen wir über unseren rundum gelungenen Tag.

Chilika-Lake

Vierzig Kilometer südlich von Puri liegt der Chilika-Lake, der mit einer Wasserfläche von über 600 qkm die größte Brackwasserlagune Asiens bildet und in der Monsunzeit auf fast das doppelte anschwellen kann. Die Lagune, in der sich Millionen von Zugvögeln sammeln, ist durch die Sandbank Rajhansa, die sich über 60 km von Satapada im Norden bis nach Rambha im Süden erstreckt, vom Meer getrennt. Im Chilika-Lake leben auch die kleinen, sehr seltenen Irrawaddy-Delphine, die ich natürlich gerne sehen würde. Also plane ich, einen Abstecher dorthin zu machen. Meine Griechen waren schon gemeinsam dort, weshalb ich andere Leute zum Mitfahren suchen muss. Alleine macht es weniger Spaß, außerdem würde ich gern die 1 000 Rupees für die Taxifahrt mit anderen teilen.
Im Pink House spreche ich ein deutsches Ehepaar an, das ich gestern schon am Strand gesehen habe. Schnell sind sie von der Idee begeistert und wir beauftragen Bayna ein Taxi zu organisieren, als sich noch Rene anschließt, der uns, ein paar Tische entfernt, deutsch sprechen hörte. Ein weiterer Zyklon ist auf dem Anmarsch, weshalb wir auf Anraten von Bayna die Tour für morgen planen. In Satapada mieten wir uns ein kleines Boot und verbringen dann zusammen einen netten Tag, obwohl wir keine Flamingos zu Gesicht bekommen, die hier um diese Jahreszeit normalerweise auftauchen, aber eventuell wegen des Zyklons einen Umweg geflogen sind. Von den angekündigten, berühmten Irrawaddy-Delphinen sehen wir nur mal kurz zwei Nasen. Unterwegs steigen wir an einem Tempel aus und bekommen eine Puja, ohne dass der Priester nach Geld fragt, was eigentlich inzwischen in Indien nicht mehr selbstverständlich ist. Weiter geht es dann zur Rajhansa Sandbank, wo René und ich in die Wellen des Golf von Bengalen tauchen, während Conny und Lothar am Strand Bilder schießen.

Hanging Around

Keine große Lust weiter zu reisen, keine Lust irgendwas zu unternehmen, große Lust einfach nur abzuhängen. In der Stadt besorge ich mir zwei Stöcke und fange wieder an zu trainieren. Im Pink House wohnt noch ein Deutscher, der einen Forschungsauftrag hat (mit Einzelheiten soll ich sparsam umgehen…). Es geht irgendwie um die ländliche Bevölkerung und um die Filmwelt… Was er zu erzählen hat ist immer sehr spannend, man trifft sich hier (Pink House) und da (Peace Restaurant, Z-Hotel) zum Frühstück oder Diner. Ansonsten hänge ich mit den Griechen herum, sehe ab und zu Rene, Conny und Lothar. Das Konark Festival beginnt in ein paar Tagen und ich besorge mir einen Festivalpass. Wieder muss ich Leute suchen, die mitgehen wollen, alleine ist zu teuer – jedesmal 35 km hin und wieder zurück. Conny und Lothar wollen gerne mitgehen, aber eben nicht an jedem Tag.

Konark Dance and Sand Art Festival

1.12.

Mit meinem Festivalpass in der Tasche gehe ich in verschiedene Restaurants und spreche Leute an. Im Pink House habe ich dann Glück und treffe Raku, eine Frau aus Litauen, die eigentlich nur auf Stippvisite hier ist. Raku will weiter nach Bangladesch fliegen und ist von der Idee ganz angetan mit zu dem Festival zu gehen und noch etwas indische Kultur mitzunehmen. Der Eintritt ist quasi frei, da ich ja die Pässe von Conny und Lothar habe, die aber erst in zwei Tagen mitkommen (die beiden sind für ein paar Tage nach Bhubaneswar).
Rene hat mir seinen Rickshaw-Wallah Basu empfohlen und wir verhandeln mit ihm. Zwar ist seine Rickshaw im Moment nicht fahrbereit, aber ein Freund leiht ihm seine und so fahren wir am Nachmittag zu viert zuerst zum Chandrabhaga Strand, um den Sandkünstlern zuzusehen, die hier bei der parallel zum Konark Dance Festival stattfindenden internationalen Competition ihr Können zeigen. Über 40 Künstler  messen sich jeden Tag mit einem neuen Thema untereinander, das jeweilige Motto wird morgens bekannt gegeben, abends kommt die Jury zur Bewertung und am nächsten Morgen werden die Kunstwerke wieder zerstört um die neue Herausforderung anzugehen. Eine Amerikanerin, ein italienisches Paar, ein Kanadier und ein Österreicher bilden die internationale Fraktion, der Rest sind Inder, in der Mehrzahl aus Puri oder Bhubaneswar, außerdem ist auch eine Gruppe von Frauen aus Puri am Start!

Thema am ersten Tag:
„SAVE OUR WORLD HERITAGE!“

Hier sind die Inder ganz klar im Vorteil, wenn sie die unzähligen, kunstvollen Tempel und Moscheen als Motiv wählen und so detailgetreu wie möglich aus Sand erschaffen. Unter dem Motiven finder man den Taj Mahal, den Sun Temple, den Jagannath Mandir in Puri und die alle wichtigen Gottheiten, allen voran natürlich Lord Jagannath mit seinem Bruder Balbhadra und seiner Schwester Subhadra. Bei den Westlern findet man den Eiffelturm, das Monument Valley (mit Profilen indischer Götter), den Wiener Dom und die berühmte Grafik von Leonardo da Vinci. Am häufigsten sieht man Lord Jagannath in verschiedenden Variationen. Jeder Künstler hat ca. 25 qm zur Verfügung und einen Wasseranschluss, um den Sand zu wässern, Helferinnen stehen hierfür mit Schläuchen und Sprühpumpen bereit. Im „österreichischen Sektor“ bleibe ich etwas länger und unterhalte mich kurz mit Johannes Sebastian, dem Künstler. Er hat gerade ein paar Minuten Zeit und klärt mich etwas über die Sache mit dem Sand auf. Normalerweise haben die internationalen Künstler in Konark keine Chance zu gewinnen, weil der Sand hier so verwendet wird, wie er ist, und nicht wie üblich vorher mit einem bestimmten Anteil Wasser maschinell gepresst wird. Die Nicht-Inder sind eigentlich nur dazu da, dem Festival den internationalen Anstrich zu verleihen, nun ja nicht nur. Schon am ersten Tag gibt es wundervolle Arbeiten zu sehen, ein Künstler aus Puri hat für seinen Entwurf versucht, alle möglichen Bauwerke, die als Weltkulturerbe gelten, zu vereinen. Das Ergebnis sieht sehr interessant aus, an manchen Gebäuden sind Torbögen zu sehen. Johannes zuckt lächelnd die Schultern und schüttelt nur den Kopf, als ich ihn später frage, wie die Jungs das mit dem Sand so hinbekommen. Um halb sechs fahren wir weiter zum Festgelände nach Konark und wir staunen nicht schlecht. Alle Straßen und Grünanlagen sind bunt erleuchtet, in den Büschen und Bäumen hängen farbige Lichter, Girlanden und Lampions. Basu macht große Augen, als ich ihn mitnehme, denn ich habe ja noch einen dritten Pass, der gerade nicht gebraucht wird. Er sitzt später mit mir mitten vor der Bühne, wo wir einen tollen Blick auf den Sun Tempel dahinter haben und die Bühne und die ganze Kulisse drumherum optimal sehen. Immer wieder nimmt er mich in den Arm und drückt mich ganz fest. ‚Thank you brother, thank you!‘ Er hat seit Jahren schon so viele Besucher hierher gefahren, aber heute ist Basu zum ersten Mal selbst Zuschauer!
Das Programm ist immer zweigeteilt, zwei verschiedene Gruppen treten mit ihren Darbietungen auf und tanzen jeweils ein längeres und ein kürzeres Stück. Meist geht es um Geschichten von Shiva oder Rada und Krishna, auch Lord Jagannath ist ein Thema, was vom hiesigen Publikum wohlwollend aufgenommen wird.

Vor dem ersten Programmteil spielt das musikalische Ensemble ein kurzes Stück, das uns mit der kunstvollen Beleuchtung, dem Anblick des Suntemples und der festlichen Atmosphäre in eine märchenhafte Stimmung versetzt (Konark Dance and Music Festival).
Als Auftakt gibt es einen Kathakali-Tanz, der aus Kerala stammt, anschließend zeigt eine Nachwuchsgruppe mit teilweise sehr jungen TänzerInnen ihr Können; nicht schlecht, aber für meinen Geschmack zuviel Akrobatik und zu wenig Tanz. Doch dem Applaus nach scheint es den Zuschauern zu gefallen.
Die Kulisse ist einmalig, der Sonnentempel ist dezent beleuchtet und die Tänzer, die manchmal von der Rückseite der Bühne auftreten, scheinen direkt von ihm her zu kommen. Die Jungs, die für die Lightshow verantwortlich sind, verstehen ihr Handwerk, besser als die anschließende Odissi-Gruppe, die technisch gut ist, aber langatmige Parts im Programm haben und irgendwie auch herzlos rüber kommen. Kurz vor Ende geht verlässt Basu die Vorstellung, um seinen Freund mit der Rickshaw zu suchen. Als wir eine halbe Stunde später am Ausgang abgeholt werden, strahlt uns Basu sehr verdächtig mit glasigen Augen an und ist sehr ausgelassen. Auch der Fahrer muss was geraucht haben… na das kann ja heiter werden. So spät am Abend ist es ganz schön frisch, es zieht gewaltig auf der Rückbank. Zum Glück hat Basu ein paar Decken dabei in die wir uns hüllen können. Basu sitzt vorne neben dem Fahrer, der sich immer an der Mittellinie orientiert und singt lautstark. Erleichtert stelle ich fest, dass kaum Gegenverkehr unterwegs ist und auch Raku ist entspannt genug drauf, um die Situation so zu nehmen wie sie ist. Notfalls werde ich nach vorne in den Lenker greifen, sollte es zu brenzlig werden. Auf halber Strecke werden wir an einer Kreuzung von zwei Polizisten angehalten. Jetzt gibt es wohl Ärger, denke ich. Es folgt eine lautstarke Unterhaltung, Basu muss sich zu uns nach hinten setzen und einer der Polizisten nimmt neben dem Fahrer Platz. Was gibt das jetzt? Die Hand vor dem Mund, um das Lachen zu unterdrücken, reckt Basu einen Daumen hoch um uns zu bedeuten, dass alles in Ordnung ist. Eine viertel Stunde später steigt der Polizist wieder aus. Wir fahren weiter und nach ein paar Metern prusten wir alle vier los, auch die Jungs dachten an Ärger, dabei wollte der Beamte einfach kostenlos nach Hause!

2.12.

Am nächsten Morgen mache ich mich wieder auf die Suche nach Mitfahrern, habe aber als Alternative schon mal überlegt mir einen Scooter zu mieten. Im Z-Hotel, wo ich öfters ein langsames Frühstück genieße, treffe ich Ildiki, eine Ungarin, die in Richtung Konark muss, jedoch nicht zum Festival. Für ein Taxi hat sie nicht genug Geld, aber als sie hört, dass ich eventuell einen Scooter nehme, macht sie den Vorschlag die Kosten zu teilen und bittet mich sie beim Rangers Resort auf halber Strecke abzusetzen. Rangers Resort? Irgendwie hört sich das bekannt an, ich komme bloß nicht drauf woher…

Okay, ab um die Ecke zum Rollerverleih, Anzahlung, packen, volltanken und los geht’s mit Ildiki on the road! Links fahren ist kein Problem und die überlebenswichtige Hupe finde (und brauche!) ich ganz schnell. Gemütlich tuckern wir mit 50 Stundenkilometern über die gut ausgebaute Straße. Ach, ist das ein Spaß! Den Wind in den Haaren (!), die vorbeiziehende Landschaft, die Leute, die uns lachend zuwinken, überholende Biker, die ab und zu eine Weile direkt neben uns her fahren (‚Eh cool, which country? Name? Name? Where going?‘) und ein bisschen Nervenkitzel, wenn die Fahrbahn plötzlich enger wird (manchmal kommt der Gegenverkehr halt mehrspurig, bin ja nun ein kleiner Scooter…).

Wir kommen im Rangers an und auf einmal dämmert’s mir! Hier war ich mit Mehatab, Ryan und Sidd damals am Strand, anschließend gab’s ein Konzert auf einer Wiese unter freiem Himmel!
Sanjay, der Besitzer, erinnert sich sogar daran. Ich bin wie elektrisiert und erfahre dann, was Ildiki hierherführt.
Seit drei Jahren organisiert das Rangers Resort ein internationales Surffestival und Ildiki soll Fotoshootings für die Website, die Flyer und die Ankündigungsplakate machen. Sanjay lädt mich zu einem Tee ein und ich lerne dabei die anderen Gäste und Volunteers kennen. Da ist Marc aus Antibe, sein Freund Eric, ein Lichtkünstler aus Paris, dessen Freundin Tanya, eine Aktionskünstlerin aus Sibirien und Marina, Fotografin und Webdesignerin, ebenfalls Sibirien. Es ist erst elf Uhr und somit noch ewig viel Zeit, um im Rangers eine Weile abzuhängen und sich mit den Leuten anzufreunden. Schnell fühle ich mich wohl und unterhalte mich viel mit Marc und Eric, die anderen sind am Arbeiten und Vorbereiten. Der Nachmittag vergeht wie im Flug und ich möchte so langsam los, um die Sandart bei Tageslicht sehen zu können. Spontan entscheiden sich Eric, Marina und Tanya mit aufs Festival zu gehen (meine „Freikarten“ kommen wieder zum Einsatz) und wir verabreden einen Treffpunkt. Ab geht’s auf meinen Scooter nach Konark! Heutiges Thema: „SAVE THE WATER!“. Erneut haben die Künstler interessante Skulpturen geschaffen, wobei einer aus Bhubaneswar meiner Meinung nach den Vogel abgeschossen hat. Sein Entwurf ist ganz schlicht. Eine fast nackte Ebene mit Rissen und darauf zwei vertrocknet aussehende, dreißig Zentimeter hohe Baumstümpfe, einer davon mit einem Loch in der Mitte, durch das man durchschauen kann. Darunter steht geschrieben: „NO GREEN WITHOUT WATER!“
Die Botschaft ist klar und für jeden verständlich. Mit Prakash, dem Künstler, unterhalte ich mich über die vergangenen und kommenden Themen.
„If you have more of this ideas, I think you’ll win the competition!“
„Oh no Sir, the jury will not understand my art“
Ich glaube Prakash stapelt etwas tief und ich wette mit ihm, dass er unter den besten Fünf sein wird. Ein Inder, der neben uns stand, spricht mich an und lädt mich ein das Dance Festival zu besuchen. Durjoy gehört zum Organisationsteam und reagiert sehr erfreut, als er hört, dass ich schon den Fünf-Tages-Pass habe.
Auf dem Festivalgelände treffe ich ihn dann wieder und er besorgt mir einen guten Platz in der Mitte, wo auch noch Platz für Eric, Marina und Tanya ist.
Die Vorstellungen heute sind allesamt grandios, die Musiker und Tänzer harmonieren perfekt, mehrmals gibt es Szenenapplaus. Sehr gut gefällt mir eine Trommlergruppe, die neben dem Trommeln auch eine choreografische Einlage zum Besten geben. Wir mir scheint handelt es sich um eine rituelle Einlage, die Schritte und Drehungen wiederholen sich in ähnlicher Weise und haben Parallelen zu den indianischen rituellen Tänzen, die ich von Powwows her kenne (Konark Dancing Drummers).
Auf der Rückfahrt mit meinem Scooter mache ich einen Zwischenstopp im Rangers. Die anderen sind schon zurück und alle sitzen am Lagerfeuer. Wir reden bis spät in die Nacht und Sanjay erzählt uns vom Leben in den Dörfern und der sich ändernden Politik in Odisha. Ich könnte noch stundenlang zuhören und Sanjay lädt mich ein im Rangers zu übernachten, aber ich muss zurück nach Puri, um meinen Roller abzugeben und Conny und Lothar die Karten zu bringen. Es ist halb zwei morgens, als ich mich endlich auf den Weg mache. Fast einsam roller ich vorsichtig nach Puri zurück, Kühe stehen mitten auf der Straße, Radfahrer und einzelne Fußgänger tauchen ganz dunkel wie aus dem Nichts auf!

3.12.

Gegen zehn wache ich auf und treffe Conny, Lothar und Rene zum Frühstück. Wir tauschen unsere Erlebnisse in den letzten Tagen aus und beschließen, heute Abend für Konark ein Taxi zu mieten. Danach fahre ich wieder zum Rangers, den Scooter kann ich noch bis fünf Uhr ohne Aufpreis nutzen. Marc und Eric freuen sich, dass ich vorbeischaue. Gemeinsam essen wir zu Mittag und verdrücken einige Chai. Das Essen hier ist köstlich, ohne viel Schnickschnack und der Küchenchef, der aus einem kleinen Dorf in der Nähe stammt, kocht so wie er es auch zu Hause tun würde. Marc würde gerne zum Festival mitkommen und ich biete ihm an, dass er bei uns im Taxi mitfahren kann. Noch nen Chai, bevor es Zeit wird, den Scooter abzugeben.

Die Sandkünstler beschäftigen sich heute mit dem Thema „SAVE THE EARTH!“ und bei vielen sieht man die Verbindung von Kultur und Umwelt. Kunstwerke und Monumente, die beschädigt sind oder unter den Abgasen von Verkehr und Industrie zu leiden haben, Fahrzeuge, die sich neben Monumenten auftürmen… Den anderen gefällt es sehr und die Kameras klicken ohne Ende, bis er Zeit wird, nach Konark zu fahren.
Heute ist es leider ziemlich nervig mit dem Programm, was aber nicht an den Künstlern liegt, sondern an echt miserablen Sound. Jeder Schlag mit den Trommeln tut in den Ohren weh und vibriert unter unseren Hintern. In der Pause gehe ich nach hinten zum Mischpult-Wallah und frage, ob er das Vibrieren nicht hört und eventuell die Trommeln herunter regulieren könne. Aber ne, die Tänzer brauchen das so laut. damit sie den Rhythmus hören können. Ich frage ihn, warum die Tänzer in den letzten Tagen, wo er leiser war, keine Probleme hatten.
‚They need it like this‘
So ein sturer Hund! Während der zweiten Hälfte des Programms treten zunächst Trommler auf, die eine rituelle Choreografie tanzen und dabei einzeln oder gemeinsam in wechselnden Geschwindigkeiten trommeln (zum Glück brauchen die keine Mikros). Das ist der Lichtblick des Abends, aber doch verlassen die Leute reihenweise die Vorstellung! Es scheint noch lauter geworden zu sein. Auch wir haben genug, ich rufe Munna an, damit er uns abholt und am Haupteingang sehe ich Durjoy stehen. Ich steige nochmal aus dem Taxi aus und überquere die Straße. Er nimmt mich lachend in die Arme und fragt, wie es mir heute gefallen hat. Als ich ihm mein Leid klage, reagiert er betroffen und verspricht mir nachzuhaken. Wir lassen uns nochmal zum Sand-Art-Beach fahren und schauen uns bei Flutlicht die Kunstwerke an. Zwischenstopp im Rangers, Marc absetzen und – ja, nen Chai. Marc und Eric schlagen vor, morgen am Strand zu übernachten, alle sind begeistert und ich werde auch gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mitzukommen – und ob!

4.12.

Heute ist der vierte Tag des Festivals, Conny und Lothar haben noch weitere Mitfahrer gefunden, aber ich habe beschlossen wieder den Scooter zu nehmen und zwar längere Zeit. Ich packe warme Sachen für die Nacht ein und ab geht’s zum Rangers. Es ist ein herrliches Gefühl, so absolut frei von Bus, Taxi oder Rickshaw zu sein, zu fahren wann und wohin man Lust hat. Irgendwie habe ich es auch satt, in Puri in den immer gleichen Touristenlokalen herumzuhocken, an den gleichen Geschäften hängenzubleiben und immer die gleichen Gesichter zu sehen, den Strand habe ich auch über… Eine kleine Krise. Ich habe es satt, Tourist zu sein.
Im Rangers sind alle beschäftigt, außer Marc und Eric. Wir planen, was wir für die Nacht alles mitnehmen müssen, kaufen Gemüse, Kartoffeln, Nüsse, Obst und Kekse ein. Der Weg zum Strand führt ungefähr zweieinhalb Kilometer durch den von Phailin zerstörten Dschungel. Bisher gab es einen markierten Weg, der sooft mit Fahrrädern und zu Fuß bearbeitet wurde, dass der Pfad gut zu finden war. Jetzt sieht alles anders aus, mehrmals haben die Leute versucht, den kürzesten und besten Weg zu finden. Jedesmal kamen sie an einer anderen Stelle heraus, sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg! Für uns bedeutet dies rechtzeitig los zu gehen. Falls wir um fünf noch nicht am Strand sind, wird es schwierig. Spätestens um 15.30 Uhr wollen wir starten, Holz für das Lagerfeuer muss ja auch besorgt werden. Ildiki ist noch in Puri zu einem shooting, es ist 15 Uhr und die anderen waren schon unruhig. Wie geplant starten alle zur ausgemachten Zeit, ich werde bleiben, um auf Ildiki zu warten, so machen das Gentleman. Falls es zu spät werden sollte, macht Sanjay den Vorschlag, dass man zu viert mit zwei Bikes drei Kilometer in Richtung Puri fährt. Von dort führt eine Trasse in Richtung Meer, im Dunkeln gut zu finden. Am Strand angekommen müssten wir dann eben einfach so lange nördlich laufen, bis wir auf das Lagerfeuer treffen. Zwei Angestellte vom Rangers würden die Bikes zurück zum Resort bringen. Guter Plan. Aber nicht nötig. Gegen 16 Uhr stehe ich von meinem Platz auf und nehme meinen Rucksack, Sanjay schaut mich fragend an. ‚Ildiki is coming!‘
Ich gehe vor das große Eingangstor, ein Linienbus hält auf der anderen Seite, fährt weiter und Ildiki kommt lachend am Straßenrand zum Vorschein. Perfektes timing, wenn wir uns beeilen sind wir vor Einbruch der Dunkelheit bei den Anderen! Also gut, wir stiefeln los, Lali und Lala begleiten uns. Wir verlieren unterwegs den Weg, wie zu erwarten war. Teilweise folgen wir den Hunden, aber auch sie laufen im Zickzack. Wir sehen die Sonne und hören die Brandung, eigentlich besteht also kein Problem, außer dass es immer wieder undurchdringlich wird und eine Menge umgestürzte Bäume uns behindern. Außerdem gibt es hier und da sumpfige Stellen, die wir der Schlangen wegen meiden sollten. Irgendwann haben wir es geschafft und kommen an, als die Sonne ihre letzten Strahlen zu uns herüber schickt. Die Hunde rennen nach rechts, wir sehen einen Schatten, Tanya ruft und winkt uns zu. Gerade als wir auf ihrer Höhe sind, ruft memand links von uns – ist das Eric!? Ja! Die Gruppe hat sich wohl auf halber Strecke getrennt, weil man(n) sich nicht einigen konnte, wo es lang gehen soll. Wir sind nur einen halben Kilometer nördlich des Lagerplatzes angekommen, der Rest der Gruppe ist gerade mal seit zehn Minuten da. Fix geht es ans Holz sammeln, Eric und Marc machen Feuer und wir anderen kümmern uns um das Zerkleinern der Äste und Zweige.
Endlich brennt das Feuer hoch genug, die Kartoffeln kommen ins Feuer und werden später mit Genuss verzehrt. Geschichten werden erzählt, wir spielen ‚Wer bin ich?‘ oder wir sitzen einfach da, betrachten den Sternenhimmel und hören den Wellen zu. Einfach herrlich, einer meiner schönsten Abende in Indien und um mich herum lauter sympathische und interessante Menschen. Weit nach Mitternacht legen wir uns um das Feuer, mittlerweile ist es spürbar kalt geworden. Die Hunde schlagen immer wieder an und knurren in Richtung Dschungel. Sanjay hat uns erzählt, dass es hier Hyänen, Schakale und Wölfe gibt, keine Ahnung, ob das stimmt. Im Resort hören wir jede Nacht das Geheule der Schakale, die sehr nah an die Umzäunung des Rangers kommen, um nach Nahrungsabfällen zu suchen, bis sie von den unseren Hunden und den draußen herumstreunenden verjagt werden. Aber Wölfe und Hyänen? Irgendwann wird es selbst im Schlafsack zu kalt und wir schlüpfen in ein Zelt, kuscheln zusammen und wärmen uns gegenseitig – viel besser!
Die Hunde und die Morgensonne wecken uns. Zum Frühstück gibt es Wasser und Kekse, danach geht’s ab in die Wellen! Das Wasser ist wohltuend frisch, die Brecher zwischendurch ganz schön kräftig. Bis auf zwei Brandungsfischern sind wir völlig alleine an diesem sauberen, nach beiden Seiten kilometerlangen, hellen Sandstrand. Kurz vor zwölf packen wir ein, es ist sehr heiß und der Hunger ebenso. Vom Strand aus sehen alle Einstiege zwischen den Bäume gleich aus. Welchen Weg nehmen? Okay, wieder mal sind es die Hunde, an denen wir uns (anfangs) orientieren. Natürlich kommen wir nicht weit, der Weg ist versperrt. Marc und Eric kappeln sich mal wieder, die Mädels und ich halten uns heraus, schließlich folgen wir Marcs Vorschlag. Jetzt bei gutem Tageslicht ist die ganze Auswirkung von Phaillin zu sehen. Völlig intakte Gebiete wechseln sich spiralmäßig mit verwüsteten ab. Ein Mordsgerät von Baum mit einer mächtigen Wurzel versperrt uns den Weg. Wir umrunden den entwurzelten Riesen, ducken uns unter ein paar Büschen durch und stehen plötzlich auf einem markierten Pfad! Eine halbe Stunde später bekommen unsere Mägen eine gute Befüllung!

Nach dem Mittagessen fahre ich Ildiki zum Shooting an den Sandart Beach, um zum einen ein paar Eindrücke der Arbeiten festzuhalten und zum anderen in der Hoffnung einige der wuselnden Krabben vor die Linse zu bekommen, die es hier normalerweise im Überfluss gibt, irgendwie sind sie zur Zeit aber kamerascheu. Mit viel Geduld und nach langem Warten haben wir eine Aufnahme im Kasten – zwei Krabben streiten sich um ein frisch gegrabenes Loch! Noch ein paar Bilder bei den Sandkünstlern, heutiges Thema „SAVE THE PLANET!“. Wir treffen noch einmal Durjoy, der darauf besteht, dass ich heute Abend mit ihm Abschluss anschaue.
Ich fahre Ildiki zum Rangers zurück, sie bearbeitet gleich Ihre Aufnahmen und ich düse zum Dance Festival. Alle anderen sind angeblich auch da, aber ich entdecke nur Marina, die gerade am Gehen ist und Tanya; auch Durjoy, Conny und Lothar sehe ich. Die Vorstellungen sind heute ganz prima, der Sound besser!
Am Ende des Programms findet die Siegerehrung für die Sandkünstler statt. Um besser sehen zu können, gehe ich nach vorne, Durjoy steht im Pressegraben und winkt mich zu sich. Alle Künstler stehen auf der Bühne und Preise gibt es für die ersten fünf. Erwartungsgemäß gehen die Nicht-Inder wieder mal leer aus, doch die Überraschung ist perfekt, als der erste Platz nominiert wird: Prakash! Unglaublich – warum gab es keine Wettbüros…? Überglücklich nimmt er den Preis entgegen, einen Blumenstrauß sowie einen Scheck über 10 000 Rupien. Er entdeckt uns im Pressegraben, wir recken die Daumen und Prakash winkt zurück. Anschließend gibt es Siegerfotos und Durjoy schleppt mich an die Bühne, wo die Presse die Bilder schießt.
‚Come, they have to make a picture with you and Prakash!‘
Also gut, Fotos für die Presse, anschließend werde ich noch von einem lokalen Fernsehsender interviewt. Tanya ist immer noch auf ihren Platz. Anscheinend gab es mal wieder Unstimmigkeiten über den Zeitpunkt der Rückfahrt oder so was ähnliches. Sie fragt, ob ich sie mit zurück nehmen kann. Klar doch, jetzt habe ich jemanden, die mir zumindest bis zum Rangers den Rücken wärmt.

6.12.
Nikolaustag. Es ist heiß und niemand hat mir die Schuhe gefüllt, auch die Rute gab es nicht…
Heute morgen habe ich mich entschieden umziehen. Im Rangers Resort kann ich ganz günstig im Zelt schlafen, das Essen kenne ich ja und sofern ich will, gibt es drei Mahlzeiten am Tag. Das Wasser geht erst durch einen Purifier und ist umsonst. Als Gegenleistung darf ich mithelfen oder mir eine Aufgabe suchen. Bevor ich mein Gerödel zu den Surfing Yogis bringe, so der zweite Name des Resorts, fahre ich zu einer Bakery, in der es feinsten Lecker- und Schmeckerli gibt und kaufe eine große Ladung, immerhin ist Nikolausi!
Bei den Yogis sind alle überrascht, niemand hat an Nikolaus gedacht bzw. der Brauch ist unbekannt. Ildiki kennt es von Ungarn, in Russland kennt man das gar nicht und in Frankreich ist der Brauch in Vergessenheit geraten, dafür wird, wie in den Vereinigten Staaten Halloween und Santa Claus gefeiert. Aber das ist eigentlich Wurst, Hauptsache Süßes auf dem Tisch. Vor allem Marina bekommt große Augen und leckt sich die Lippen – Yam, Yam,Yam! Das ist ab nun das ‚Losungswort‘ für alle Arten von Nachtisch. Immer wenn ich ‚Yam, Yam,Yam‘ rufe, kommt Marina angedüst und lunzt was es wohl Leckeres gibt.

Bevor es dunkel wird beziehe ich mein Zelt, breite mein bedcover aus und richte mich so gemütlich es geht in meiner neuen Behausung ein. Leider verlassen uns morgen Eric und Marc, für sie geht es weiter nach Bodh Gaga…
Am nächsten Morgen sehe ich, wie einer der Angestellten beginnt den Zaun, der den Garten des Resorts auf zwei Seiten begrenzt, mit weißer Farbe neu zu streichen. Er schaut mich an
‚Wanna help?‘
‚Of course!‘ grinse ich zurück. Ausführlich erklärt er mir, wie ich vorgehen soll, als hätte ich noch nie in meinem Leben mit Pinsel und Farbe gearbeitet. Aber ich mache ihm die Freude und höre geduldig bis zu Ende zu.
Bewaffnet mit Pinseln und Farbe mache ich mich ans Werk, dreißig Meter Zaun wollen gestrichen werden! Das wird nun jeden Tag meine morgendliche Meditation, Pfosten für Pfosten. Dabei mache ich es mir zur Aufgabe, weder an den Anfang noch an das Ende zu denken. Übungszeit habe ich genügend, denn ich muss insgesamt vier mal über das Holz, bis alles schön weiß aussieht. Geld für Grundierung gibt es keines, Farbe ist billiger, ich soll einfach so oft wie nötig drüber streichen, zum Abschmirgeln gibt es auch nichts! That’s India!

Wenn ich nicht gerade am Zaun meditiere, fahre ich die Mädels zum Shooting, trainiere mit meinen Stöcken oder düse etwas durch die Gegend, um selbst ein paar Fotos zu schießen. Ab und zu muss ich nach Puri (Yam Yam Yam!) um Besorgungen zu machen und auch um mich hin und wieder unters Messer zu legen, da ich oft zu faul bin mich selber zu rasieren. Das kann ich so richtig genießen. Intensiv wird mit dem Pinsel der Schaum aufgetragen, dann kommt die erste Rasur, anschließend wird das ganze gründlich wiederholt. Am Schluss wird mit einem Salzstein die Haut abgerieben, abgerundet wird mit einer Gesichtscreme. Wohlduftend fahre ich dann wieder zu meinen Mädels zurück!

So verbringe ich meine Tage dort, fühle mich geerdet und mit mir verbunden. Abends schauen wir zusammen Filme (Freaks. Samsara) an oder sitzen am Lagerfeuer. Wenn Sanjay hier ist haben wir oft interessante Themen. Natürlich spricht er auch über sein Projekt, das Internationale Surf-Festival (ISF). Dabei geht es in erster Linie um Community, Attachment, Sharing of Experience, Environmental Awareness Joy, Happiness and Good Vibrations.
Zum Beispiel sind alle Arten von Plastik. soweit es geht verboten. Eine Flasche Wasser ist erlaubt und an mehreren Plätzen gibt es dann Stationen, an denen man gereinigtes Wasser nachfüllen kann. Wer gerne Bier trinkt, bekommt einen Becher (80 Rs), bringt man diesen jeweils wieder, ist das Bier jedesmal billiger (-20 Rs).
Alles was man für die Bühne und die Shows braucht wird aus Materialien aus der Umgebung hergestellt, zum Teil mit Hilfe Einheimischer aus den umliegenden Dörfern.
Ein anderes Projekt der „Surfing Yogis“ ist „Walking On Water“, was anderenorts „Stand-Up-Paddling“ (SUP) genannt wird. Das Projekt hat mehrere Aspekte, wie z.B. den gesundheitlichen. Bei diesem Sport, der sehr leicht zu erlernen ist, werden so ziemlich alle Muskeln unseres Körpers beansprucht. Man steht in Schrittstellung, die Knie leicht gebeugt, ständig ist der Körper gezwungen selbst bei nur schwachen Wellen das Gleichgewicht wieder herzustellen. Unzählige Muskelpartien vorführen Mikrobewegungen, für den Körper angeblich effektiver als Laufsport. Der wesentlich wichtigere Aspekt ist ein ökologischer. Im nahe gelegenen Chilika-Lake werden die Besichtigungen zu den Vogelschutzgebieten und zu den Delphinen mit kleinen Motorbooten durchgeführt, eine andere Möglichkeit gibt es zur Zeit eigentlich nicht. An manchen Tagen geht es dort zu wie auf der Autobahn und natürlich bekommt man selten Delphine zu sehen. Sanjay glaubt, noch sei das Ökosystem dort zu retten. Er möchte die um den See herum lebenden Fischer im Stand-Up-Paddling ausbilden und sie zu überzeugen, Touren auf dem See damit anzubieten. Die Fischer hätten ein zusätzliches Einkommen, die Touristen ihren Spaß (und ein beruhigtes „Ökogewissen“) und der See und die Tierwelt könnte sich erholen.
Auf dem Festival treffen sich ebenso internationale Künstler, Musiker, Artisten, Tänzer, Performer und ich bedauere jetzt schon, dass ich nicht dabei sein kann, weil zur Festivalzeit mein Visum abläuft. Man kann eben nicht alles haben.

Nach ein paar Tagen stoßen Sebastian und Miguel, zwei Argentinier, zu dem Projekt dazu. Sebastian ist ein professioneller Filmer, der in ganz Asien unterwegs ist. Miguel ist seine rechte Hand und Mädchen für alles. Für die Homepage wird ein Trailer hergestellt, die Aufnahmen dafür schießen wir am Strand in der Nähe von Konark und Ildi, Marina, Miguel, Sebastian und ich fahren dort gemeinsam mit der Rickshaw hin, selber! Einer der Angestellten fährt abends in Puri Touren und für heute bekommen wir die Kutsche. Schnell noch zwei Surfbretter aufs Dach geschnallt und los geht’s! Wer steuert das Ding? Der Einzige, der schielt, Miguel! Das ist ein Spaß, fünf Goras in einer Rickshaw, die nirgends anhält, um wirkende Fahrgäste zusteigen zu lassen! Ab und zu werden wir natürlich überholt und die Blicke der Fahrer, wenn sie sehen, wen oder was sie da überholen, erzeugen bei uns Lachsalven!
Sebastian erklärt mir geschwind das Stand-Up-Paddling und nach kurzer Zeit stehe ich sicher auf dem Brett und kreuze mit Miguel über eine kleine Lagune ihn und her. Die Mädels und Sebastian schießen Bilder und filmen was das Zeug hält!

Abends sitzen wir zusammen, trinken heißen Tee, schauen Filme oder hören Musik. Zwar müssen Marina und Sebastian teilweise noch arbeiten, weil es einfach soviel zu tun gibt, aber wir haben trotzdem sauviel Spaß und oft ist Sebastian mit seinem Humor und seinem Gute-Laune-Modus der Grund dafür.

An irgendeinem Abend werden wir Zeuge einer rituellen Zusammenkunft. Einige Freunde des Verwalters kommen in das Resort, essen zusammen und beginnen dann zu jammen und zu singen. Den Anlass kann uns niemand so richtig genau erklären, so sitzen wir nebenan und hören zwangsläufig (wegen der Lautstärke) zu:

Ceremony at Rangers1

Ceremony at Rangers2

Mein Geburtstag steht an und die Mädels schlagen vor, den Tag gemeinsam in Puri zu verbringen. Wir starten schon morgens zu dritt auf dem Scooter, Miguel und Sebastian müssen arbeiten. Station Nummer Eins ist das Peace Restaurant, wo es das beste Müsli gibt, danach gebe ich meinen Scooter zurück, denn morgen Mittag mache ich mich auf die lange Reise nach Madikeri. Nach einem kleinen Abstecher in die Stadt zieht es uns zu Debu in die German Bakery, wo ich mir eine leckere Auberginen-Pizza bestelle. Ein indischer Bekannter Marinas setzt sich zu uns und irgendwann bekomme ich nach langem Bitten und Betteln ein Geburtstagsständchen Birthday Songs at Honey Bees     Wir verbringen einen recht lustigen Tag zusammen und essen später im Green Garden zu Abend. Zurück mit der Rickshaw und als Geburtstagsfilm wähle ich mir „The Great Diktator“!
Sebastian hat auch noch eine Überraschung, irgendwoher hat er für mich eine Flasche Fosters besorgt! Yam, Yam, Yam!

Veröffentlicht unter Puri

Wiedersehen in Kolkata 9.11.2013 – 13.11.2013

Morgens um halb fünf klingelt mein Telefon. Der Hausherr! Verschlafen! Fahrer wartet! Sch…! Schnell ziehe ich mich an und packe meine Sachen, zum Glück habe ich den großen Rucksack schon vor dem Schlafengehen gerichtet!
Fünf Stunden später lande ich in Kolkata, Ryan erwartet mich. Eine herzliche, stürmische Begrüßung, dreieinhalb Jahre sind es her und es kommt mir vor, als hätten wir uns erst vor kurzem getrennt. Mit dem Taxi geht’s Richtung Südwesten nach Behala zu Ryans Drei-Zimmer-Wohnung. Am nächsten Morgen fahren wir rüber zu Sidd, der kleine Om ist krank, weshalb ich ihn nur kurz sehen kann. Sidd kümmert sich liebevoll um seinen Sohn, ich denke er ist ein guter indischer Daddy.
Die Tage in Kolkata sind angefüllt mit Nichtstun, wir kochen zusammen, bestellen bei Subways oder holen uns etwas auf es Straße um die Ecke – frisch vor unseren Augen zubereitet. Wir hören viel Musik, schauen abends Filme, Sidd kommt immer wieder vorbei und bringt uns Bier mit. Außerdem schmieden Pläne für Touren und nach ein paar Tagen entscheiden wir uns nach Puri zu fahren, wo wir uns kennen lernten. Sidd hat dort für drei Tage Schüler, die er im Gesang unterrichtet. Also Ticket buchen, packen und ab geht’s nach Orissa in die heilige Stadt Puri! Jai Jagannath!